Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 30.04.2022 in La Roche (FR)
Die Abstimmung über die Frontex-Finanzierung rückt die Schengen-/Dublin-Abkommen in den Mittelpunkt politischer Diskussionen. Schengen regelt unter anderem die Reisefreiheit innerhalb Europas und verstärkte Aussengrenzen, Dublin das gemeinsame Asylsystem. Die Schweiz gehört seit 2008 auch zum Schengen-/Dublin-Raum. Angeblich beruhen diese Verträge, sowie die EU an sich, auf Prinzipien von Offenheit, Zusammenarbeit, Sicherheit und Bewegungsfreiheit. Es ist mehr als zweifelhaft, ob diese Prinzipien innerhalb Europas wirklich gelten. An den Aussengrenzen werden diese Werte aber eindeutig mit Füssen getreten. Frontex - die Grenzschutzagentur Europas - unterstützt Mitgliedstaaten bei gewalttätigen und illegalen Pushbacks und schiebt Geflüchtete an Drittstaaten wie Libyen ab, wo ihnen Gefängnis, Folter und Tod drohen (1). Alle Mitgliedstaaten des Schengen-Raums sind an dieser Abschottungspolitik massgeblich beteiligt.
Da Flüchtende nach dem Dublin-Abkommen nur im Erstankunftsland Asyl erhalten, werden sie dazu gezwungen nur in diesem Land ein Asylgesuch einzureichen. Abhängig davon, ob sie diesen Asylantrag stellen oder nicht, werden Flüchtende bei der Weiterreise in ein nächstes Land in die Illegalität getrieben. Man kann also nicht in das Land reisen, welches für eine*n am meisten Sinn ergibt, sondern muss im Erstankunftsland bleiben oder auf die Solidarität anderer Länder hoffen. Diese Solidarität basiert auf der humanitären Klausel des Dublin-Abkommens, mit der auch Nicht-Erstankunftsländer Asylgesuche bearbeiten können. In der Schweiz wird diese Möglichkeit fatalerweise weitgehend ignoriert. Ausserdem sind Staaten an den Aussengrenzen mit der Anzahl Geflüchteter überfordert, während andere Länder sich der Verantwortung entziehen. Diese Überforderung führt gerade in nationalistischen und rechtspopulistischen Verhältnissen zu massiver Repression und Rassismus gegenüber Geflüchteten. Auch in der Schweiz wird die Angst vor solcher Überforderung von rechts für ihre rassistischen und nationalistischen Erzählungen missbraucht.
Als Binnenland, welches von Dublin-Staaten umgeben ist, zieht sich die Schweiz durch dieses Asylsystem aus ihrer Verantwortung. Zusätzlich profitiert sie von der Ausbeutung des globalen Südens, der Zerstörung des Planeten und vom Waffenexport in Konfliktgebieten, ohne ihre Verantwortung für daraus resultierenden Fluchtbewegungen im Geringsten wahrzunehmen. Der Schengenraum und die wirtschaftliche Vernetzung Europas dient den reichen, westeuropäischen Staaten vor allem auch dazu, besseren Zugang zu Arbeitskräften im wirtschaftlich schwächeren Osten zu erhalten. Gleichzeitig werden den Staaten ausserhalb des Schengen-Raums die Vorteile dieser vernetzten internationalen Zusammenarbeit vorenthalten. Dafür nehmen sie das Leid an den Aussengrenzen in Kauf. Einmal mehr gilt: Profit geht über Menschenleben.
Grundsätzlich begrüsst die JUSO internationale Zusammenarbeit und Vernetzung in Europa. Diese hat auch für die 99% in der Schweiz viele Vorteile gebracht. Die aktuelle Form dieser Zusammenarbeit baut diese jedoch auf dem Rücken von prekarisierten Arbeitsmigrant*innen und dem Leid an den Aussengrenzen auf, und ist vor allem auf die Bereicherung westeuropäischer Kapitalist*innen ausgerichtet. Ein Verlassen dieser Zusammenarbeit durch die Schweiz würde das System jedoch kaum zu Fall bringen und die Position vieler junger und arbeitender Menschen in der Schweiz verschlechtern. Ein Schweizer Austritt aus Schengen/Dublin ist zum jetzigen Zeitpunkt also nicht zielführend. Trotzdem dürfen Bewegungsfreiheit, Zusammenarbeit, Sicherheit und Offenheit nicht an den Aussengrenzen aufhören. Die JUSO positioniert sich klar gegen die massive Abschottungspolitik, die mit Schengen/Dublin einhergeht. Das Ziel ist, dass die positiven innereuropäischen Aspekte der beiden Abkommen nicht nur Europäer*innen einbeziehen, sondern zukünftig allgemeingültig werden.
Das langfristige Ziel der JUSO muss eine internationale Gemeinschaft sein, in der Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft ein Leben in Sicherheit verwehrt wird. Eine Welt, in der Bewegungsfreiheit und Solidarität für alle gelten und in der Menschen die Hilfe erhalten, welche sie brauchen. Eine verbundene Welt, in welcher keine Menschen an Grenzen sterben, und in der alle von den Vorteilen der Zusammenarbeit, Bewegungsfreiheit, Sicherheit und Offenheit profitieren, ist möglich!
Die JUSO fordert:
Kurzfristig:
- eine aktive Nutzung der humanitären Klausel im Dublin-Abkommen (2).
- die Erhöhung des Resettlement-Kontingents der Schweiz.
- die Wiedereinführung des Botschaftsasyls.
- die Ausweitung der anerkannten Fluchtgründen.
Mittelfristig:
- die Abschafftung des Strafbestandes der rechtwidrigen Einreise oder Aufenthaltes (in Artikel 115 AIG).
- dass die Schweiz sich innerhalb des Schengen-/Dublin-Raums für ein humanitäres Asylsystem und eine Aussengrenze einsetzt, an der Menschenrechte respektiert werden.
Langfristig:
- ein Ende der Ausbeutung des globalen Südens, Zerstörung des Planeten und Waffenexporte in Konfliktgebiete durch Europa
- die Öffnung der Aussengrenzen des Schengen-/Dublin-Raumes.
- die Überwindung von Schengen/Dublin und die Abschaffung der Grenzbehörden.
- Bewegungsfreiheit für alle, ungeachtet der Herkunft oder des Reisegrundes.
(2) https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/migration-asyl/appel-solidaritaet-dublin