Chega, oder die Nelken-Involution

23.04.2024

Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 21. April 2024 in Frauenfeld

Am vergangenen Sonntag, den 10. März, fand sich Portugal für vorgezogene Parlamentswahlen, die durch den Rücktritt des sozialistischen Premierministers Antonio Costa ausgelöst wurden, an den Wahlurnen ein.[1]

Historische Erinnerungen

1933 wurde der Estado Novo (neuer Staat) durch eine neue Verfassung eingeführt. Am Ruder: Antonio de Oliveira Salazar, ein Diktator, welcher seine Herrschaft über ein ganzes Land während mehreren Jahrzehnten aufrechterhalten sollte[2].

Als Gegner des Kommunismus, des Sozialismus, der Vergewerkschaftung und des Anarchismus war der salazaristische Diktator nicht nur korporatistisch, sondern tief antidemokratisch. Nur die Partei União Nacional[3] (nationale Union) war erlaubt, während eine starke Repression gegen Oppositionierende bestand, welche unter anderem Zensur und politischer Verfolgung beinhaltete. Unter Salazar war der Katholizismus Gegenstand von Werbekampagnen, während der Kolonialismus insbesondere in Angola, Mozambique und Guinea-Bissau gefördert und begrüsst wurde[4].

Diese afrikanischen Kolonien Portugals waren einem unterdrückerischen kolonialen System mit diskriminierender Politik im Bildungsbereich und auch Zwangsarbeit unterworfen[5].

In den 1960er Jahren brachen Unabhängigkeitskriege in diesen Gebieten aus. Das diktatorische Regime Portugals beging daraufhin unsäglichen Grausamkeiten[6].

Im Jahr 1973, gründeten Angehörige des Militärs, die vom unausweichlichen Ausgang der Kriege in den Kolonien überzeugt waren[7], die Movimento das Forças Armadas[8] (Bewegung der Streitkräfte), eine militante Gruppe für die Dekolonialisierung. Am 25. April 1974 führte die MFA einen Staatssteich durch – die Nelkenrevolution[9].

Ein Tag reichte aus, um den Estado Novo zu Fall zu bringen und die Diktatur nach 41 Jahren zu beenden. Insgesamt wurden vier Personen von der politischen Polizei (PIDE) des salazaristischen Regimes getötet. Die Junte da Salvação Nacional (Junta der Nationalen Rettung), bestehend aus Offizieren, wurde damit beauftragt, das Land provisorisch zu regieren. Zwei Jahre später, im Jahr 1976, wurde schliesslich die Demokratie in Portugal eingeführt[10]. Der Revolution folgte eine Unabhängigkeitsbewegung, die sich auf die Kolonien Portugals ausbreite, welche sich endlich von der Portugiesischen Herrschaft befreit sahen[11].

Die jüngsten Ereignisse

Die vorgezogenen portugiesischen Parlamentswahlen von 2024 fanden am 10. März statt. Bei dieser Gelegenheit erlitt die Sozialistische Partei (PS), welche während etwas mehr als zwei Jahren die absolute Mehrheit im Parlament innegehalten hatte, ein Wahldebakel. Sie fand sich mit 77 Sitzen (28.66%), also insgesamt 43 Sitzen weniger, als vorher wieder[12].

Die Demokratische Allianz (AD), angeführt von der Sozialdemokratischen Partei (PPD/PSD), besetzt mit 29.50% den ersten Platz der Stimmen und stellt 79 Abgeordnete[13]. Dieses bürgerliche Gebilde übernimmt somit wieder die Führung in Portugal.

Die wirkliche Gefahr hinter den Resultaten geht jedoch von der neuen rechtsextremen Bewegung Chega aus. Die 2019 von André Ventura gegründete Partei findet sich heute mit 18.06% der Stimmen und mehr als 48 Sitzen auf dem dritten Platz wieder[14]. Innerhalb von zwei Jahren haben sich ihre Ergebnisse also mehr als Verdoppelt[15]! Dieses hohe Ergebnis bestätigt sich auch in der Schweiz, wo die Partei mit mehr als 20 Prozentpunkten Abstand zur nächsten Partei den ersten Platz belegt[16].

