Stoppt den KVG-Bschiss! Für solidarische Sozialversicherungen!
Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 28.09.2024 in Giubiasco (TI)
Nach vielen Jahren der Reformversuche fällt die Bilanz des Krankenversicherungsgesetzes düster aus. Seit 1997 sind die Krankenversicherungsprämien um 158%[1] gestiegen und werden zu einer immer grösseren Belastung für die Bevölkerung. Dieser rasante Anstieg der Krankenkassenprämien hat schwerwiegende Folgen.
Die zunehmende finanzielle Belastung der Haushalte durch die Krankenversicherung zeigt sich daran, dass immer mehr Menschen auf die von den Kantonen finanzierten Prämienverbilligungen angewiesen sind.[2] Obwohl das Recht auf diese Prämienverbilligungen gesetzlich garantiert ist, halten sich viele Kantone nicht an das Bundesgesetz. Sie stellen nicht genügend Mittel für die Prämienverbilligungen bereit und setzen restriktive Bedingungen, die diese Finanzhilfen für einen Teil der Personen, die sie benötigen, unzugänglich machen.
Die Prämienexplosion führt dazu, dass immer mehr Menschen eine hohe Franchise wählen, um günstigere Prämien zu zahlen. Dies ist einer der Gründe, warum die individuellen Ausgaben für die Gesundheit seit 2005 um 39 % gestiegen sind.[3] Zudem tragen nicht von der Grundkrankenversicherung abgedeckte Leistungen, wie Zahnbehandlungen und bestimmte Medikamente, ebenfalls zu diesem Anstieg bei. Diese ständigen Kostensteigerungen für die Bevölkerung sind untragbar. Doch jeder Reformversuch ist bislang daran gescheitert[4], das Problem der explodierenden Prämien und Pflegekosten zu lösen.
Die Wurzel des Problems
Zu hohe Krankenkassenprämien sind kein neues Phänomen. Sie waren bereits der Grund, warum das KVG, das 1994 nach einem Referendum angenommen wurde, eingeführt wurde. Das Krankenversicherungsgesetz hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts stark verändert. Das erste Gesetz, das 1911 nach der Ablehnung einer früheren Vorlage von 1900 verabschiedet wurde, legte Mindeststandards für Krankenkassen und Unfallversicherungen fest. Mit den steigenden Gesundheitskosten nahm die Zahl der Versicherten zwischen 1930 und 1960 stetig zu. Ab den 1960er Jahren begann die Zahl der Krankenkassen durch Fusionen kleinerer Kassen zu sinken. Seit der Reform des KVG im Jahr 1994 sind die Prämien jedoch kontinuierlich gestiegen. Frauen zahlten damals bis zu 10 % höhere Prämien als Männer, und ein Teil der Bevölkerung konnte sich die Versicherung nicht leisten. Die Lösung des Parlaments bestand darin, eine Versicherungspflicht und vom Bund kontrollierte Einheitsprämien einzuführen.
Obwohl das Gesetz eine Prämienkontrolle durch den Bund vorsieht, diese Massnahem hat eindeutig versagt. Sie berücksichtigt nicht die wachsende finanzielle Belastung der Versicherten durch die steigenden Prämien. Konkret überprüft der Bund vor allem die Solvenz der Versicherungen und die Deckung der Gesundheitskosten. Die Interessen der Versicherungen werden dabei mehr berücksichtigt als jene der Versicherten.[5]
Das KVG regelt auch andere Aspekte der Krankenversicherung, wie Pflichtleistungen, Erstattungsbedingungen und Tarife. Diese Regelungen spiegeln oft die Interessen der Versicherungen und der Pharmaindustrie wider, die als Lobbygruppen in unseren "demokratischen" Institutionen überrepräsentiert sind.[6]
Die Kopfprämie - ein systemisch ungleiches Modell
Prämienerhöhungen, nicht vergütete Leistungen und die hohen Kosten, die Versicherte selbst tragen müssen, sind kein Zufall. Das Schweizer Krankenkassensystem wurde entwickelt, um ein profitorientiertes Gesundheitssystem zu stützen und zu erhalten. Es begünstigt besonders Pharmaunternehmen, die mit patentierten Medikamenten immer höhere Gewinne erzielen. Gleichzeitig profitieren die Krankenkassen durch Zusatzversicherungen, während sie die Kosten der obligatorischen Krankenversicherung durch Leistungseinschränkungen begrenzen.
Das führt dazu, dass Menschen mit mehr Geld besseren Schutz und leichteren Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Menschen, die es sich nicht leisten können, müssen hingegen aus finanziellen Gründen oft auf notwendige Behandlungen verzichten. Besonders gravierend ist die Lage für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten. Ihnen werden oft Leistungen, die ihre Lebensqualität verbessern könnten, verweigert, wenn diese von den Krankenkassen als „nicht notwendig“ eingestuft werden.
Ein weiteres Problem betrifft Personen ohne Anstellung. Sie haben eingeschränkten Zugang zu Leistungen im Zusammenhang mit Unfällen, da die obligatorische Unfallversicherung über den Arbeitgeber abgeschlossen wird. Wer nicht über seine Arbeit versichert ist, muss den Selbstbehalt und die Franchise im Falle eines Unfalls selbst tragen. Diese Ungleichheit, von der viele Frauen betroffen sind, die unbezahlte Care-Arbeit leisten, verstärkt das bestehende System der „Zwei-Klassen-Medizin“.
Die einzige Lösung, um diese Ungleichheiten zu überwinden, ist ein grundsätzlicher Umbau des Versicherungssystems. Eine Versicherung darf kein Mittel zur Profitmaximierung für die Anbieter sein, sondern muss den Versicherten die notwendige Versorgung und Therapie bieten, damit sie sich erholen und entfalten können.
Deshalb fordern wir:
- Die Zusammenlegung von IV, Kranken- und Unfallversicherung
- Die vollständige Rückerstattung aller Gesundheitsleistungen ohne Selbstbehalt
- Eine einheitliche, staatliche Kasse, die solidarisch finanziert wird
- Strenge Maßnahmen zur Begrenzung der Medikamentenkosten
[1] Bundesamt für Statistik, Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2022
[2] Augmentation de 34% depuis 1997: https://www.sgb.ch/aktuell/kaufkraft-demo/untragbare-krankenkassenpraemien
[3] Bundesamt für Statistik, Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2022
[4] Lex Forrer 1899 gescheitert, nach neuem Gesetz 1912 vier gescheiterte Reformversuche, 1974 Reform über Einführung Obligatorium gescheitert.
[5] Art. 16 de la Loi sur la surveillance des assurances maladie, RS 832.12
[6] https://www.rts.ch/info/suisse/14356574-pas-moins-de-90-parlementaires-defendent-des-interets-dans-le-secteur-de-la-sante.html