Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm - eine wichtige Massnahme trotz limitiertem Wirkungsbereich

03.05.2023

Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 22. April 2023 in St. Gallen (SG)

Seit 1995 sind in der Schweiz einige Formen der Diskriminierung strafbar, nachdem kurz zuvor der Artikel 261bis im Strafgesetzbuch in einer Volksabstimmung angenommen wurde.

Emanzipation und Verschiebung des Diskurses

Diese Abstimmung war ein Sieg der antirassistischen Kräfte, denn das Strafrecht hat in der Gesellschaft eine besonders starke symbolische Wirkung. Wenn ein Verhalten strafbar ist, wird es von der Mehrheitsgesellschaft tendenziell als negativ bewertet. Durch die Verankerung eines Diskriminierungsverbots im Strafrecht wird Diskriminierung sowie die Erfahrungen von Betroffenen sichtbarer und in der Gesellschaft wird die Sichtweise gestärkt, dass Diskriminierung etwas Negatives ist. Darüber hinaus hat die Verankerung des Diskriminierungsverbots im Strafrecht dazu geführt, dass Diskriminierungsbetroffene sich zum Teil stärker ermächtigt fühlten, öffentlich ihre Stimmen zu erheben und sich entsprechend gegen Diskriminierung zu wehren.

Zu starke Einschränkung von Diskriminierungsmerkmalen und -formen

Allerdings gibt es auch zahlreiche legitime Kritikpunkte am strafrechtlichen Diskriminierungsverbot. Denn die Diskriminierungsmerkmale und -formen, die unter der aktuellen Diskriminierungsstrafnorm bestraft werden können, sind einerseits sehr beschränkt und weisen andererseits auf ein mangelhaftes Verständnis von Diskriminierungsmechanismen hin.

So kann nach geltendem Recht nur bestraft werden, wer jemanden aufgrund von “Rasse, Ethnie, Religion oder sexueller Orientierung” diskriminiert. Dies ist aus mehreren Gründen problematisch:

So hat die Verwendung des Wortes “Rasse” gleich selbst eine diskriminierende Wirkung, da mit dessen Verwendung suggeriert wird, dass es tatsächlich verschiedene “Menschenrassen” geben würde. Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage für die Unterteilung von Menschen in Rassen, es handelt sich dabei klar um eine rückständige, rassistische Ideologie.

Die Verwendung dieses Begriffes verschleiert also, dass Menschen nicht aufgrund einer biologischen Tatsache, sondern aufgrund von rassistischen Zuschreibungsprozessen diskriminiert werden. Durch diese “enge” Rassismusdefinition kann die Diskriminierungsstrafnorm ihre angestrebte Wirkung nicht ausreichend entfalten, denn rassistische Argumentationslinien haben sich verändert. “Rasse” wurde mittlerweile von der “neuen Rechten” weitgehend durch den Begriff “Kultur” ersetzt, die rassistischen Narrative und die Strategie dahinter blieben jedoch weitgehend gleich. Diskriminierungen, die sich spezifisch gegen Nationalitäten oder definierten Gruppen wie “Asylsuchende” und “Ausländer*innen” per se richtet, sind nicht strafbar, obwohl rassistische Diskriminierung und Unterdrückungung über solch zugeschriebenen Merkmale abläuft. Auch darüber hinaus sind die vier in diesem Gesetzesartikel aufgezählten Diskriminierungsmerkmale sehr limitiert. So ist etwa die Diskriminierung einer Person aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder aufgrund von Behinderungen nicht strafbar. “Sexuelle Orientierung” als Diskriminierungsgrund wurde erst nach der Volksabstimmung über die entsprechende Ausweitung der Diskriminierungsstrafnorm im Jahr 2020 hinzugefügt.

Hinzu kommt, dass das Gesetz die gesellschaftlichen Machtstrukturen und die systemischen Aspekte von Diskriminerung ausser Acht lässt. So kann etwa eine weisse Person mit Schweizer Pass nicht rassistisch diskriminiert werden, da es keine gesellschaftlichen Machtstrukturen gibt, die weisse Menschen systematisch abwerten und entmenschlichen. Diskriminierung äussert sich nicht in isolierten Handlungen und hat stets auch mit dahinterliegenden Machtstrukturen zu tun - entsprechend wirkt sie nicht symmetrisch gegen alle Personen, sondern spezifisch gegen jene, die einer oder mehreren marginalisierten Gruppe(n) angehören.

