Strategie "Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen"

11.10.2024

Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 28. September 2024 in Giubiasco mit

Seit den am 30.04.2022 und am 18.02.2024 verabschiedeten Resolutionen fordert die Juso “den Boykott von Waren, die in den israelischen Siedlungen in der Zone C der besetzten palästinensischen Gebiete produziert werden” (1) und “den sofortigen Stopp von Waffenexporten nach Israel und die Beendigung aller militärischen und geschäftlichen Beziehungen mit der israelischen Regierung”. (2) Unter anderem angesichts des Völkermordes in Gaza sehen wir es als notwendig an, uns dem Aufruf der internationalen, gewaltlosen Bewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) anzuschliessen.

Die nahezu bedingungslose Unterstützung für Israel von den imperialistischen Staaten Nordamerikas und Westeuropas hat dazu geführt, dass Israel seit Jahrzehnten faktisch über jeglichem internationalen Recht steht. So hat Israels Regierung die vorläufigen Massnahmen des IGH-Entscheides (3) und den angeordneten temporären Waffenstillstand vom 25.3.2024 des UNO-Sicherheitsrats ignoriert. (4) Auch schon 2004 ignorierte Israel den UN-Entscheid, welcher den Mauerbau im Westjordanland für illegal erklärt hat. (5)

Israel missachtet zudem seit seiner Gründung im Jahr 1948 das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge.(6)

Der IGH kam am 19.07.2024 zum Schluss, dass die Besetzung vom palästinensischen Gebiet (inkl. Ost-Jerusalem) eine klare Verletzung der Menschenrechte darstellt und fordert eine totale Räumung der Siedlungen und das Ende der Besatzung (7). Der IStGH erwägt auch die Anordnung von Haftbefehlen gegen drei Hamas-Anführer, Netanjahu und Gallant. Als Zivilbevölkerung und aktivistische Partei können wir nicht erwarten, dass imperialistische und neokoloniale Staaten von sich aus gegen ihre eigenen Interessen handeln werden. Es wird nicht nur ethisch, sondern jetzt politisch, juristisch und wirtschaftlich anerkannt, dass es Menschenrechtsverletzungen gibt. Doch die Urteile der obersten politischen Strukturen bleiben ohne begleitende Handlungen nichts weiter als Aussagen, ohne Effekt auf die Realität der leidenden Menschen. Deshalb muss jetzt gehandelt werden! Worauf warten wir noch? Die Zeit läuft ab.

BDS-Kampagne

Vor fast 20 Jahren, am 9. Juli 2005, wurde die BDS-Kampagne ins Leben gerufen, getragen von der palästinensischen Zivilgesellschaft. Inspiriert vom Kampf gegen die Apartheid in Südafrika wurde zu Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen Israel aufgerufen. Treffen soll dies israelische Produkte, Unternehmen und Institutionen wie auch ausländische und internationale Unternehmen, die sich an der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung beteiligen und die Besatzung und Apartheid Israels unterstützen.

Die BDS-Bewegung benutzt die BDS Taktiken, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Ziele sind:

Das Ende der Besetzung aller Gebieten vor dem Krieg in 1967 (Gaza, Westjordanland, Golan, Ost-Jerusalem);
Das Ende der Apartheid in Israel und gleiche Rechte für alle;
Die Anerkennung und Ermöglichung des Rückkehrrechts von palästinensischen Flüchtlingen. (8)

Mit diesem Aufruf solidarisieren sich weltweit zahlreiche Organisationen wie Gewerkschaften, akademische Vereinigungen und Basisbewegungen. Nicht nur ausserhalb, sondern auch in Israel selbst haben sich Institutionen und Bürger*innen dem Boykottaufruf angeschlossen. (9) Jetzt mehr als je, in Anbetracht des Genozids, den Israel gegen die Palästinenser*innen ausübt, ist es entscheidend, internationalen Druck auf Israel aufzubauen: Das geschieht nicht allein durch Forderungen an Regierungen, sondern vor allem durch direkte Aktion und Beteiligung der breiten Zivilbevölkerung.

