Die Fristenregelung hat eine Ablauffrist!

11.10.2024

Die Fristenregelung hat eine Ablauffrist!

Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 28. September 2024 in Giubiasco


Am Safe-Abortion-Day 2024 verbietet das Schweizer Strafgesetzbuch Abtreibungen nach wie vor. Das Gesetz sieht lediglich Ausnahmen vor: Bis zur 12. Schwangerschaftswoche darf abgetrieben werden, nachdem schriftlich eine Notlage geltend gemacht wurde. Danach dürfen Abtreibungen nur noch vorgenommen werden, wenn psychische oder physische Gefahr für die Gesundheit der schwangeren Person besteht. Diese sogenannte «Fristenregelung» wurde 2002 vom Stimmvolk angenommen und ist bis heute in Kraft.[1] Die Schweiz verfügt damit über eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas und verstösst gegen die Leitlinien der WHO.[2] Alle seitherigen Bestrebungen, dieser Zustand zu ändern, sind bisher ins Leere gelaufen. Zuletzt wurde einer parlamentarischen Initiative, die den Artikel 118 Abs. 1 betreffend Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch streichen wollte, vom Nationalrat nicht Folge geleistet.[3]

Das erstaunt nicht, denn die Regulierung der Reproduktion ist ein wichtiges Instrument zur Machterhalt des kapitalistisch-patriarchalen Staates. Das kapitalistische System macht sich die Unterdrückung von Frauen zu nutzen und verstärkt diese, wobei die Kontrolle über den weiblichen Körper schon lange ein zentrales Machtinstrument ist. In der kapitalistischen Moderne nutzen Staaten die Kontrolle über biologische und soziale Reproduktion und machen gebärfähige Menschen so zu einer «biopolitischen Ressource».[4] Gestern und heute setzen Staaten unterschiedliche Mittel zur Regulierung der Reproduktion ein, von erzwungenen Sterilisationen über Geburtenkontrollprogramme bis hin zu restriktiven Abtreibungsgesetzen. Solche Massnahmen sind häufig Teil einer bevölkerungspolitischen Strategie, die das Ziel verfolgt, die Geburtenrate zu steigern oder zu senken, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu kontrollieren oder konzipierte Normen durchzusetzen.[5] Die Kontrolle über weibliche Körper dient demnach nicht nur zur Aufrechterhaltung von patriarchalen Strukturen, sondern auch der Stabilisierung von Machtverhältnis eines kapitalistischen und imperialistischen Systems. Reproduktionsrechte sind zentral, wenn es um die Aufhebung von Unterdrückungsstrukturen geht.

Bereits seit Jahrzehnten kämpfen Feminist*innen für diese Rechte und konnten dabei einige Erfolge feiern. Darauf können wir heute aufbauen, müssen aber gleichzeitig dafür kämpfe, dass diese bescheidenen Rechte nicht wieder stärker beschnitten werden. Die konservative Rechte, darunter christliche Fundamentalist*innen versuchen alles, um Abtreibungsechte einzuschränken. Bisher konnten wir aber jeden ihrer Angriffe erfolgreich abwehren.[6] Damit wird klar: Diese reaktionären Kräfte sind eine laute Minderheit, die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung will nach vorne schauen und nicht zurück.

Reproduktionsrechte sichern!

Folglich müssen wir endlich einen vollumfänglich sicheren und niederschwelligen Zugang zu Abtreibung gewährleisten zu können, muss neben einer Entstigmatisierung natürlich eine vollständige Liberalisierung der Abtreibungsrechte passieren, so muss beispielsweise die Fristenregelung komplett aufgehoben werden. Wir stehen hinter dem Konzept der «reproduktiven Gerechtigkeit», welches in den 1990er Jahren von Schwarzen Feminist*innen in den USA erarbeitet wurde. Gebärfähige Menschen sollten ebenso das Recht haben, keine Kinder zu bekommen, wie sie das Recht haben, Kinder zu bekommen.[7]

Was Abtreibungsrechte selbst angeht, fordern wir unter anderem:

  • Die Abschaffung der zwölfwöchigen Frist

In Kanada sind Abtreibungen bereits seit 1988 vollständig entkriminalisiert. Es bestehen keinerlei Regulierungen, weder Fristen, noch andere gesetzliche Beschränkungen. Der Eingriff wird als das behandelt, was es auch ist: als normaler medizinischer Eingriff.[8] Die Aufhebung jeglicher Gesetzgebung hat im Schnitt nicht zu mehr oder späteren Abtreibungen geführt.[9] Auch in der Schweiz muss die Fristenregelung abgeschafft werden, Abtreibungen sollten zu jedem Zeitpunkt möglich sein.

  • Die Streichung von Artikel 118, Abs. 1 im Strafgesetzbuch

Abtreibungen haben, wie alle anderen medizinischen Eingriffe, nichts im Strafgesetzbuch verloren. Entsprechend muss endlich die Streichung von Artikel 118, Abs. 1 im Strafgesetzbuch erfolgen.

  • Keine gesetzlichen Regulierungen jeglicher Art

Abtreibungen sollten auf keine Art und Weise reguliert werden und die Entscheidung dazu soll nicht unter Auflagen erfolgen müssen. Das bedeutet auch, dass beispielsweise obligatorische Beratungsgespräche abgeschafft werden sollen.

  • Staatlich finanzierte, freiwillige Beratungsangebote

Gleichzeitig müssen mehr neutrale und staatlich finanzierte Beratungsangebote geschaffen und dafür gesorgt werden, dass die «Beratungsangebote» von christ-fundamentalistischen Organisationen nicht neutral in Erscheinung treten dürfen, sondern entsprechend deklariert werden müssen.

  • Verankerung des Rechts auf Abtreibung in der Verfassung

Wie in Frankreich soll auch in der Schweiz das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert werden. Dieser Schritt würde eine Festigung und Stärkung der Selbstbestimmungsrechte bedeuten.


[1] Gaillard, Ursula: Abtreibung, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), V. 13.10.2011, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007977/2011-10-13/

[2] Turuban, Pauline: Das Recht auf Abtreibung. Wo steht die Schweiz? In: swissinfo.ch, 01.07.2022, https://www.swissinfo.ch/ger/gesellschaft/recht-auf-abtreibung-wo-steht-die-schweiz/47719888

[3] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20220432

[4] Michel Foucault (1977): Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses.

[5] Dorothy Roberts (1997): Killing the Black Body: Race, Reproduction, and the Meaning of Liberty.

[6] Hann, Vanessa: So unantastbar ist das Abtreibungsgesetz in der Schwein, in: Watson online (01.06.2022), https://www.watson.ch/schweiz/gleichstellung/979672431-so-unantastbar-ist-das-abtreibungsgesetz-in-der-schweiz

[7] Brentler, Alexander und Zimmermann, Vanessa: Jenny Brown, «Es geht nicht nur um Abtreibungen sondern um unser ganzes Leben», in: Jacobin (24.07.2022), https://jacobin.de/artikel/es-geht-nicht-nur-um-abtreibung-es-geht-um-unser-gesamtes-leben-jenny-brown-supreme-court-oberster-gerichtshof-roe-v-wade-reproduktive-rechte-samuel-alito

[8] Diehl, Sarah: Vertraut den Frauen, in: Zeit Online, 10 nach 8 (28.09.2018), https://www.zeit.de/kultur/2018-09/schwangerschaftsabbruch-paragraf-218-moral-patriarchat-abschaffung/komplettansicht

[9] https://www.arcc-cdac.ca/media/2020/07/statistics-abortion-in-canada.pd
Bildquelle: Foto von Jasmine auf Unsplash