Das Gespenst der extremen Rechten, welches während Jahren in allen europäischen Parlamenten Einzug hält, macht also auch nicht vor Portugal halt, welches bisher relativ verschont geblieben war.

Chega oder die Involution

Chega («Es reicht») hat seine Sitze im Parlament innerhalb von zwei Jahren also vervierfacht. Die Partei, beispielsweise verbündet mit dem Rassemblement National von Marine le Pen oder der Ligue du Nord von Matteo Salvini, betreibt einen xenophoben, rassistischen, patriarchalen, anti-LGBT und diktatorischen Diskurs[17].

Ihre Nähe zu den Meinungen des Regimes unter Salazar lässt sich gut an Beispielen wie dem Kampagnen-Slogan «Limpar Portugal[18]» aufzeigen[19]. In ihrer extremen und ungezügelt nationalistischen Rhetorik stellt die Bewegung vier Kampagnenthemen ins Zentrum: «Gott, Vaterland, Familie, Arbeit». Diese Themen sind direkt mit der salazaristischen Diktatur vor 1974 verbunden, deren Motto damals «Gott, Vaterland, Familie» lauteten[20]. Die Partei versteckt ihren Wunsch also nicht einmal, in ein autoritäres und antidemokratisches Regime zurückzukehren, welches alle Minderheiten unterdrückt.

Ihr Erfolg kann insbesondere durch die Krise der Wohnungspreise erklärt werden, welche das Land zurzeit mit voller Wucht trifft. Zwischen 2012 und 2021 sind die Wohnkosten um 78% gestiegen, doppelt so stark also wie im Rest Europas[21]! Die Anzahl erzwungener Wohnungsräumungen sind im Vergleich zum letzten Jahr um 17% gestiegen[22]. Aus dieser Realität hat Chega ein Kampagnenelement gemacht, in welchem sie die Regierung für dieses Problem verantwortlich macht. Die extreme Rechte wirft eine Verfremdung der politischen Klasse, Korruption und einen schlechten Umgang mit der Immigration vor[23]. Die anti-systemische und rassistische Rhetorik hat also voll ins Schwarze der Sorgen der Bevölkerung getroffen[24].

Angesichts der von der Chega vorgeschlagenen Involution ist es somit absolut essenziell, dass die JUSO Schweiz folgende Elemente fordert und unterstützt:

  • Die JUSO Schweiz verurteilt alle politischen Gebilde, alle öffentlichen schweizerischen und portugiesischen Figuren, welche sich dieser Bewegung anschliessen oder freundschaftliche Beziehungen zu ihnen pflegen;
  • Die JUSO Schweiz unterstützt die freie portugiesische Bevölkerung, welche sich offen gegen diese gefährliche Entwicklung opponiert und unterhält insbesondere Verbindungen zur Jugend der revolutionären und linken Partei um Widerstand gegen diese gefährlichen und extremen Ideologien zu leisten;
  • Die JUSO Schweiz nimmt an der Gedenkfeier des 50. Jahrestages des Endes der Diktatur am 25. April teil und verurteilt jedes Symbol und jeden Gedanken, welcher dieses autoritäre Regime lobt.

[1] ‘Les élections au Portugal - Ce qu’il faut savoir’ <https://www.theportugalnews.com/fr/nouvelles/2024-02-20/les-elections-au-portugal-ce-quil-faut-savoir/86179> accessed 18 March 2024.

[2] Candice Le Guern, ‘Révolution des œillets : résumé du 25 avril 1974 au Portugal’ (3 March 2023) <https://www.linternaute.fr/actualite/guide-histoire/2787721-revolution-des-oeillets-resume-1974-portugal/> accessed 18 March 2024.

