Gegen jede Transfeindlichkeit - Jetzt aktiv werden

03.05.2023

Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 22. April 2023 in St. Gallen (SG)

!!! TW: Mord, Suizid, Transfeindlichkeit !!!

Am 21.12.2023 veröffentlichte der Bundesrat einen Bericht betreffend der Einführung eines dritten Geschlechtseintrags.1 Dies geschah als Antwort auf ein im Dezember 2017 eingereichtes Postulat der Nationalrätin Sibel Arslan. In seinem Bericht behauptet der Bundesrat unter anderem, die Einführung eines dritten Geschlechtseintrages sei nicht möglich, da das Zivilgesetzbuch (ZGB) auf einer binären Geschlechterordnung basiert, da unklar wäre, wer nach der Einführung eines dritten Geschlechtseintrages Militärdienst leisten müsste und dass die Schweizerische Gesellschaft noch nicht bereit sei.2 Dies - so hält der Bundesrat in seinem Bericht explizit fest - gelte auch für intergeschlechtliche Menschen. Ein Teil dieser Begründungen ist faktisch falsch, der Rest zumindest fragwürdig. Gewiss würde sich eine Lösung finden lassen, wer Militärdienst zu leisten habe (am besten durch die Abschaffung der Militärdienstpflicht). Die Behauptung, die Gesellschaft sei noch nicht bereit für die Einführung eines dritten Geschlechtseintrages oder für die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag komplett aus den amtlichen Dokumenten zu streichen, ist gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen impliziert er, nichtbinäre und andere gendernonkonforme Menschen hätten erst dann das Recht auf Anerkennung, wenn die Mehrheit der Gesellschaft "bereit sei" dafür, zum anderen ist sie schlicht falsch. Gemäss einer Sotomo-Umfrage von 2021 unterstützen 53% der Bevölkerung die Einführung eines dritten Geschlechtseintrages.3

Leider entsteht der Eindruck, dass vor allem bei nicht-betroffenen Menschen die Bedeutung und Schwere dieses Entscheides (noch) nicht angekommen ist. In Zeiten, in denen die TERF-Bewegung offen mit faschistischen Gruppierungen kooperiert4, in denen ein deutsches Gericht zum Schluss kommt, dass wenn ein trans Mann während einer Pride erschlagen wird, es sich dabei nicht um transfeindliche Gewalt handelt5, in denen zwei Minderjährige in Grossbritannien eine trans Frau ermordet haben6, in denen in den USA in den ersten drei Monaten des Jahres bereits fast 500 transfeindliche Gesetzesvorschläge eingereicht wurden (22 davon bisher angenommen, 422 noch hängig)7 und in denen trans, nichtbinäre, intergeschlechtliche, agender und weitere gendernonkonforme Menschen immer noch um Anerkennung kämpfen sendet es ein katastrophales Signal seitens der Schweizer Regierung aus, diesen Menschen weiterhin die Möglichkeit zu verwehren, ihr eigenes Geschlecht - laut dem ZGB eine "natürliche Eigenschaft des Meschen" - in ihren amtlichen Dokumenten einzutragen.

Leider ist es nicht damit getan, Transfeindlichkeit als ein Problem der Rechtskonservativen abzutun. Auch in vermeintlich linken, progressiven und gar queeren Umgebungen ist sie verbreitet. Zum einen wären da Parteien wie die SPD, die gegen die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes gestimmt hat,8 oder die Labour, die sich in einer Abstimmung darüber fast einstimmig enthalten hat, ob das britische Parlament dem Schottischen verbat, ein solches Gesetz in Schottland einzuführen.9 Auf der anderen Seite wären da Zeitschriften wie "queer.de", die als "Aprilscherz", einen Artikel veröffentlicht hatte, dass in Berlin geschützte Häuser für trans Kinder errichtet würden, die zuhause nicht die nötige Unterstützung erhalten oder gar Gewalt erfahren würden.10 Der Artikel war durchaus glaubhaft geschrieben und war über Stunden ohne Aufklärung online. Viele trans Jugendliche haben sich Hoffnung auf Hilfe gemacht und wurden dann am Abend bitter enttäuscht.11 Ein solcher "Scherz" auf Kosten einer diskriminierten Gruppe ist nicht lustig, sondern furchtbar, ebenso wie die Begründung, die praktisch nur sagt: "Stellt euch mal nicht so an". Erweiterte Möglichkeiten zum Schutz (vor allem minderjähriger) trans Menschen wären von grösster Wichtigkeit, da trans Menschen nachweislich viel Gewalt und Diskriminierung erfahren12 und ein erhöhtes Suizidrisiko13 haben.

