Für eine Dekolonialisierung der globalen Gesundheit : Die neokoloniale Pharmaindustrie muss gestoppt werden !
Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 28. September 2024 in Giubiasco
Die Entwicklung der internationalen Gesundheitsversorgung ist eng mit Kolonialismus und Imperialismus verbunden. Gesundheitsinterventionen, die auf die Länder des sogenannten Globalen Südens abzielen, entstanden aus kolonialen Interessen. Diese zielten auf den Schutz der Gesundheit der Kolonialherren und die Sicherung der Arbeitskraft der ausgebeuteten Bevölkerung ab. Diese Massnahmen wurden häufig durch koloniale Gewalt durchgesetzt.[1]
Mit dem Kolonialismus entstand eine internationale Arbeitsteilung: Die Länder des sogenannten globalen Südens wurden auf den Abbau von Rohstoffen beschränkt, während die Metropolen und Siedlungskolonien sich auf die Produktion von Gütern mit hoher Wertschöpfung spezialisierten. Diese wirtschaftlichen Verhältnisse bestehen bis heute fort und prägen besonders die Pharmaindustrie. Die von den Kolonialreichen ausgebeuteten Regionen, etwa die meisten afrikanischen Länder südlich der Sahara, leiden immer noch unter einer weniger entwickelten Industrie.[2]
Das Beispiel AIDS
Die AIDS-Zahlen sind verdeutlichen die die globale Ungleichheit im Gesundheitsbereich besonders stark. Fast die Hälfte der weltweit mit HIV lebenden Menschen lebt in Ländern südlich der Sahara. Während die Neuinfektionen dort rückläufig sind, gilt dies nicht für andere arme Regionen, wie Südostasien, den Pazifikraum oder die Karibik. Die Dreifachtherapie, ein wirksames Mittel, um Menschen mit HIV vor AIDS zu schützen und die Übertragung des Virus zu verhindern, hat zu einem historischen Rückgang der Neuinfektionen und Todesfälle durch AIDS geführt. Dennoch bleibt der Zugang zu diesen Behandlungen äusserst ungleich verteilt: Etwa die Hälfte der unbehandelten AIDS-Fälle finden sich in Afrika südlich der Sahara.[3]
Nebst dem vereinfachten Zugang zur Dreifach-Therapie, könnte ein einfacherer Zugang zu PrEP ebenfalls helfen, die Zahl der HIV-Neuinfektionen zu senken. Weltweit liegt die Zahl der PrEP-Nutzer*innen jedoch weit unter dem für 2025 angestrebten Ziel von 21 Millionen.[7]
Die Entwicklung dieser Medikamente basierten auf klinischen Studien in Südafrika und Uganda, an denen Tausende von Frauen mit hohem HIV-Risiko teilnahmen.[9]
Die Priorisierung des globalen Nordens
Die Pharmaindustrie folgt der kapitalistischen Logik der Gewinnmaximierung. Dadurch werden systematisch die reichsten Länder und deren Bevölkerung bevorzugt, da diese die hohen Preise bezahlen können. Diese Logik zieht sich bis in die Forschung: Die Entwicklung von Behandlungsmethoden konzentriert sich auf Krankheiten, die die Gesundheit der Länder des globalen Nordens betreffen, während Behandlungen für Krankheiten, die vor allem den sogenannten globalen Süden und dort besonders die armen Bevölkerungsgruppen betreffen, vernachlässigt werden. Zwischen 2000 und 2011 betrafen lediglich 4 % der weltweit neu entwickelten Behandlungen „vernachlässigte Tropenkrankheiten“[11]
Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie verdeutlichte erneut die Ungleichheiten, die durch Patente verursacht werden. Das Recht auf geistiges Eigentum schränkte den Zugang zu Impfstoffen in vielen Ländern ein.[13]
Generell profitiert die Pharmaindustrie von der Bedeutung, die der Entwicklung technologischer Lösungen in den Institutionen der globalen Gesundheit beigemessen wird. Die Agenda dieser Institutionen wird von ihren Finanzierungsquellen bestimmt: Insbesondere das Aufkommen der Bill and Melinda Gates Foundation als riesiger Geldgeber hat die Priorisierung technologischer Lösungen und öffentlich-privater Partnerschaften bestimmt.[16]
Für die Dekolonialisierung der globalen Gesundheit
Die kolonialen Verhältnisse, die die globale Gesundheit bestimmen, verursachen jedes Jahr Millionen von Todesopfern. Das darf nicht länger so bleiben! Jeder Mensch verdient es, in Würde zu leben und angemessen versorgt zu werden.
