Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 21. April 2024 in Frauenfeld
Der duale Bildungsweg in der Schweiz ist einzigartig und ermöglicht es, berufliche Praxis und schulische Bildung zu verbinden und so auf den beruflichen Alltag vorbereitet zu werden. Dieser Bildungsweg wird aber oft aufgrund von kapitalistischen Interessen gebraucht und gefördert, um Lernende als billige Arbeitskräfte auszubeuten. Da Lernende, auch wenn sie in Ausbildung sind, wichtige Arbeit leisten und der Betrieb von ihrer Arbeit profitiert, sollten sie finanziell angemessen vergütet werden. Die Realität zeigt jedoch viele Probleme. Es kommt nicht selten vor, dass Lernenden Aufgaben gegeben werden, für die sie noch nicht ausgebildet sind oder die nicht in ihrem üblichen Aufgabenbereich stehen. Dies kann unter Umständen zu Gefährdung von Lernenden führen, insbesondere in der Baubranche. Hinzu kommt, das Lernendenlöhne sehr tief sind oder in gewissen Fällen sogar ohne Lohn gearbeitet werden muss. In gewissen Branchen muss vor der Lehre sogar ein schlecht bis nicht bezahltes Praktikum absolviert werden, und zwar ohne Garantie auf eine anschliessende Lehrstelle.
Die Branchenempfehlungen für Ausbildungslöhne sind erschreckend: Für diverse Berufe liegen diese im ersten Lehrjahr bei unter 500 CHF pro Monat im ersten Lehrjahr.[1] Trotz hochprozentigem Arbeitsaufwand neben der Berufsschulbildung bleiben Lernende finanziell von Eltern oder Dritten abhängig. Für Menschen, die später im Leben mit einer Lehre beginnen wollen oder keine finanzielle Unterstützung von ihren Eltern erhalten, drohen Verschuldung oder Ausbildungsabbruch. Stipendien sind alles andere als garantiert, da die Stipendienbeiträge in den vergangenen Jahren nicht angemessen erhöht wurden und die Betroffenen häufig lange warten müssen.[2] Die Löhne der Lernenden sind zu tief, sie reichen nicht einmal ansatzweise zum Überleben. Ausbildung darf kein Luxus sein und soll für alle zugänglich sein. Alle, ob in Ausbildung oder fest angestellt, haben einen gerechten Lohn verdient. Es ist deshalb an der Zeit, für Lehrstellen einen schweizweiten Mindestlohn von 1’000 CHF einzuführen!
Es ist klar, dass 1000 CHF nicht zum leben reichen. Da Lernende von einer Ausbildung durch den Betrieb profitieren, ist ein tieferer Lohn im ersten Lehrjahr zu rechtfertigen. Der Lohn soll auch in jedem Lehrjahr steigen, da Lernende immer weniger Ausbildung brauchen und immer mehr Kompetenzen erlangen. Der alleinige Fokus auf den Lohn wird der Situation aber nicht gerecht: gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Lehre sind heute überhaupt nicht in allen Lehrbetrieben gewährleistet. Verschiedene Befragungen von Lernenden zeigen: zu häufig ist keine angemessene Betreuung gewährleistet, Arbeits- und Ruhezeiten werden nicht eingehalten und die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sind ungenügend. Generell gilt es festzuhalten, dass die Kontrollorgane in der Pflicht wären, die Arbeitsbedingungen in der Lehre zu überprüfen und zu gewährleisten, dass die Betriebe ihre Verantwortung wahrnehmen. Der Bund und die Kantone müssen diese Kontrollorgane zu stärkeren Kontrollen verpflichten. Eine Lehre soll nicht eine Möglichkeit sein, junge Menschen auszubeuten ohne eine gute Ausbildung anzubieten.
Ausbeutung für den Profit des Betriebs
In praktisch allen Branchen arbeiten Lernende intensiv an der Wertschöpfung mit. 2009 betrug der jährliche Gewinn mit Lehrstellen in der Schweiz gegen 500 Millionen Franken[3]. Die meisten Lernenden werden als günstige Arbeitskräfte ausgenutzt, so zum Beispiel Maler*innen oder Elektroinstallateur*innen. Diese bringen dem Geschäft im Durchschnitt etwa 10’000 CHF an Nettonutzen pro Lehrjahr ein[4]. Dazu kommt, dass schon jetzt etwa die Hälfte der Ausbildungskosten zu den Lohnkosten gehören[5]. Generell müssen viele Menschen in Ausbildung eine grosse Verantwortung im Betrieb übernehmen, ohne dass die Betreuung dafür gewährleistet ist. Die Löhne widerspiegeln diese Realität heute nicht.
Bei einer Festanstellung nach Lehrabschluss, entfallen den Betrieben zusätzlich Einarbeitungskosten sowie der Ausschreibungsprozess[6]. Schlussendlich helfen gute Arbeitsbedinungen bei Lehrstellen auch, den Fachkräftemängel zu bekämpfen. Auch wenn die Mehrheit der Betriebe heute im Schnitt einen Nettonutzen aus Lehrstellen zieht, gibt es Betriebe, die sich höhere Löhne für Lernende nicht leisten könnten. Um zu verhindern, dass diese Lehrstellen entfallen, sollen Bund und Kantone die Einführung eines Mindestlohns mit einem Fonds für betroffene Kleinbetriebe abfedern.
Die Situation ist klar: Die Arbeitsbedingungen und Löhne sind bei Lehrstellen nicht zufriedenstellend, obwohl sie einen zentralen Bestandteil des Schweizer Bildungssystems darstellen. Dass viele Lehrstellen dabei von den Gesamtarbeitsverträgen ausgenommen sind, verstärkt diese Tendenz. Es ist entsprechend notwendig, auf Gesetzesstufe einen Mindestlohn für Lernende und bessere Arbeitsbedingungen sowie deren Kontrollen zu erkämpfen.
Deswegen fordert die JUSO:
- Die Einführung eines Mindestlohns von 1000 Franken pro Monat für alle Lernenden im ersten Lehrjahr. Dieser soll steigen, sodass zum Ende der Ausbildung der branchenübliche Lohn ausgezahlt wird.
- Eine Erhöhung der Stipendienbeiträge und Vereinfachung des Zugangs zu Stipendien
- Massnahmen, sodass Lernendenlöhne beim jährlichen Teuerungsausgleich ebenfalls erhöht werden.
- Ein gesetzlich festgeschriebenes Mindestbetreuungsverhältnis für Lehrstellen und Verstärkung der Kontrollen in den Lehrbetrieben
[1]Branchenempfehlungen: https://www.berufsberatung.ch/web_file/get?id=4270
[2]https://www.srf.ch/news/schweiz/chancengleichheit-stipendien-wie-die-schweiz-den-sozialen-aufstieg-bremst
[3] https://www.kmu.admin.ch/kmu/de/home/praktisches-wissen/personal/personalmanagement/personal-ausbilden/kosten-nutzen.html
[4] https://www.ehb.swiss/sites/default/files/obs_ehb_bericht_kosten-nutzen.pdf
[5] https://www.ehb.swiss/sites/default/files/obs_ehb_bericht_kosten-nutzen.pdf
[6] https://www.ehb.swiss/sites/default/files/obs_ehb_bericht_kosten-nutzen.pdf