Bildung und Ausbildung für alle!

04.05.2013

Positionspapier verabschiedet von der DV der JUSO Schweiz vom 4. Mai 2013

Einleitung

Bildung und Ausbildung sind zentrale Aufgabe einer aufgeklärten, fortschrittlichen und demokratischen Gesellschaft. In dieser Gesellschaft ist es also Aufgabe des Staates, den Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle Menschen zu garantieren. Dieses Ideal wurde in der Schweiz noch nie erreicht: der sozioökonomische Hintergrund, Geschlecht und Migration sind heute für den Bildungsweg ausschlaggebender als die persönlichen Fähigkeiten und Neigungen. Deshalb ist es Aufgabe der Politik, Massnahmen zu ergreifen, welche die Segregation und Selektion in der Bildung aufbrechen.

Diese Massnahmen müssen gesellschaftsübergreifend und nicht auf individueller Ebene angesiedelt werden. Denn der einzelne Mensch und die Familie sind keine isolierten Einheiten. Sie sind in der Umwelt und Gesellschaft eingebettet und diese lassen sich politisch beeinflussen. Sie sind überdies auf der nationalen und internationalen Ebene zu treffen. Denn die teilweise riesigen kantonalen Unterschiede in den Bildungssystemen verstopfen die Durchlässigkeit der Schweizerischen Bildungslandschaft mitunter erheblich.

Wir Jungsozialist_innen setzen uns deshalb für ein gesamtschweizerisches Bildungssystem ein, das allen die Möglichkeit gibt, seinen oder ihren Interessen und Fähigkeiten nachzugehen und niemanden aufgrund von sozialem und wirtschaftlichem Hintergrund, Geschlecht, Migration oder ihrer vorgängigen Bildung ausschliesst oder in bestimmte Bildungswege drängt. Das kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftssystem profitiert von dieser Chancenungleichheit. Darum ist für uns Jungsozialist_innen klar, dass das Engagement für ein fortschrittliches Bildungssystem auch den Kampf für eine andere Wirtschaft bedingt.

Jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen

Grundlage aller Forderungen und Massnahmen ist unser Verständnis von Bildung: Das Ziel der aufgeklärten Bildung in der Schule sind selbstbewusste und selbstbestimmte Menschen. Diese sind Grundlage für das Funktionieren einer Demokratie.

Das Ziel jeder Ausbildung ist die Befähigung der Menschen, ihr Leben ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechend gestalten zu können. Im Zentrum steht folglich nicht der Leistungsgedanke. Es sollen nicht möglichst viele Produktivkräfte für den Arbeitsmarkt geschaffen werden. Der einzelne Mensch mit seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen steht im Zentrum. Diese zu fördern und zu befriedigen ist Aufgabe der Politik. In einem guten Bildungssystem entscheiden nicht Herkunft, Geschlecht oder finanzielle Möglichkeiten über den Bildungsweg, sondern die jeweiligen Fähigkeiten und Interessen.

Bildung und Ausbildung gehören von der Gesellschaft garantiert!

Im heutigen Schulsystem aber gibt es genau diese Chancengleichheit nicht. Mit zunehmenden Zulassungsbeschränkungen, finanzieller Selektion und einer Verknappung des Angebotes können tendenziell nur noch Kinder und Jugendliche von Bildung profitieren, die reiche, bildungsnahe Eltern haben. Damit wird das Bildungsideal der Zugänglichkeit je länger je mehr untergraben.

Die zunehmende Ökonomisierung der Bildung ist überdies eine Gefahr für ihre inhaltliche Qualität. Ziel von qualitativ hochstehender Bildung ist nicht die Versorgung der Wirtschaft mit gleichgeschalteten, unkritischen Pflichterfüller_innen.

Es braucht Massnahmen gegen Selektion und Segregation!

