90 Jahre 9. November 1932: Gedenken ist gut, kämpfen ist besser!

23.11.2022

Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 19. November 2022 in Basel (BS)

Am 9. November 1932 schoss die Schweizer Armee in Genf auf eine Arbeiter*innendemonstration gegen den Faschismus. Als Folge davon starben 13 Menschen und 65 weitere wurden verletzt. Einige Tage zuvor waren in der Genf Plakate der faschistischen Partei Union Nationale aufgetaucht, die dazu aufriefen, die sozialistischen Persönlichkeiten Nicole und Dicker öffentlich anzuklagen. Die Sozialistische Partei forderte daraufhin ein Verbot des faschistischen Treffens, aber der Verwaltungsrat (Gemeindeexekutive) hielt an seiner Entscheidung fest, den Saal zur Verfügung zu stellen. Daraufhin rief die Sozialdemokratische Partei zu einer Gegendemonstration auf und 4000 bis 5000 Personen folgten dem Aufruf. Der Regierungsrat, dem mitgeteilt wurde, dass die Polizeikräfte nicht ausreichen würden, wandte sich an die Bundesebene, die eine Rekrutenschule in den Einsatz schickte. Diese Rekrut*innen eröffneten das Feuer auf die Demonstrant*innen.

Der 9. November hat ein doppeltes politisches Erbe, das antimilitaristische und das antifaschistische, wobei beide natürlich miteinander verbunden sind.

Was den Antimilitarismus betrifft, so muss die Armee als Mittel zur Verteidigung der Interessen der herrschenden Klasse verstanden werden. Nach aussen hin ermöglichen die von Armeen geführten Kriege den Kapitalist*innen den Zugang zu natürlichen Ressourcen und die Erschliessung von Märkten. Nach innen – und das ist viel interessanter im Fall der Schweiz - ermöglicht das Militär den Aufbau einer nationalen Einheit, die die auf Klasse, Geschlecht und Ethnie basierenden Herrschaftsverhältnisse auslöscht. Nach dieser Logik ist der Feind also nicht die herrschende Klasse, sondern es sind die Ausländer*innen. Wenn diese nationale Einheit jedoch Risse bekommt und der Kampf gegen die Unterdrückungssysteme an Stärke gewinnt, ist das Militär da, um die (herrschende) Ordnung wiederherzustellen. Die bewaffnete Intervention nach innen ist der Zwang, der in Gang gesetzt wird, wenn die Zustimmung nicht mehr ausreicht. In diesem Zusammenhang kann man das Eingreifen der Armee in Grenchen während des Generalstreiks von 1918 oder eben jenes vom 9. November 1932 nennen. Heute ist es absolut zentral, eine konsequente antimilitaristische Position zu vertreten, in Zeiten in denen der russische Angriffskrieg in der Ukraine von der Rechten genutzt wurde, um das Armeebudget massiv zu erhöhen und den Kaufvertrag für die F-35 vor der Abstimmung über die Initiative Stop F-35 zu unterzeichnen.

