Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 17.05.2024 in Sierre (VS)
Am 30. August 1965 ereignete sich auf der Baustelle des Mattmark-Staudamms ein schweres Unglück. Ein Teil des Gletschers, welcher sich oberhalb der Baracken der Arbeiter*innen befand, löste sich und stürzte auf diese nieder. 88 Menschen verloren ihr Leben – darunter 56 italienische Gastarbeiter*innen[1]. Was die damaligen Bundesbehörden als „Naturkatastrophe“ darzustellen versuchten, war in Wahrheit eine Folge bewusster Entscheidungen: Die Baracken wurden wissentlich an einem instabilen Ort errichtet um Zeit zu sparen und Kosten zu senken[2]. Dieses Unglück hätte verhindert werden können, wenn das Leben der Arbeiter*innen mehr gezählt hätte als Einsparungen beim Bauprojekt.
Doch: Das Leben von Menschen aus der Arbeiter*innenklasse – erst recht, wenn sie migriert sind – war den Behörden und dem Kapital damals wie heute wenig wert. Dieses schreckliche Unglück – das schwerste in der Schweizer Geschichte – war kein Einzelfall. Von 1965 bis 2025 haben sich die Zustände nur oberflächlich verändert: Rassistische Ausbeutung und tödliche Arbeitsunfälle dauern an!
Im Jahr 2024 wurden in der Schweiz 286’000 Fälle von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten bei den Versicherungen gemeldet[3]. Darunter waren auch mehrere tödliche Unfälle – so etwa der Einsturz eines Baugerüsts in Prilly am 13. Juli 2024, bei dem drei Bauarbeiter ums Leben kamen[4].
Gerade im Baugewerbe ist das Risiko durch extreme Wetterbedingungen besonders hoch.
Viele Arbeitgeber*innen ignorieren jedoch diese Risiken bewusst, um Baufristen um jeden Preis einzuhalten – selbst wenn das auf Kosten der Sicherheit ihrer Angestellten geht[5]. Migrantische Arbeiter*innen sind zudem überproportional häufig in gefährlichen, körperlich belastenden oder allgemein prekären Jobs tätig. Es gibt in der Schweiz also nach wie vor eine rassistische Arbeitsteilung.
Selbstverständlich haben sich die Arbeitsbedingungen seit Mattmark verändert. Damals mussten migrantische Arbeiter auf der Baustelle jeweils 11-Stunden-Schichten arbeiten, um die Maschinen rund um die Uhr, sechs Tage die Woche am Laufen zu halten[6]. Die Fortschritte dürfen jedoch nicht überschätzt werden: Die Schweiz liegt im Vergleicht mit anderen euroäischen Ländern, nach wie vor an der Spitze, was die effektive Wochenarbeitszeit bei Vollzeitstellen betrifft[7]. Und auch heute gilt: Arbeit – insbesondere in prekären Branchen – ist kein Mittel zur Selbstverwirklichung oder Emanzipation, sondern bleibt eine Form von Unterdrückung im Interesse einer besitzenden bürgerlichen Klasse. Ein klares Zeichen dafür: Der Anteil der Menschen, die sich bei der Arbeit gestresst fühlen, nimmt weiter zu – von 18 % im Jahr 2012 auf 23 % im Jahr 2022[8].
Daher fordert die JUSO:
- Die Einführung echter Arbeitsschutzmassnahmen, die nicht nur von Expertinnen entwickelt, sondern auch direkt mit den betroffenen Arbeiter*innen diskutiert werden.
- Das Ende der rassistischen Arbeitsteilung – migrantische Menschen dürfen nicht länger die ausgebeuteten „helfenden Hände“ der Schweiz sein.
- Die Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 25 Stunden.
- Langfristig: Die vollständige Vergesellschaftung der Produktionsmittel, um die Unterdrückung von Arbeiter*innen und Migrant*innen durch Lohnarbeit zu beenden – und ihre kollektive Befreiung zu ermöglichen!
[1] Sechzig Jahre später spukt die Tragödie von Mattmark immer noch in den Köpfen der Menschen herum | L'Evénement syndical. (2025, 3. April 3) https://www.evenement.ch/articles/soixante-ans-plus-tard-la-tragedie-de-mattmark-hante-toujours-les-esprits
[2] Mattmark oder die Chronik einer angekündigten Katastrophe - UNIGE. (2013, 18. Februar). https://www.unige.ch/lejournal/numeros/111/article5/
[3] Abgerufen am 24. April 2025, unter https://www.unfallstatistik.ch/f/publik/artikel/pdf/artikel_39_f.pdf
[4] Unfall auf der Baustelle: Das Parkhaus von Malley wird am Morgen wieder geöffnet (2024, Juli 13). 20 Minuten https://www.20min.ch/fr/story/prilly-vd-accident-de-chantier-le-parking-de-malley-lumieres-rouvre-en-matinee-103148207
[5] 50 Jahre Mattmark: Lasst uns weiterhin die Sicherheit am Arbeitsplatz verbessern. (s. d.). Abgerufen am 24. April 2025, unter https://unia.ch/fr/actualites/article/a/11442
[6] Mattmark oder die Chronik einer angekündigten Katastrophe - UNIGE. (2013, Februar 18) https://www.unige.ch/lejournal/numeros/111/article5/
[7] Mehr als 8 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr 2023-| Pressemitteilung. (s. d.). Mehr als 8 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr 2023 - | Pressemitteilung. Abgerufen am 25. April 2025, unter https://www.bfs.admin.ch/asset/fr/31025763
[8] Schweizerischer Gewerkschaftsbund. (2024, Mai 23). Zunahme von Stress, Mobbing und Krankheiten am Arbeitsplatz https://www.uss.ch/themes/travail/detail/augmentation-du-stress-du-harcelement-et-des-maladies-au-travail