Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 17.11.2024 in Lausanne (VD)
Diesen September gab der Bundesrat seine Pläne für Kürzungen im Bundesbudget von rund 4 Milliarden Franken bekannt. Von den Sparplänen betroffen sind enorm wichtige Bereiche. So sollen unter anderem Ausgaben im Sozialbereich, für den Verkehr, die Bildung und den Klimaschutz gekürzt werden. Besonders viel gespart werden soll durch den Verzicht auf die Bundesbeiträge, von fast 900 Millionen Franken jährlich, für die familienergänzende Kinderbetreuung. Weitere grosse Sparposten sollen etwa der Verzicht auf Klimaschutz-Subventionen, das Einfrieren der Ausgaben für die Entwicklungshilfe oder Kürzung der Einlagen in den Bahninfrastrukturfonds sein.[1]
Diese Vorschläge basieren auf dem Bericht einer Expert*innengruppe, geleitet vom Ökonom Serge Gaillard[2], welchen der Bundesrat im März dieses Jahres in Auftrag gab. Auslöser dafür ist laut Bundesrat die Tatsache, dass aufgrund der beschlossenen 13. AHV-Rente und der geplanten Aufrüstung der Armee die Ausgaben des Bundes in den nächsten Jahren deutlich schneller wachsen werden als die Einnahmen.[3] Dies widerspricht dem Prinzip der Schuldenbremse, welche in der Schweiz 2001 per Volksabstimmung beschlossen wurde und seit 2003 in Kraft ist.
Die Schuldenbremse ist ein Prinzip der Schweizer Finanzpolitik, welches vorsieht, dass der Staat über die Dauer nicht mehr ausgeben darf, als er einnimmt. Wenn die Wirtschaft schlecht läuft, darf der Staat zwar neue Schulden machen, diese müssen allerdings, wenn es wieder gut läuft, kompensiert werden. Langfristig darf der Staat also keine neuen Schulden mehr machen mit dem Ziel, dass die Schuldenquote über die Jahre immer tiefer wird.[4]
Die Schuldenbremse ist ein perfektes Instrument um neoliberale Abbaufantasien wahr werden zu lassen. Denn schlussendlich bedeutet sie, dass der Bund in Jahren, in denen er mehr Geld einnimmt oder weniger ausgibt, als er budgetiert hat, dieses Geld nicht in staatliche Projekte reinvestieren darf. Gleichzeitig wird jeder Kreditrest als Argument verwendet, um das nächste Steuersenkungspaket zu Gunsten des Kapitals zu legitimieren. Dies spielt natürlich voll in die Karten der neoliberalen Ideolog*innen, deren Credo lautet: Je weniger der Staat für die Belange seiner Bürger*innen aufkommt und je weniger er die Reichen zur Kasse bittet, desto besser. Die neoliberale Spardoktrin, welche in der Schweiz nun schon seit Jahren von Bürgerlicher Seite gepredigt wird, wird entsprechend bewusst vorangetrieben von Institutionen wie beispielsweise dem IWP (Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik). Dieses wurde vor vier Jahren vom Wirtschaftsprofessor und überzeugten neoliberalen Ideologen Christoph Schaltegger gegründet, welcher ebenfalls in der vom Bund beauftragten Expert*innengruppe ist. Das IWP ist an die Universität Luzern angebunden, wodurch es wissenschaftlich und politisch neutral wirkt, finanziert wird es allerdings durch die eigens gegründete private “Stiftung für Schweizer Wirtschaftspolitik”, zu deren Spender*innen, wenig überraschend, eine Handvoll Schweizer Milliardär*innen gehört. Das IWP produziert Studien und Bildungsinhalte für Gymnasien, führt öffentliche Kampagnen durch und verbreitet seine Botschaften fleissig in den Zeitungen dieses Landes, wo IWP-Vertreter*innen regelmässig als wissenschaftliche Expert*innen zu Wort kommen.[5]
Unterdessen wird, nach Jahren der neoliberalen Sparpredigt, die Behauptung, dass der Bund zum Sparen gezwungen sei, gar nicht erst in Frage gestellt, so auch bei diesen neuesten Sparübungen. Dabei kann sich ein Staat Schulden eigentlich problemlos leisten, insbesondere wenn die Gelder dafür genutzt werden, Investitionen im sozialen und ökologischen Bereich zu tätigen.[6] Zum Problem werden Staatsschulden erst, wenn die Volkswirtschaft nicht mehr zahlungs- und kreditfähig ist. Davon ist die Schweiz allerdings weit entfernt: mit allen Vermögen eingerechnet, hat sie ein Nettovermögen von 122 Milliarden Franken, also faktisch keine Schulden[7].