[3] ‘Union nationale (Portugal)’, Wikipedia (2023) <https://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Union_(Portugal) > accessed 19 March 2024.

[4] Guern (n 2).

[5] Armelle Enders, Histoire de l’Afrique Lusophone (Ed Chandeigne 1994).

[6] ARTHUR PORTO, ‘Refuser la Guerre Coloniale! une histoire portugaise...’ (Mediapart) <https://blogs.mediapart.fr/50416/blog/190419/refuser-la-guerre-coloniale-une-histoire-portugaise> accessed 19 March 2024.

[7] Guern (n 2).

[8] ‘Movimento das Forças Armadas’, Wikipedia (2024) <https://de.wikipedia.org/wiki/Movimento_das_Forças_Armadas> accessed 19 March 2024.

[9] Guern (n 2).

[10] ibid.

[11] PORTO (n 6).

[12] ‘Parlamentswahlen in Portugal 2024’, , Wikipedia (2024) <https://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahl_in_Portugal_2024#:~:text=Die%20Parlamentswahl%20in%20Portugal%202024,von%20Premierminister%20António%20Costa%20vorgezogen.> accessed 19 March 2024.

[13] ibid.

[14] ibid.

[15] ‘Le centre droit remporte les élections au Portugal, l’extrême droite gagne du terrain’ (rts.ch, 11 March 2024) <https://www.rts.ch/info/monde/2024/article/le-centre-droit-remporte-les-elections-au-portugal-l-extreme-droite-gagne-du-terrain-28432874.html> accessed 19 March 2024.

[16] ‘Brasil e Suíça empurram Chega para a vitória na emigração. PS salva-se na Europa e AD elege Fora da Europa’ (CNN Portugal) <https://cnnportugal.iol.pt/eleicoes/ad/ps-vence-na-alemanha-e-franca-espanha-e-eua-votam-ad-e-chega-ganha-na-suica-e-luxemburgo/20240320/65fb3f51d34e87e0c08af67b> accessed 27 March 2024.

[17] ‘Chega’, , Wikipedia (2024) <https://de.wikipedia.org/wiki/Chega> accessed 19 March 2024.

[18] “Portugal aufräumen”

[19] ‘Le centre droit remporte les élections au Portugal, l’extrême droite gagne du terrain’ (n 15).

[20] ‘Législatives au Portugal : 50 ans après la Révolution des œillets, l’extrême droite gagne du terrain dans l’opinion’ (Franceinfo, 10 March 2024) <https://www.francetvinfo.fr/monde/europe/legislatives-au-portugal-50-ans-apres-la-revolution-des-illets-l-extreme-droite-gagne-du-terrain-dans-l-opinion_6415630.html> accessed 18 March 2024; ‘Chega’ (n 17).

[21] ‘Portugal: Du jour au lendemain, son loyer a été multiplié par vingt’ Le Matin (30 September 2023) <https://www.lematin.ch/story/portugal-du-jour-au-lendemain-son-loyer-a-ete-multiplie-par-vingt-340051888629> accessed 27 March 2024.

[22] ‘Au Portugal, la crise du logement rebat les cartes des législatives - Le Temps’ (9 March 2024) <https://www.letemps.ch/monde/au-portugal-la-crise-du-logement-rebat-les-cartes-des-legislatives> accessed 27 March 2024.

[23] ‘Portugal: «La percée d’André Ventura s’explique en grande partie par sa tolérance zéro en matière d’immigration»’ (Le Figaro, 13 March 2024) <https://www.lefigaro.fr/vox/monde/portugal-la-percee-d-andre-ventura-s-explique-en-grande-partie-par-sa-tolerance-zero-en-matiere-d-immigration-20240313> accessed 28 March 2024.

[24] ritimo, ‘Portugal. Chega : un parti d’extrême droite présent dans le système politique portugais’ (ritimo, 24 May 2021) <https://www.ritimo.org/Portugal-Chega-un-parti-d-extreme-droite-present-dans-le-systeme-politique> accessed 27 March 2024.