Die nachfolgenden Forderungen sind Ansatzpunkte, Selektion und Segregation im Schulsystem zu bekämpfen. Selektion in der Bildung bedeutet die Zementierung von Ungleichheit in der Gesellschaft und führt konkret dazu, dass ärmeren Menschen und denjenigen aus bildungsfernem Umfeld der Bildungszugang und damit der soziale Aufstieg verwehrt bleibt.

Segregation zeigt sich dann, wenn in Klassen oder Berufen keine Durchmischung stattfindet. Die Verschiedenheiten treten wegen der Kultur, den Bedingungen des Aufwachsens, der Sprache, des Geschlechts, des Alters und der Lernvoraussetzungen auf. Besonders wichtig ist die Herkunft: Wer einen Migrationshintergrund hat, wessen Eltern bildungsfern oder schlicht arm sind, hat nachweislich schlechtere Chancen. Denn dann fehlt einerseits die Unterstützung der Eltern, die sie weder finanziell mit Nachhilfe noch zeitlich beim Lernen unterstützen können. Ihre schulischen Leistungen sind schwächer, sie erhalten weniger oft eine Empfehlung für das Gymnasium und haben es schwerer bei der Lehrstellensuche. Für uns ist klar, dass gerade soziale und ökonomische Unterschiede, die zu den unterschiedlichen Chancen im Bildungssystem führen, in erster Linie bei ihrer Entstehung bekämpft werden müssen. Trotzdem sollten auch Massnahmen ergriffen werden, die seitens des Bildungssystems für mehr Chancengleichheit sorgen.

Frühkindliche Erziehung Unsere Idee von Bildung und Ausbildung

In Kitas werden unbestritten wichtige soziale Kompetenzen erworben. Hier werden Kinder professionell betreut und können dank dem entwicklungspsychologischen und pädagogischen Wissen der Betreuenden nach ihren Interessen gefördert werden. Gleiches gilt für den Kindergarten. Er ist eine wichtige Vorbereitung auf das spätere Leben.

Bildung und Ausbildung von der Gesellschaft garantiert

Jedes Kind hat ein Recht auf frühkindliche Bildung. Der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot für alle muss vom Staat garantiert werden. Deshalb braucht es in der ganzen Schweiz für alle zugängliche Ganztagesangebote im Bereich der frühkindlichen Betreuung.

Der Kindergarten muss für alle obligatorisch werden. Oftmals besuchen Kinder aus weniger integrierten Familien ihn nicht – sei es aus Unwissen oder aus familiären oder sozioökonomischen Gründen. Die Chancengleichheit wird somit bereits im Kindergarten in Frage gestellt.

Massnahmen gegen Selektion und Segregation

Das Beispiel der Stadt Bern zeigt, dass der Zugang zu guten Kindertagesstätten (Kitas) immer mehr nur für wohlhabende Familien möglich ist. Auf der Warteliste für staatliche oder subventionierte Betreuungsplätze stehen 1400 Kinder – gleich viele, wie es Vollzeitbetreuungsplätze gibt. Die betroffenen Eltern müssen auf private Kitas ausweichen, die für sie nicht bezahlbar sind oder zu Dumpingpreisen eine miserable Qualität bieten.

Diese Entwicklung zu Zweiklassen-Kitas benachteiligt Familien mit wenig finanziellen und zeitlichen Ressourcen. Sie können weder ihre Kinder in gute Kindertagesstätten schicken, noch haben sie die Zeit, ihre Kinder selber zu betreuen. Darum braucht es ein staatlich betriebenes Kinderbetreuungswesen, welches den Familien sämtlicher Bevölkerungsschichten gleichermassen kostenlos zu Verfügung steht. Ausserdem müssen für pädagogische Massenahmen und die Infrastruktur Mindeststandards für definiert und die Kitas der kantonalen Bildungsdirektion unterstellt werden, damit eine gute Betreuung und anständig bezahltes Personal garantiert werden kann.