Deshalb fordern wir kurzfristig :
- eine internationale Standardisierung der Preise für Behandlungen ;
- Investitionen in die Forschung von vernachlässigten Tropenkrankheiten;
- Flexibilisierung des Rechts auf geistiges Eigentum.
Nur durch eine radikale Umgestaltung der Pharmaindustrie kann jeder Mensch Zugang zu den nötigen Behandlungen erhalten, um gesund zu bleiben und sich zu entfalten. Deshalb fordern wir die Aufhebung aller Patente und die Verstaatlichung der Pharmaunternehmen, damit Forschung und Produktion demokratisch kontrolliert werden können. Die Entwicklung und Herstellung von Medikamenten müssen sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und sich von den neokolonialen Strukturen lösen, die die Gesundheit des globalen Nordens priorisieren. Bedürftige Regionen müssen bei der Produktion von Generika und dem Ausbau ihrer eigenen pharmazeutischen Industrie sowohl wissenschaftlich als auch finanziell unterstützt werden. Diese Massnahmen sind Teil einer umfassenden Strategie zur Auflösung der globalen Machtverhältnisse und zur Überwindung des Kapitalismus.
[1] Randall M. Packard (2016), A history of global health: interventions into the lives of other peoples. Baltimore: Johns Hopkins University Press
[2] https://www.frontiersin.org/journals/research-metrics-and-analytics/articles/10.3389/frma.2023.1020588/full
[3] UNAIDS, 2024 Global AIDS report, S. 11
[4] https://theconversation.com/explainer-the-problem-drug-patents-pose-for-developing-countries-45667
[5] https://publiceye.ch/de/themen/pharmaindustrie/patentrecht
[6] So hat die Schweiz beispielsweise ein Abkommen mitverhandelt, das die Herstellung von Generika in Indien einschränken wird. Quelle: https://www.publiceye.ch/fr/news/detail/accord-de-libre-echange-avec-linde-la-suisse-protege-sa-pharma-au-detriment-des-patientes-pauvres
[7] UNAIDS, 2024 Global AIDS report, S.10
[8] https://tetu.com/2024/07/25/sante-fin-epidemie-vih-sida-vaccin-prep-injection-traitement-40-dollars-laboratoire-gilead/
[9] https://www.aides.org/actualite/aids-2024-lenacapavir-quel-prix-pour-mettre-fin-au-vih
[10] Par exemple, la gynécologie s’est fondée par des expériences menées sur des femmes noires esclaves. Quelle: https://news.berkeley.edu/2020/02/17/historian-uncovers-gynecologys-brutal-roots-in-slavery/
[11] Lexchin, J. Profits First, Health Second: The Pharmaceutical Industry and the Global South; Comment on “More Pain, More Gain! The Delivery of COVID-19 Vaccines and the Pharmaceutical Industry’s Role in Widening the Access Gap”. International Journal of Health Policy and Management, 2024; 13(1): 1-4. doi: 10.34172/ijhpm.2024.8471
[12] https://www.who.int/news-room/questions-and-answers/item/neglected-tropical-diseases
[13] Lexchin, J. Profits First, Health Second: The Pharmaceutical Industry and the Global South; Comment on “More Pain, More Gain! The Delivery of COVID-19 Vaccines and the Pharmaceutical Industry’s Role in Widening the Access Gap”. International Journal of Health Policy and Management, 2024; 13(1): 1-4. doi: 10.34172/ijhpm.2024.8471
[14] ZAMAN K. Decolonizing Human Rights Law in Global Health - the Impacts of Intellectual Property Law on Access to Essential Medicines: A Perspective from the COVID-19 Pandemic. Asian Journal of International Law. Published online 2024:1-18. doi:10.1017/S2044251323000747
[15] https://www.aljazeera.com/opinions/2023/10/4/global-south-should-learn-from-big-pharmas-bullying-of-south-africa
[16] Randall M. Packard (2016), A history of global health : interventions into the lives of other peoples. Baltimore: Johns Hopkins University Press
Bildquelle: Foto von Myriam Zilles auf Unsplash