Schliesslich sind die Formen von Diskriminierung, welche bestraft werden können, sehr beschränkt. So ist einerseits die Verweigerung einiger “öffentlich angebotener Leistung” aus diskriminierenden Motiven strafbar, beispielsweise , wenn jemandem der Zutritt zu einem Club verwehrt wird. Die Nichtanstellung einer Person oder die Verweigerung einer Wohnung aufgrund von Diskriminierung kann jedoch, anders als eklatanter Hate Speech, nicht bestraft werden. Insgesamt wird also nicht Diskriminierung per se, sondern vor allem Hetze von diesem Straftatbestand erfasst. Die geltende Regelung geht damit von einem äusserst engen Verständnis von Diskriminierungen aus. Damit wird Diskriminierung reduziert auf ein individuelles, Phänomen, das entsprechend auch individuell sanktioniert werden kann. Strukturelle Diskriminierungen - und insbesondere auch staatliche Diskriminierung und Repression, - werden damit jedoch ausgeblendet.

Gesellschaftliche Auswirkungen

In der Gesellschaft, in den Medien und der Politik werden Diskriminierungen nicht selten mit Verstössen gegen das bestrafte Diskriminierungsverbot gleichgesetzt. Dabei entsteht die Annahme, dass ausschliesslich strafbare Handlungen diskriminierend sind.. Das gesellschaftliche Verständnis von Diskriminierung wird entsprechend stark eingeengt.

Die strafrechtliche Verankerung von Diskriminierung ist zudem problematisch, weil das Strafrecht im bürgerlichen Staat im Generellen stets auch die geltenden Herrschaftsverhältnisse verteidigt, einen stark repressiven Charakter hat und dabei unterdrückte Gruppen weiter marginalisiert. Darüber hinaus handeln auch Polizei und Strafjustiz in diskriminierender Weise. Aus diesen Gründen verwundert es nicht, dass die Staatsanwaltschaften und Gerichte den sowieso engen Anwendungsbereich des Diskriminierungstatbestandes nochmals enger auslegen. Es erscheint daher illusorisch, von der Anwendung des Strafrechts und des Diskriminierungsverbots durch die Behörden die Überwindung von Diskriminierungsstrukturen zu erwarten.

Das Recht wirkt auch ausserhalb der Institutionen, die dieses anwenden und kann gesamtgesellschaftliche Werthaltungen beeinflussen. Wie bereits erläutert, hat der Diskriminierungstatbestand eine Wirkung auf die Gesellschaft und kann vermitteln, dass Diskriminierungen unerwünscht sind.

Deswegen fordert die JUSO Folgendes:

  • Das Ersetzen des Begriffs “Rasse” im Gesetztestext durch den Begriff “rassistische Diskriminierung”
  • Die Ausdehnung der Diskriminierungsmerkmale auf Zuschreibungskonstrukte wie beispielsweise “Nationalität”, asyl- und ausländerrechtlichen Status, Geschlechtsidentität und Behinderungen
  • Systemische Machtstrukturen sollen Voraussetzung für die Erfüllung des Diskriminierungstatbestandes sein
  • Die Ausweitung der strafbaren Diskriminierungsformen auf die diskriminierende Verweigerung von Arbeits- und Mietverträgen sowie die Strafbarkeit von Gründung und Mitgliedschaft in Vereinigungen mit diskriminierendem Zweck

Wir sind überzeugt, dass diese Änderungen kurz- und mittelfristig zu einer höheren Emanzipation marginalisierter Gruppen und Personen führen können. Es wäre jedoch illusorisch zu glauben, dass mit dem Strafrecht, einem Mittel des bürgerlichen Staates, der selbst inhärent diskriminerend ist, eine vollständige Überwindung von Diskriminierung erreicht werden kann. Dies muss durch andere Mittel geschehen.