Ebenso scheint es im Anbetracht dessen höchst unangemessen, zu behaupten, dass "Identitätspolitik" diskriminierten Menschen nicht helfen kann, wie dies "Der Funke" in einem kürzlich veröffentlichten Artikel getan hat. In dem Artikel wird beispielsweise behauptet, dass Massnahmen wie die geschlechtergerechte Sprache nichts bringt. Der Kampf für mehr Rechte von Minderheiten - vom "Funke" als Identitätspolitik bezeichnet - wird als Sackgasse bezeichnet, wenn er "losgelöst vom Klassenkampf" stattfinden würde. Im Artikel steht wörtlich: Weisse cis-Männer der Arbeiterklasse sind nicht privilegiert.14 Natürlich würde es uns allen besser gehen, wenn der Kapitalismus nicht mehr da wäre und natürlich sollten wir auch mit weissen Cis-Männern kämpfen, die unter den Auswirkungen des Kapitalismus leiden. Aber zu bestreiten, dass sie nicht privilegiert sind ignoriert die Tatsache, dass Menschen, die eben nicht weiss, männlich und cis sind diskriminierende Erfahrungen machen, die weisse Cis-Männer eben nicht machen. Gegen den Kapitalismus zu sein heisst also nicht, dass wir nicht für eine Verbesserung der Lebensumstände vor dem Ende des Kapitalismus kämpfen sollen. Gleichzeitig würde sich das Problem der Diskriminierung, das tief in unserer Gesellschaft verankert ist, nicht allein mit der Abschaffung des Kapitalismus erledigen.

Als JUSO stellen wir uns also klar hinter die Forderungen von trans, intergeschlechtlichen, nichtbinären, agender und gendernonkonformen Menschen und fordern:

  • Die Einführung eines dritten Geschlechtseintrages sowie längerfristig die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag komplett aus amtlichen Dokumenten zu streichen.
  • Die Erweiterung des Diskriminierungsschutzes auf geschlechtliche Minderheiten.
  • Die statistische Erfassung queerfeindlicher Straftaten in der Schweiz, sowie einen Aktionsplan, um sie zu reduzieren/zu verhindern.
  • Einen verantwortungs- und respektvollen Umgang der Medien in Berichterstattung über gendernonkonformen Menschen.

[1] https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-92335.html#:~:text=Dezember%202022%20verabschiedet%20hat.,Personenstandsregister%20sind%20derzeit%20nicht%20gegeben. (3.4.2023).

[2] https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/74661.pdf (3.4.2023).

[3] https://sotomo.ch/site/wp-content/uploads/2021/12/GG_Studie1_GeschlechtundIdentitaet.pdf (3.4.2023).

[4] https://www.thepinknews.com/2023/03/18/anti-trans-posie-parker-supporters-nazi-salutes-melbourne/ (3.4.2023).

[5] https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/plaedoyers-prozess-malte-c-100.html (3.4.2023).

[6] https://www.thepinknews.com/2023/02/13/what-happened-to-brianna-ghey-trans-death-warrington/ (3.4.2023).

[7] https://translegislation.com/ (3.4.2023).

[8] https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung/?id=738 (3.4.2023).

[9] https://www.thecanary.co/trending/2023/01/19/fury-as-only-11-labour-mps-vote-to-block-section-35-trigger/ (3.4.2023).

[10] https://www.queer.de/detail.php?article_id=45149 (3.4.2023).

[11] https://www.queer.de/detail.php?article_id=45150 (3.4.2023).

[12] https://swiss-lgbtiq-panel.ch/wp-content/uploads/2021/12/LGBTIQ_Report_2021_Deutsch3.pdf (3.4.2023).

[13] https://www.pressetext.com/news/transgender-hohe-suizidrate-bei-jugend.html (3.4.2023).

[14] https://www.derfunke.ch/htm/de/theorie/identitaetspolitik-eine-sackgasse-im-kampf-gegen-unterdrueckung/ (3.4.2023)