Resolution verabschiedet an der ao. Jahresversammlung der JUSO Schweiz vom 29. Juni 2024 in Solothurn
Seit anfangs 2020er Jahre nehmen reaktionäre queerfeindliche und insbesondere transfeindliche Angriffe im Westen, einschliesslich der Schweiz, zu.
Die jüngste Eskapade der SVP, ein islamfeindliches und homofeindliches Plakat, zeigt, dass die grösste Partei der Schweiz heute queere Menschen vollkommen in ihre offiziellen Feindbilder aufgenommen hat.[1]
Abgesehen von der Kommunikation wird seit drei Jahren aktiv eine transfeindliche Politik in den Schweizer Parlamenten betrieben.
Kantonal werden in den Parlamenten transfeindliche Gesetzesentwürfe diskutiert, die die Selbstbestimmung und die Gesundheit von trans Personen gefährden.[2] Ein Angriff reaktionärer Eltern führte beispielsweise dazu, dass das Genfer Bildungsdepartement auf eine Verbesserung des Sexualkundeunterrichts verzichtete.[3] Die SVP ist eine zentrale treibende Kraft hinter diesen politischen Projekten gegen trans und generell queeren Menschen. Sie hat dies 2023 besonders deutlich gemacht, indem sie den Kampf gegen den "Woke-Wahnsinn" zu einem ihrer Wahlkampfthemen bei den eidgenössischen Wahlen machte[4] und an mehreren Orten in der Schweiz gegen Lesungen von Drag Queens vorging.[5][6]
Diese transfeindliche Politik wird von den bürgerlichen Medien legitimiert, die zahlreiche Artikel für transfeindliche Desinformation zur Verfügung stellen. Der Tages-Anzeiger zum Beispiel veröffentlichte in diesem Jahr monatlich einen oder mehr transfeindlichen Artikel. Diese Haltung zeigt sich auch im Service Public, der nicht zögert, mehrere extrem einseitige Berichte[7] über die Detransition zu schreiben, obwohl es sich dabei um ein komplexes und marginales Phänomen handelt.
Diese reaktionäre Bewegung ist global und hat in vielen Ländern bereits grossen Schaden angerichtet. In den USA wurden nun im vierten Jahr in Folge mehr transfeindliche Gesetze verabschiedet als im Vorjahr.[8] Die Lügenpropagandastrategie der Anti-trans-Bewegung findet auch auf globaler Ebene statt, indem regelmässig medizinische Berichte oder sensationalistische Artikel veröffentlicht werden, die versuchen, die Relevanz des geschlechtsangleichenden Ansatzes in Frage zu stellen. Obwohl diese Artikel keine wissenschaftliche Grundlage haben, werden sie weit verbreitet.[9]
Die Angriffe auf trans Menschen gehen uns alle was an
Die Angriffe auf die Rechte von trans Menschen finden nicht isoliert statt. Sie sind das Produkt eines weissen zivilisatorischen Programms, das von der extremen Rechten und einem Teil der traditionellen bürgerlichen Rechten getragen wird. Dieses Programm hat eine Erstarkung der traditionellen Familie als Lebensform zum Ziel. Um das zu erreichen, will es Lebensweisen beseitigen, die von diesem Standard abweichen. In erster Linie betrifft das also queere Menschen.
Um eine Erstarkung der traditionellen Familie zu erreichen[10], werden aber auch Angriffe auf die Selbstbestimmung von Menschen mit Gebärmüttern verübt, insbesondere auf das Recht auf Abtreibung. Der natalistische Aufruf zur "demografischen Aufrüstung" des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist ein gutes Beispiel dafür.[11] Dieses Programm korreliert mit der immer unmenschlicheren Migrationspolitik der westlichen Staaten und der Zunahme von Rassismus.
Was wir vor unseren Augen sehen, ist der krisengeschüttelte Kapitalismus, der sich auf einen Krieg vorbereitet und uns alle mit in den Abgrund reissen wird, wenn wir ihn nicht aufhalten.
Kämpferisches Engagement statt Assimilierung
Die Existenz dieser gewalttätigen Angriffe auf die Recht und Leben von trans Menschen scheint angesichts der sichtbaren gesellschaftlichen Fortschritte, insbesondere der Einführung der Ehe für Alle im Jahr 2021 und der Popularität vieler trans und queeren Berühmtheiten in der Popkultur, widersprüchlich zu sein.
