Ableismus konsequent bekämpfen!

19.02.2024

Resolution verabschiedet an der Jahresversammlung der JUSO Schweiz vom 17. und 18. Februar 2024 in Bern-Bümpliz

Ableismus ist tief in unserer Gesellschaft verankert. Der Begriff bezeichnet die strukturelle Diskriminierung von behinderten und/oder chronisch kranken Menschen. Ableismus beinhaltet nicht nur bewusste Diskriminierung. Dieser Diskriminierung liegt ein System zugrunde, in dem gewisse Fähigkeiten als essenziell angesehen werden und Menschen so nur als wertvoll betrachtet werden, wenn sie Leistung erbringen. Diese Fähigkeitsnormen sind allerdings bloss gesellschaftlich konstruiert und zeigen sich in allen Bereichen unseres Lebens. Sprachliche Begriffe oder Redewendungen, das Bild eines "gesunden", sprich nicht-behinderten Körpers, die Reduktion auf Behinderungen, wie auch Stigmatisierung sind wesentliche Teile, die überwunden werden müssen. Unser gesamtes gesellschaftliches Leben ist für den imaginären “fähigen”, nicht-behinderten Menschen gebaut. Dies gilt es aufzudecken und an Ableismus an seinen Wurzeln zu bekämpfen, damit alle, unabhängig von einer möglichen Behinderung, ein würdiges Leben führen können.

In der Schweiz gelten gemäss Zahlen des Bundes rund 22% der Menschen als behindert und leiden in unterschiedlichem Ausmass unter diesem System.[1] Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) fordert den Abbau aller Barrieren, die eine gleichberechtigte Teilnahme am Leben verhindern. Die Schweiz hat 2014 die UN-BRK ratifiziert, doch auch seither hat die institutionelle Politik nicht viel getan. So wurde die Schweiz 2022 vom UN-Ausschuss kritisiert, dass die Forderungen der BRK auf allen Staatsebenen und in der Gesellschaft zu wenig umgesetzt wurden. Es fehlt an einer Strategie, klaren Zielen und Zuständigkeiten, um die nötigen Veränderungen umzusetzen. Bei diesen Zielen handelt es sich zu grossen Teilen um grundlegende Menschenrechte. Die Schweiz zeigt sich weit weg von einer in der BRK skizzierten inklusiven Gesellschaft, in der nicht-behinderte wie behinderte Menschen gleichberechtigt leben. In allen wichtigen Lebensbereichen mangelt es an gleichen Möglichkeiten. So werden zum Beispiel im Bildungssystem und in der Wirtschaft viele behinderte Menschen separiert, selbstbestimmtes Wohnen und die selbstständige Nutzung des öffentlichen Verkehrs ist für viele nicht möglich. Die IV als staatliche Institution für die Unterstützung behinderter Menschen funktioniert zu langsam, vergibt Unterstützung zu restriktiv und zeigt auf, dass die institutionelle Sicht auf Behinderung ableistisch ist.

Für die Umsetzung der BRK bräuchte es eine grundlegende Neuauslegung bestehender Gesetze und Institutionen, damit alle Gebäude, Räume und Veranstaltungen barrierefrei zugänglich sind. Der Begriff der Barrierefreiheit wird oftmals so verstanden, dass ein Gebäude oder der öffentliche Verkehr resp. Teile davon rollstuhlgängig sind. Doch eine Stufe ist nur eine von vielen Barrieren: Alles, was behinderte Menschen an einer selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben hindert, stellt eine Barriere dar. Eine Umgebung mit vielen Reizen, fehlende Toiletten, Informationen, die nicht in leichter Sprache verfügbar oder nur mit einem der Sinne wahrnehmbar sind. Das sind nur wenige von vielen weiteren Barrieren, denen behinderte Menschen täglich ausgesetzt sein können. Solche Diskriminierungserfahrungen liegen nicht bloss in einer Dimension vor. Mehrfachdiskriminierungen gibt es im Alltag häufig, besonders bei queeren und geflüchteten Menschen.

Die Inklusionsinitiative, die sich aktuell in der Sammelphase befindet, fordert die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von behinderten Menschen in allen Lebensbereichen sowie ihr Recht auf freie Wahl des Wohnortes und der Wohnform. Die Schweiz soll die BRK konsequent umsetzen. Dies ist ein wichtiger und nötiger Schritt, um Barrieren zu verringern. Trotzdem bleibt ein oberflächlicher Abbau von Barrieren keine Lösung für die tieferliegenden ableistischen Strukturen.

Wie so oft reichen institutionelle Lösungen nicht aus, um die tiefgreifenden ableistischen Diskriminierungsstrukturen konsequent zu bekämpfen. Ableismus basiert auf Fähigkeitsnormen, woraus Diskriminierung entsteht. Ein antiableistischer Gegenentwurf zur heutigen Welt muss also genau diesen Grundsatz in Frage stellen und Ableismus so an seiner Wurzel bekämpfen. Diese antiableistische Systemkritik fehlt heute im öffentlichen Diskurs genauso, wie der JUSO eine antiableistische Analyse und Positionen fehlen. Um dies zu ändern, muss einerseits die antiableistische Arbeit priorisiert werden. Andererseits muss die JUSO ihre Zugänglichkeit und ableistische Strukturen innerhalb der Partei erkennen und auflösen.

Es ist klar, dass die Unterdrückungssysteme tiefgreifend miteinander verbunden sind, sich überschneiden und gegenseitig verstärken. Eine andere Welt lässt sich nur bauen, wenn wir unsere Kämpfe verbinden. Der Kampf gegen Ableismus muss zur intersektionalen Analyse dazugehören. Linke Utopien müssen die konstruierten, ableistischen Fähigkeitsnormen klar benennen, um sie zerschlagen zu können


[1]https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/wirtschaftliche-soziale-situation-bevoelkerung/gleichstellung-menschen-behinderungen/behinderungen/individuelle-merkmale.html#:~:text=Pr