Was die antifaschistische Dimension betrifft, so muss man unter anderem den Faschismus als autoritäre und hasserfüllte Lösung als letztes Mittel für einen Kapitalismus in der Krise verstehen. Dies war 1932 der Fall, drei Jahre nach der Krise von 1929. Die Union Nationale, die Partei hinter der Versammlung, gegen die die niedergeschlagene Demonstration gerichtet war, entstand aus dem Zusammenschluss zweier Parteien, die den Unternehmerkreisen nahestanden, und zeichnete sich durch die Verteidigung eines autoritären Staates, wirtschaftlichen Korporatismus, Antimarxismus und Antisemitismus aus - allesamt Merkmale einer faschistischen Partei. 90 Jahre später befinden wir uns erneut in einer organischen Krise des Kapitalismus. Auf internationaler Ebene steigt die extreme Rechte überall an. Allein in unseren Nachbarländern haben wir Le Pen und Zemmour in Frankreich, Meloni und Salvini in Italien, die AfD in Deutschland etc. Aber wenn wir die internationale Lage mit Sorge beobachten, dürfen wir nicht vergessen, dass die seit 2003 grösste Partei der Schweiz, die SVP, eine nationalistische, islamophobe, queerphobe, antifeministische und klimaleugnende Partei ist und als Vorbild für viele rechtsextreme Figuren in den Nachbarländern dient. Die Grenzen zwischen der SVP und faschistischen Kreisen sind im Übrigen porös. So wurden in den letzten Jahren Mitglieder der SVP - und insbesondere der Jungen SVP - auf Konferenzen faschistischer Gruppierungen gesehen oder sind sogar Mitglieder einer faschistischen Gruppierung. Faschistische Gruppierungen zögern nicht mehr, sich auf der Strasse zu zeigen. So führte die Neonazigruppe Junge Tat eine Demonstration gegen die Covid-Massnahmen in Bern an, während die faschistische Gruppe Résistance Helvétique in Genf das Gleiche tat. Vor wenigen Wochen tauchten Mitglieder der Jungen Tat mit einem queerphoben Banner und Rauchpetarden vor einer Dragqueen-Lesung für Kinder auf und riefen faschistische Parolen. Später bekannten sie sich auf den sozialen Medien mit unverdecktem Gesicht zur Aktion.

Die Ereignisse von 1932 sagen uns auch etwas über das Wesen des Staates. So zeigt die Entscheidung, die Armee gegen antifaschistische Demonstrant*innen einzusetzen, dass sich der bürgerliche Staat auch nur in minim revolutionärem Klima zwischen der Linken und den Faschist*innen immer für die Seite der Faschist*innen entscheiden wird. Ausserdem erinnert uns die Entscheidung, die faschistische Versammlung unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit nicht zu verbieten, an Argumente, die wir heute hören und die eine ernsthafte Verharmlosung der Gefahren des Faschismus darstellen.

Der Militarismus und auch der Faschismus ermöglichen es, den Kapitalismus an der Macht zu halten und den bürgerlichen Staat durch repressive Gewalt und Hetze zu bewahren. Sie spielen auch eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des patriarchalen Systems. So vermitteln beide eine übersteigerte maskuline Ideologie. So ist es die Aufgabe des Mannes, sein Vaterland und seine Familie zu schützen und diese im Rahmen einer traditionell bürgerlichen Familie zu versorgen. Der Kampf gegen diese Ideologien ist daher genauso Teil des feministischen Kampfes.

90 Jahre nach dem 9. November 1932 ist der Aufstieg der Rechtsextremen und die Tatsache, dass sie es hemmungsloser wagen, in der Öffentlichkeit aufzutreten, ist ein höchst beunruhigender Trend. Heute wie damals dürfen wir nicht tatenlos zusehen, sondern müssen aktiv gegen diese hasserfüllte Ideologie ankämpfen.

Deshalb fordert die JUSO Schweiz:

  • Die öffentliche Finanzierung von antifaschistischer Arbeit, darunter insbesondere Recherche, Studienaufträge und Erinnerungsarbeit.
  • Eine Fachstelle in der Verwaltung ausserhalb der Polizeikräfte, die sich mit rechtsextremen Entwicklungen beschäftigt und Massnahmen ergreifen kann.
  • Eine unabhängige Fachstelle für Rechtsextremismus, die bei Fragen zu Rechtsextremismus und Faschismus eine Beurteilung abgeben kann und zivilgesellschaftlich tätig ist.
  • Einen vom Bund offiziell anerkannten Gedenktag für die Opfer von rechtsextremer und faschistischer Gewalt.
  • Umfassende Programme zur Resozialisierung von rechtsextremen Straftätern und Ausstiegsprogramme für jene, die heute in den rechtsextremen Szenen tätig sind.
  • Das Verbot von rechtsextremen und faschistischen Symbolen wie das Hakenkreuz.
  • Eine Opferberatungsstelle, die Opfer von rechtsextremer Drohungen und Gewalt unterstützt und schützen kann.
  • Einen anderen Umgang der Medien mit Rechtsextremismus, der falsche Ausgewogenheit vermeidet, Rechtsextremismus klar benennt und den Gruppierungen nicht für die eigene mediale Reichweite eine Bühne bietet.