Primarstufe Unsere Idee von Bildung und Ausbildung

Die obligatorische Schulzeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Öffentliche Grundschulen sind ein zentraler Teil des demokratischen Staates. Andere Akteur_innen dürfen darin keine Rolle spielen. Die Öffentlichkeit darf darum weder Religions- noch anderen Interessengemeinschaften erlauben, mit Religionsunterricht oder Privatschulen die obligatorische Schulbildung zu übernehmen. Religionsunterricht gehört deshalb ersetzt durch ein Schulfach zur Förderung des interkulturellen Verständnisses. Privatschulen sind in staatliche Bildungseinrichtungen umzuwandeln. Für Kinder mit speziellen Bedürfnissen müssen optimalere Lösungen im Rahmen des staatlichen Schulangebots gefunden werden.

Das Zeil der Primarstufe ist nicht nur die Vermittlung von wichtigen Grundlagen in Sprachen, Naturwissenschaften und Mathematik. Wir wollen selbstbewusste und selbstbestimmte Kinder: Fragen der Gesellschaft und Umwelt wie beispielsweise die Thematisierung von Rassismus, Sexismus, Sexualität oder Nachhaltigkeit müssen obligatorischer Bestandteil des Unterrichts sein. Wir fordern ausserdem eine vermehrte Sensibilisierung gegen physische und psychische Gewalt, (Cyber-)Mobbing, Drogen, Homophobie usw.

Doch der Leistungsdruck der kapitalistischen Gesellschaft dringt auch immer mehr in die Primarstufe. Wer dem nicht von Beginn weg entsprechen kann, gerät schnell in Rückstand. Bereits in der Mittelstufe werden Vorentscheide gefällt: Damit wird die Zukunft der Kinder schon mit zehn Jahren bestimmt. Dabei spielt der soziale und wirtschaftliche Hintergrund erneut eine entscheidende Rolle.

Ein Aspekt dieses Leistungsgedankens sind Schulnoten. Sie sind das Produkt eines Leistungstreibens, das unnötig und kontraproduktiv ist. Es bringt die Kinder und Erziehungsberechtigten in einen Vergleichszwang. Noten sind nicht selten willkürlich und gehören darum abgeschafft. Anstelle von Noten sind regelmässige mündliche und schriftliche Rückmeldungen durch die Lehrpersonen anzuwenden. Das bedingt auch ein besseres Betreuungsverhältnis.

Bildung und Ausbildung von der Gesellschaft garantiert

Um allen Kindern den gleichen Bildungszugang zu gewähren, ist die flächendeckende Einführung von Tagesschulen mit Nachhilfe- und Stützkursangeboten unerlässlich. Mit Tagesschulen ist eine individuelle Förderung der Kinder möglich und damit eine umfassende Bildung in allen Bereichen des Lebens. Bildung ist mehr als eine Aneinanderreihung von Schullektionen.

Massnahmen gegen Selektion und Segregation

Der grosse Spardruck in vielen Kantonen führt zu einem Leistungsabbau in den Primarschulen. Die Klassen werden grösser und die Lehrpersonen noch schlechter bezahlt. Durch diese tiefere Qualität und den gleichzeitig erhöhten Leistungsdruck wird die Frage nach den finanziellen Möglichkeiten der Eltern zentral: Die Kinder müssen in Nachhilfe- und Zusatzunterricht oder zusätzliche Fremdsprachen lernen. Wer es sich nicht leisten kann, fällt durchs Netz. Ein Schulbesuch ohne Nachhilfeunterricht muss aber möglich sein. Darum braucht es bessere Betreuungsverhältnisse und Betreuungsangebote an Schulen. Ausserdem soll auf jeden Schüler eingegangen werden. Hausaufgaben sollen vermehrt in Form von ausserschulischen Projekten erfolgen, welche den Unterrichtsinhalt nicht bloss repetieren, sondern den SchülerInnen einen individuellen und kritischen Umgang mit dem Gelernten ermöglichen.