Gezielter Boykott ist eine legitime und gewaltfreie Strategie. Boykott ist vor allem eine Taktik, um Druck auf Politik, Wirtschaft und Bildung auszuüben. Für Akteur*innen aus diesen Bereichen, die vom Apartheidsystem in Palästina profitieren, gibt es viel zu verlieren, nicht nur ökonomisches Kapital. Dabei handelt es sich um ein Mittel, das in Kombination mit anderen Druckmitteln einen greifbaren Effekt bewirken kann. BDS ist eine Grasroots-Bewegung, die auf die Longue-durée abzielt. Zudem hilft es, die Menschen zu erreichen und sie über eine Sache zu informieren, da es zusätzlich eine einfache und effiziente politische Methode handelt. Zu den erfolgreichsten Boykott-Kampagnen zählen: der Montgomery Bus Boycott (1955); der Nestlé-Boycott (1977-...); der NRA-Boykott (2021); No Business with Genocide (10).

Divestment ist eine andere effektive Art, das koloniale System unter finanziellen Druck zu setzen. Wie beim Boykott hat es einen extrem grossen Wert, um eine Diskussion über ethische und legitime finanzielle Strategien von Institutionen und Firmen zu lancieren. Es mobilisiert auch viele Kreise innerhalb und ausserhalb dieser Institutionen. Zum Beispiel haben mehrere Firmen, Kirchen und Universitäten aufgehört, bestimmte Firmen, die in illegalen Geschäften involviert sind, zu finanzieren. Wichtige erfolgreiche Desinvestitionen waren: Ben&Jerry’s (2021); US Universitäten (11); die Presbyterian Church USA (2014, 2024); AXA (2024); das KLP (2021-2024) und der Norway Wealth Fund (im Gange). Etliche Städte haben bereits begonnen, auf lokaler Ebene zu desinvestieren; dies wird auch von Jewish Voice for Peace unterstützt (12).

Ein prominentes Beispiel ist Caterpillar Inc. (USA). Die D9 Bulldozers (etwa 74 Tonnen schwer, wie ein IDF Panzer) werden modifiziert, um grossen und schwerwiegenden Schaden an palästinensischer Infrastruktur anzurichten. Auch innerhalb von Israel sind Hauszerstörungen von palästinensischen Familien struktureller Bestandteil der Apartheidpolitik (13). Seit 2000 erweiterte Israel diese Kampagne massiv: Mit solchen Bulldozern hat die IDF seitdem kontinuierlich Häuser zerstört (14, 15), Strassen komplett zerstört, wie aktuell in Jenin (16), lebenswichtige Infrastrukturen (Wasser, Strom, Abwasser) gezielt attackiert, und diese zum Beispiel für die Massenvertreibungen in den South Hebron Hills benutzt (17). Die Bulldozer werden zudem systematisch in Gaza-Genozid eingesetzt und haben dort etliche Verbrechen begangen (18), wie Friedhöfe zerstört (19). Es war ebenfalls ein D9 Bulldozer, der die friedliche ISM-Aktivistin Rachel Corrie 2003 ermordete (20). Bulldozers sind Mordwaffen und zerstören nicht nur Material, sondern auch Erinnerungen, Träume, Hoffnungen, Geschichten und Leben. All das kann als ethnische Säuberung anerkannt werden (21, 22), was einen Lieferanten gepanzerter Bulldozer wie Caterpillar Inc. zu einem legitimen Divestment-Ziel macht.

Nicht-militärische Institutionen und Events sind ebenfalls nicht automatisch unpolitisch. Auch wenn sie nicht in den Siedlungen aktiv sind, nehmen sie oftmals an dem System der Unterdrückung teil. So entwickeln Universitäten Strategien, Technologien und Wissen, die benutzt werden, um die Kolonisierung, die Apartheid und den aktiven Völkermord in Gaza zu ermöglichen (23). Zudem werden an Bildungsinstitutionen palästinensische Studierende diskriminiert und unterdrückt (24, 25, 26). Beispielsweise hat die University of Johannesburg bereits 2011 gehandelt und ihre Kooperation mit der Ben-Gurion Universität abgebrochen. Auch die dezentralen Studierendenbewegungen seit der Besetzungswelle ab Mai haben als zentrale Forderung den akademischen Boykott Israels (und berufen sich teilweise direkt auf die PACBI-Richtlinien, wie sie von BDS festgelegt wurden). Wir erkennen darin den fortschrittlichen und unterstützenden Charakter von BDS für die breitere Bewegung: durch Aufklärungsarbeit über die Verstrickung der israelischen Universitäten mit dem Genozid wird aufgezeigt, wogegen genau protestiert und wofür gekämpft wird; gleichzeitig wird an den Universitäten auf einer weiteren zivilgesellschaftlichen Ebene Druck ausgeübt. Die Bewegung kann die eigenen Grenzen überwinden und neue Gesellschaftsschichten in diesen Kampf einbinden und kohärente Forderungen formulieren. Beides ist in dieser Form nur durch die jahrzehntelange Vorarbeit von BDS möglich geworden. Mit dieser Resolution unterstützen wir somit auch die Studierendenbewegung, da ihre Strategie ebenfalls mit BDS verbunden ist.

