Für ein Europa der Menschen, gegen ein Europa der Finanzmärkte

01.09.2012

Positionspapier verabschiedet von der DV vom 1. September 2012

Ein Internationalismus, der den Nationalstaat überwindet

Der Internationalismus hat in der Geschichte der sozialistischen Bewegung immer eine wichtige Rolle gespielt. Die globale wirtschaftliche Machtkonzentration einer kleinen privilegierten Minderheit ermöglicht dieser, die grosse Mehrheit von uns zu dominieren, Staaten in ihre Geiselhaft zu nehmen und ganze Völker gegeneinander auszuspielen. Da dieser Prozess durch die Globalisierung der Wirtschaft und das gleichzeitige Verharren der Politik im Rahmen der Nationalstaaten noch verstärkt wird, ist für uns Jungsozialistinnen und Jungsozialisten klar: Die grossen Fragen der Zukunft können nicht nationalstaatlich beantwortet werden. Globale Probleme müssen auch global gelöst werden. Der Übermacht eines globalen Kapitalismus muss der demokratische Kampf aller Menschen, die in diesem System den Kürzeren ziehen, für eine freiere, gerechtere und solidarischere Welt entgegengesetzt werden.

Die JUSO fordert deshalb eine Politik, welche die emanzipatorische Errungenschaft des Nationalstaates weiterdenkt und ihn in diesem Geiste überwindet. Es ist Aufgabe einer sozialistischen Internationalen, die Idee von Nationalstaaten und Nationalismus aufzubrechen und aus ihnen heraus die Vision eines sozialistischen Internationalismus zu entwickeln, der für die Bedürfnisse, Freiheiten und Rechte aller Menschen dieser Welt kämpft. Bis zu einer Weltgesellschaft, die Nationalstaaten überwunden hat und Gerechtigkeit für alle garantiert, ist es noch ein weiter Weg. Die EU ist ein Schritt in diese Richtung, sofern sie grundlegend reformiert wird.

Die Europäische Union heute: in den Händen der Wirtschaft

Die Geschichte Europas im 20. Jahrhunderts ist geprägt von zwei Weltkriegen, denen das Projekt einer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Einigung folgte. Entstanden aus der Montanunion (1951) wuchs der europäische Staatenbund über die Jahrzehnte zu einem Zusammenschluss von 27 Mitgliedsstaaten heran, die heute die Europäische Union (EU) bilden. Diese ist von einem neoliberalen, undemokratischen und unsolidarischen Geist geprägt: Einerseits ist die Macht unter den verschiedenen Ländern äusserst ungleich verteilt und die zahlungskräftigen, exportorientierten Länder bestimmen über andere, andererseits konzentriert sich die politische Macht auf die EU-Kommission, die von Wirtschafts-Lobbyist_innen dominiert wird. Eine wichtige Rolle spielen dabei die „Expertengruppen“ – grösstenteils Lobbyist_innen, welche die Gesetze im Auftrag der Kommission ausarbeiten.

Die europäischen Verträge geben insbesondere den Mitgliedsstaaten und der Kommission viel Macht, die einzige demokratisch gewählte Institution, das Parlament, ist hingegen beinahe machtlos; die Bürger_innen erhalten gar keine Mitsprache. Diese Strukturen führen zu einem Abbau der Demokratie in den Mitgliedsstaaten. Nichtsdestotrotz gibt es dank der Linken auch Verbesserungen, die in Richtung mehr Demokratie zielen. So erlaubt es seit 2012 die europäische Bürgerinitiative den Menschen, mit einer Million Unterschriften eine Gesetzesanregung in der Kommission einzureichen.

Von diesem Demokratiedefizit und von dieser Machtkonzentration zugunsten der Finanz- und Wirtschaftswelt sind nicht nur die Menschen in Europa, sondern auch weltweit betroffen. In der Bewältigung der Krise zeigt sich deutlich, dass die heutige EU weit davon entfernt ist, sich als ein Projekt der Solidarität und Demokratie zu verstehen. Die Mächtigen versuchen einseitig auf dem Buckel der betroffenen Ländern und der Menschen ihre neoliberale Politik durchzudrücken. Dabei fehlt der aktuellen EU die Legitimität, im Namen ihrer 500 Millionen Bürger_innen zu sprechen und zu handeln.

Die Beziehung Schweiz-EU: eine undemokratische Scheinlösung

Auch die Schweiz kann sich dem Sog dieses undemokratischen Systems nicht entziehen. Die Unabhängigkeit der Schweizer Gesetzgebung ist zu einem Mythos verkommen. 60 Prozent des hiesigen Rechts wurde an das europäische angeglichen oder gar vollständig übernommen. Dies geschieht über den autonomen und automatischen Nachvollzug. Beiden Varianten gemein ist, dass die Schweiz die Ausarbeitung von Gesetzen nicht beeinflussen kann und wenig bis keine Möglichkeiten hat, etwas daran zu ändern. Andernfalls würde sie sich ins wirtschaftliche und politische Abseits manövrieren. Es ist absehbar, dass die Schweizer Bürgerlichen in weiteren Abkommen oder Gesetzesübernahmen wichtige Errungenschaften der Schweizer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik abschaffen werden – unter dem Deckmantel des autonomen Nachvollzugs oder der bilateralen Verträge.

