Resolution verabschiedet an der Jahresversammlung der JUSO Schweiz vom 18. und 19. Februar 2023 in Bern (BE)
Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Gemäss der in Europa gebräuchlichen ETHOS Typologie beinhaltet wohnen einen (a) physischen (klar zugeordnete Räumlichkeiten), (b) sozialen (Privatsphäre) und (c) rechtlichen (langfristige Möglichkeit, sich legal an einem Ort aufzuhalten) Bereich. Wenn nicht alle dieser drei Punkte gegeben sind, wird von Wohnungslosigkeit gesprochen, wenn alle drei nicht eintreffen, handelt es sich um Obdachlosigkeit.
Die Obdachlosigkeit ist ein grosses Problem, welches durch die herrschenden Umstände aktiv versteckt wird. So sehen wir zum Beispiel, wie Obdachlose durch “hostile architecture” (Architektur, welche so gestaltet wurde, dass Menschen sich nicht für längere Zeit niederlassen können) aus der Öffentlichkeit gedrängt werden. Ein anderer Faktor, welcher die Umstände versteckt, ist die Tatsache, dass es keine Definition der Obdachlosigkeit vom Bund gibt und dieser auch keine Zahlen dazu erhebt.
Die Untätigkeit von Behörden führt dazu, dass Hilfestellungen für obdachlose Menschen von Organisationen betreut werden, welche oftmals nicht dafür qualifiziert sind und/oder eine bestimmte Konfession propagieren, auch da die öffentliche Hand Angebote nur ungenügend finanziert und keine klaren Qualitätsansprüche stellt.
Wenn Angebote staatlich (mit)finanziert werden, geschieht die Finanzierung häufig nach Anzahl Fällen – d.h. eine Notschlafstelle hat grundsätzlich ein wirtschaftliches Interesse daran, möglichst stark belegt zu sein.
Eine 2022 veröffentlichte Befragung von über 500 obdachlosen Menschen in der Schweiz ergab, dass 61.1 Prozent der Befragten Obdachlosen Sans-Papiers waren. Sans-Papiers dürfen in der Schweiz keinen Wohnraum mieten und haben auch keine Möglichkeiten, legal an Geld für Miete und sonstige Ausgaben zu kommen. In den meisten, tendenziell eher in kleineren Gemeinden, ist für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit die Sozialhilfe erste und oftmals auch einzige Ansprechpartnerin, allerdings dürfen Sans-Papiers bekanntlich keine Sozialhilfe beziehen.
Die geforderten Notschlafstellen und weitere Hilfsprogramme müssen auch für Menschen ohne geregelte Aufenthaltsbewilligung frei zugänglich sein.
Das Vertrauen in den Staat resp. seine Institutionen ist bei obdachlosen Menschen nachgewiesenermassen stark reduziert, was im Angesicht der Lage mehr als verständlich ist. Deshalb ist es aber umso wichtiger, dass nicht vom Staat betriebene, professionelle und nicht-profitorientierte Angebote zur Bekämpfung und Prävention entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Diese Mittel wiederum können und müssen von staatlicher Seite kommen und die Finanzierung dieser muss auf sozial gerechten Wegen ablaufen, sie darf nicht die Arbeiter*innenklasse mit Mehrkosten belasten.
Auch in einer Welt, wie wir sie uns vorstellen, wird es immer Menschen geben, die kurzfristig eine Wohnung brauchen, doch dafür lassen sich Angebote schaffen. Obdachlosigkeit hingegen ist eine Problematik, die zu einem grossen Teil aus einer misslungenen Migrations-, Sozial- und Wohnungspolitik entsteht und ein direktes Produkt unseres bürgerlichen Staates ist.
Solange der Kapitalismus herrscht, kann Obdachlosigkeit nicht komplett eliminiert werden, dennoch sind auch innerhalb des jetzigen Systems transformative Massnahmen nötig, um die Situation vieler Menschen stark zu verbessern.
Die JUSO Schweiz fordert:
- Verbot von Obdachlosen-feindlicher Architektur und der Abbau von bereits bestehenden Fällen.
- National geltende Definition der Obdachlosigkeit und entsprechendes Erfassen von Zahlen.
- Einführung von staatlich finanzierten, aber unabhängigen, nicht religiös geführten Hilfsnetzwerken für Obdachlose.
- Regularisierung von Sans-Papiers.
- Verpflichtung der Vermieter*innen dazu, Obdachlose und Menschen in anderen prekären Wohnformen freie Wohnungen zu vermieten, auch wenn diese gewisse Voraussetzungen (wie z.B. Lohnarbeit oder keine Betreibungen) nicht erfüllen.