Es ist Zeit, dass Israel sich an internationales Recht hält, und dass der globale Norden aufhört, mit Doppelstandards zu agieren. BDS ist eine gegenhegemoniale Strategie; pazifistisch und gezielt. Sie zielt auf keine Gemeinschaft, keine Religion, keine Identität. Sie vereinfacht nicht, sie verallgemeinert nicht, und unterscheidet zwischen Menschen und System. Unsere Position wird verdeutlichen, auf welcher Seite wir als Partei stehen. Was wir tun können, sind die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft und ihren Aufruf zu hören und entsprechend zu handeln. 20 Jahre nach Rwanda, fast 110 nach Armenien, und fast 80 nach dem Holocaust, stehen wir an einem Wendepunkt. 2024 wird das Jahr sein, in dem wir die Wahl hatten, uns zu engagieren oder lediglich zu beobachten. Nie wieder, für niemanden! (27)

Die JUSO Schweiz schliesst sich deshalb der Strategie der BDS an. Für die Beendigung des Apartheidsystems, das Ende des Genozids, ein Rückkehrrecht und Freiheit für alle Palästinenser*innen und Gleichbehandlung in der Region!

Quellen:

(1)https://juso.ch/de/positionspapiere/wir-verurteilen-die-systematische-unterdruckung-der-palastinensischen-bevolkerung-durch-den-israelischen-staat/
(2)https://juso.ch/de/positionspapiere/das-humanitare-desaster-muss-enden-freiheit-und-gerechtigkeit-fur-palastinenserinnen/
(3) https://www.icj-cij.org/node/203447
(4) https://press.un.org/en/2024/sc15641.doc.htm
(5) https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/suche/zvn/artikel/igh-gutachten-zum-maurbau
(6) https://www.unrwa.org/content/resolution-194
(7) https://www.icj-cij.org/case/186
(8) http://bds-kampagne.de/aufruf/aufruf-der-palstinensischen-zivilgesellschaft/
(9) https://boycottisrael.info
(10) https://www.nobusinesswithgenocide.org/
(11) https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/13549839.2015.1009825?needAccess=true
(12) https://www.jewishvoiceforpeace.org/resource-type/campaigns/
(13)https://www.amnesty.org/en/documents/mde15/5141/2022/en/
(14) https://www.ochaopt.org/data/demolition
(15)https://ccrjustice.org/home/get-involved/tools-resources/fact-sheets-and-faqs/factsheet-home-demolitions-and-caterpillar
(16)https://www.middleeastmonitor.com/20240907-israel-army-destroys-25-kilometres-of-jenin-streets/
(17)https://www.breakingthesilence.org.il/inside/wp-content/uploads/2019/08/BTS_South HillHebron_Booklet_ENG-2019.pdf
(18)https://www.commondreams.org/news/2020/02/24/war-crime-video-idf-bulldozer-dragging-body-palestinian-man-gaza-sparks-outrage
(19)https://edition.cnn.com/videos/world/2024/01/18/gaza-cemeteries-destroyed-diamond-l ead-dnt-vpx.cnn
(20) https://rachelcorriefoundation.org/
(21) https://press.un.org/en/2021/gapal1439.doc.htm
(22) Pappe, Ilian. The Ethnic Cleansing of Palestine, Israel: Oneworld 2006.
(23) https://visualizingpalestine.org/visual/academia-apartheid/
(24)https://www.hrw.org/report/2001/09/30/second-class/discrimination-against-palestinian-arab-children-israels-schools
(25) https://law.acri.org.il/en/2014/07/28/uni-gaza/
(26) https://www.haaretz.com/2014-07-22/ty-article/.premium/profs-words-on-stopping-terror-draws-ire/0000017f-dc6d-d856-a37f-fdedef790000
(27) https://ijan.org/2015/02/01/nafa/

Bildquelle: Foto von Jakub Żerdzicki auf Unsplash