Dem stehen Schweizer Linke und Gewerkschaften machtlos gegenüber, sollte es ihnen nicht gelingen die Machtverhältnisse in Europa zu unseren Gunsten zu verschieben. Dabei muss die Politik und das Politische als Ganzes gestärkt werden, was die Schaffung einer gemeinsamen Fiskal- und Arbeitsmarktpolitik voraussetzt. Die Abschaffung des ruinösen Steuerwettbewerbs und auf europäischer Ebene starke und handlungsfähige Gewerkschaften sind ein erster Schritt in diese Richtung.

Auch für die Schweizer Linke besteht die einzige langfristige Alternative zur undemokratischen Übernahme von EU-Recht darin, sich in der EU für ein demokratischeres und sozialeres Europa einzusetzen. Die Bekämpfung der Bilateralen bietet im Kampf gegen Sozialabbau und Lohndumping hingegen keine dauerhafte Alternative. Dies kann kurzfristig zwar ein probates Mittel sein, um für bessere flankierende Massnahmen zu kämpfen. Längerfristig isoliert es jedoch die Schweiz und gefährdet damit auch die wirtschaftliche Existenz der Arbeiter_innen.

Für das Primat der Politik über die Wirtschaft und gegen die neoliberalen Rattenfänger!

Die Krise Europas dämpft viele Hoffnungen auf den Erfolg der europäischen Einigung. In der Realität deckt diese Krise aber vielmehr die Schwächen der EU auf und bietet eine Chance, diese erfolgreich zu bekämpfen. Denn die EU ist kein statisches Gebilde, sondern in ständigem Wandel begriffen. Es ist Aufgabe der Linken in Europa, die Richtung dieses Wandels sowohl strukturell als auch ideologisch zu verändern.

Die Finanzkrise, die durch die Umschuldung von den Banken auf die Staaten zu einer Schuldenkrise wurde, ist verursacht durch die Schwäche der Politik und durch die Dominanz der Wirtschaft. Eine schwache EU hatte weder den tonangebenden Neoliberalen in Deutschland und Frankreich noch dem übermächtigen Finanzmarkt etwas entgegenzusetzen. Es ist die neoliberale Ideologie, die in den letzten 25 Jahren weltweit die Politik und auch die Gesellschaften dominierte.

Gegen die EU zu sein, bedeutet in keinster Weise, den Neoliberalismus zu bekämpfen. Die EU ist zwar ein Gebilde, genauso wie die Schweiz auch, welches den Neoliberalismus befeuert. Es ist aber auch das einzige Gebilde, welches ein sozialistisches Europa ermöglichen kann und wird. Um das aber zu erreichen, müssen wir, die geeinte europäische Linke, noch viele Kämpfe austragen.

Mit einer geeinten Linken zu einer starken sozialen EU

Die strukturellen Mängel können nur mit grundlegenden demokratischen Reformen behoben werden. Die EU muss in einen föderalen Staatenbund umgewandelt werden, welcher nicht nur politische Handlungsfähigkeit und Stärke auf europäischer Ebene garantiert, sondern auch grössere demokratischen Rechte, Autonomie und Schutz für die Minderheiten und die kleineren Länder ermöglicht.

Die JUSO Schweiz setzt sich deshalb für die Ausarbeitung eines gemeinsamen sozialdemokratischen Programms auf europäischer Ebene ein. Ein Programm, welches die Grundlage für ein föderales, soziales, solidarisches und demokratisches Europa skizziert und der europäischen Linken einen neuen Antrieb geben kann. Solange es keine solche Perspektive für eine europäische Linke gibt, die geeint und zielstrebig für ein Europa kämpft, das sich nicht weiterhin an den Karren der Kapitalbesitzer_i nnen spannen lässt, solange kann sich die JUSO Schweiz nicht für einen EU-Beitritt einsetzen. Denn nur die Abkehr der EU von den menschenveracht enden neoliberalen Prinzipien kann garantieren, dass sie das Europa der Menschen wird und nur dann ist garantiert, dass bei einem Beitritt der Schweiz keine sozialen und demokratischen Errungenschaften aufgegeben werden müssten. Die nächsten Jahre werden e ntscheidend sein: Wird Europa ein Europa der Demokratie und der Menschen werden oder bleibt es ein Europa der Finanzmärkte und der Scheindemokrat_innen. Ob innerhalb oder ausserhalb der EU, wir kämpfen für das Europa der Menschen, wir wagen mehr Europa.