Resolution verabschiedet an der Jahrversammlung vom 9. Februar 2019, Bern.
Seit seiner Wahl im Frühjahr 2017 ist es dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron gelungen, mit einem hohen Tempo einige neoliberale Reformen durchzusetzen. Er stiess dabei auf wenig Widerstand und nutzte das vorhandene politische Machtvakuum aus, während die Linke aufgrund des Versagens der Sozialdemokratie und François Hollands in den letzten Jahren völlig desorientiert dasteht.
Das Arbeitsgesetz XXL, die Liberalisierung der Bahngesellschaften, das Ende der Exit-Steuer (Wegzugsbesteuerung), die Aufhebung der Vermögenssteuer - für die Macron-Regierung lief alles recht gut, bis eine neue Bewegung entstand: die Gelben Westen («Gilets jaunes»).
Ausgehend von einem unerwarteten Protest, nämlich gegen eine neue Benzinsteuer, zogen Tausende von Franzosen und Französinnen aus der Peripherie der grossen Städte ihre gelben Westen an, um Kreisverkehre zu blockieren, Mautgebühren zu verhindern und jeden Samstag zu demonstrieren. Das Symbol der gelben Weste ist nicht dabei unbedeutend, denn es steht für die folgende Aussage: "Ich bin außer Betrieb - hilf mir". Jetzt wagen es die Opfer des Neoliberalismus nach Jahren der Stimmenthaltung oder des Protestwählens (leider manchmal für die rechte Parteien) endlich zu sagen, was ihre Probleme sind: Ihre Kaufkraft steigt nicht, die Unternehmen verlassen das Land und die Regierung tut absolut nichts, um dieses Problem zu lösen. Im Gegenteil, der "Präsident der Reichen" (Macron) erlässt dem reichsten Prozent vier Milliarden mit Steuergeschenken. So ist er gezwungen, diese vier Milliarden anderswo zu kürzen. Er macht dies auf dem Rücken der sozialen Schichten, die sowieso kurz davorstehen, in die Prekarität abzurutschen (siehe Erhöhung der Benzinsteuer).
Diese weiterhin lebendige Bewegung hat das Potential, Macron endlich zum Einknicken zu bringen und den Rhythmus der geplanten Reformen, wie beispielsweise der Rentenreform, zu brechen. Es ist auch das erste Mal seit langer Zeit, dass sich die Debatte in Frankreich hauptsächlich um sozioökonomische Aspekte dreht. Auch wenn sich die Kritik nicht grundsätzlich gegen das Privateigentum an Produktionsmitteln richtet, sondern vor allem gegen einen Staat, der nur dem reichsten Prozent dient, stehen die heraufbeschworenen Probleme des Islams oder der «Masseneinwanderung» nicht mehr auf der Tagesordnung.
Darüber hinaus bietet diese Bewegung der französischen Linken neue Perspektiven: Es musste etwas geschehen, damit der wachsende Einfluss von Le Pen & Co gestoppt werden konnte, insbesondere bei denjenigen sozialen Gruppen, die unter den Gelbwesten stark vertreten sind. Möglicherweise geht jetzt etwas: Im Verlauf des Kampfes haben sich die Forderungen der Bewegung weiterentwickelt und haben nicht mehr nur die Abschaffung der neuen Benzinsteuer zum Ziel. Im Gegenteil, die Forderungen sind jetzt viel breiter gestreut: mehr Demokratie mit einem Referendumsrecht, mehr Rechte für Arbeiter*innen kombiniert mit einer Lohnerhöhung, usw. Marine Le Pen hingegen hat sich gegen eine Erhöhung der Löhne ausgesprochen. Dies lässt die Bewegung der Gelbweste ihre wahren Klassenfeind*innen erkennen. Diese Bewegung bietet die Chance zur «Délepénisation», also die Chance vom dominierenden rechtsnationalistischen Diskurs wegzukommen.
Für die JUSO Schweiz ist klar, dass die Schwäche der Gewerkschaften und Linksparteien in dieser Bewegung kritisiert werden muss. Trotzdem sind die Gelbwesten in ihrer aktuellen Form zu unterstützen.
Die JUSO Schweiz fordert:
- Dass die offizielle Schweiz die autoritären und repressiven Missstände der Regierung Macrons anprangert.
- Dass unsere französischen Genoss*innen, insbesondere die Gewerkschaften, ihr Bestes tun, um möglichst viele Gelbwesten in der Tradition der Arbeiter*innenbewegung zu politisieren
Und obwohl eine solche Bewegung kaum Chancen hätte, in der Schweiz Fuss zu fassen, können wir folgende Schlüsse daraus ziehen:
- Eine Umweltpolitik kann nicht funktionieren, wenn sie nicht sozial ist.
- Es wäre heuchlerisch, Benzin stärker besteuern zu wollen, ohne Kerosin (gegen den Widerstand der großen Fluggesellschaften) oder den Treibstoff großer Frachtschiffe anzugehen.
- Um die Klimakatastrophe abzuwenden, muss die gesamte Produktionsweise geändert werden und nicht nur unser individuelles Konsumverhalten.
- Kostenlose öffentliche Verkehrsmittel sind eine absolute Notwendigkeit.