Diese Phänomene sind jedoch zwei Seiten derselben Medaille. Die mit der neoliberalen Wende verbundene Liberalisierung und Individualisierung der queeren und insbesondere der homosexuellen Community hat sie ihrer Kampfkraft und ihrer kollektiven Mobilisierungsstärke beraubt. Ein grosser Teil der Bewegung hat eine Assimilation in die bürgerliche Gesellschaft akzeptiert und auf eine kollektive Befreiung verzichtet.
Dies kann so nicht weitergehen! Trans und queere Personen sowie die Arbeiter*innenklasse im Allgemeinen müssen sich heute kollektiv und solidarisch dem reaktionären Programm stellen, das unsere Existenz bedroht. Nur wenn wir die Verbindungen zwischen den Kämpfen erkennen, können wir die Grundlagen für ein gutes Leben für alle aufbauen.
Doch Assimilierung ist kein unabwendbares Schicksal, und viele Bewegungen und Organisationen haben dies bereits festgestellt. Breite Demonstrationen, auch in der Schweiz (am 13. April in Genf, organisiert vom Collectif radical d'action queer, und am 20. April in Zürich, organisiert von mehreren Gruppen, darunter die JUSO der Stadt Zürich) haben es über die trans Community hinaus geschafft, Letzteres mit radikalen und systemischen Forderungen zu vereinen.
Wir rufen die queere Bewegung zur internationalen Solidarität und zur Annahme einer kämpferischen Logik auf.
Darüber hinaus fordert die JUSO Schweiz auf nationaler Ebene:
- Die Entpathologisierung und die volle Erstattung der Kosten von Transitionen in jedem Alter;
- Die Verankerung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung in der Bundesverfassung;
- Die Anwendung ethischer Standards für Medien, die über transbezogene Themen berichten, insbesondere eine Verpflichtung, mit einer Stellungnahme den allfälligen Verstoss gegen den wissenschaftlichen Konsens zu erläutern;
- Die Ausweitung der Strafnorm 261bis auf transfeindliche Diskriminierung;
- Kurzfristig die Einführung eines dritten Geschlechtseintrags im Zivilstandsregister; mittelfristig die Abschaffung des Geschlechtseintrags im Zivilstandsregister.[12]
[1] Basel verbiete «Woke»-Plakat der JSVP gegen Antisemitismus, 20 minuten, 8 mai 2024, en ligne [Stand: 14. Mai 2024]
[2] PL 13324, Grand conseil genevois. En ligne [Stand: 14. Mai 2024]
[3] Genève fait marche arrière sur l’éducation sexuelle en 3e primaie, Blick, 28 mars 2024, en ligne [Stand: 14. Mai 2024]
[4] Immigration, wokisme, neutralité: l’UDC lance sa campagne pour les élections fédérales. RTS, 26 août 2023, en ligne [Stand: 27. Mai 2024]
[5] Lecture avec une drag queen: le canton répond, Frapp, 29 septembre 2023, en ligne [Stand: 27. Mai 2024]
[6] La surenchère de l’UDC contre les drag queens, Le Matin, 10 octobre 2023, en ligne [Stand: 27. Mai 2024]
[7] SANTÉ SEXUELLE SUISSE soutient les critiques des organisations LGBTI+ contre l’émission télévisée « Temps présent » sur le thème de la détransition, en ligne [Stand: 14. Mai 2024]
[8] Trans legislation tracker, en ligne [Stand: 14. Mai 2024]
[9] The Cass Review, WPATH Files, and The Perpetual Debat over Gender-Affirming Care. Julia Serano. 23 avril 2024, en ligne [Stand: 27. Mai 2024]
[10] Mit traditioneller Familie ist hier die Kernfamilie gemeint, die aus zwei Elternteilen und einer bestimmten Anzahl von Kindern (oft zwei) besteht, im Gegensatz z. B. zu Einelternfamilien, gleichgeschlechtlichen Eltern oder auch Patchwork-Familien.
[11] « Le réarmement démographique » : un retour des valeurs natalistes ? CGT, 6 mars 2024, en ligne [Stand: 14. Mai 2024]
[12] Zum Thema Geschlechtseintrag im Zivilstandsregister siehe auch unser Positionspapier zu Feminismus