Der Zwang zum Schuldenabbau hingegen hat verheerende Folgen. Einerseits ist eine so restriktive Schuldenpolitik volkswirtschaftlich absolut nicht sinnvoll. Wenn der Staat bei den Sozialleistungen kürzt, schwächt das schlussendlich auch die Kaufkraft der Mehrheit der Bevölkerung. Auch wenn notwendige Investitionen, wie beispielsweise in den Klimaschutz oder die Gleichstellung, nicht getätigt werden, hat dies verheerende Konsequenzen und bedroht die Zukunft von uns allen. Andererseits führt die Sparpolitik dazu, dass die 99% immer mehr allein gelassen werden. Anstatt darüber zu sprechen, wie der Staat wichtige Projekte finanzieren kann, beispielsweise indem die Reichsten stärker besteuert würden, werden die Probleme einfach nach unten verlagert. Finanzpolitik ist deshalb eine Verteilungsfrage und Sparpolitik geht immer zu Lasten der 99% und der sozialen Gerechtigkeit.
Das Resultat einer solchen Politik spielt den reaktionären Kräften direkt in die Karten. Denn dadurch wird der Staat künstlich klein gehalten, ohne dass sie dies in der politischen Debatte so direkt sagen müssen. So können sozial- und gleichstellungspolitische Fortschritte rückgängig gemacht werden, ohne diese Intention zu nennen. Es wird einfach behauptet, es ginge nicht anders. Die Folgen davon sind zunehmende soziale Ungleichheit und ökonomische Probleme, beides relevante Faktoren für den Anstieg des Rechtspopulismus.[8] Ausserdem zwingt eine Streichung der Sozialleistungen die Arbeiter*innen dazu, prekäre Arbeitsverhältnisse eher anzunehmen, da Grundbedürfnisse dadurch zu Wahren werden, die sie bezahlen können müssen. In diesem Sinne dient Sparpolitik also auch als Mittel, um die kapitalistische Ordnung durchzusetzen und zu schützen.[9] Die Schuldenbremse ist schlussendlich ein ideologisches Instrument für rechtskonservative und neoliberale Politik. Beides ist aus demokratischer Sicht bedenklich, aber auch die Sparpolitik in sich stellt eine Aushöhlung der Demokratie dar. Indem der Sparzwang und Steuersenkungen als alternativlos dargestellt werden, wird nämlich verhindert, dass die Demokratie in finanzpolitische Entscheidungen eingreift. So können die Menschen bei der Frage, für was und für wen der Staat Geld ausgibt, kaum mitbestimmen.
Angesichts der multiplen Krisen, denen wir als Gesellschaft aktuell gegenüberstehen, braucht es dringend ein Umdenken in der Finanzpolitik und einen Bruch mit der neoliberalen Spardoktrin. Die sozial-ökologische Transformation, die es zur Bewältigung der Klimakrise und zum Aufhalten des rechten Backlashes braucht, ist alternativlos, doch wenn die Schuldenbremse weiterhin besteht, werden die Voraussetzungen fehlen, um dafür dringend notwendige Investitionen zu tätigen.
Aus diesem Grund fordert die JUSO Schweiz eine Abschaffung der Schuldenbremse und stattdessen eine Finanzpolitik für die 99%. Dies erfordert zwingend eine höhere Besteuerung grosser Vermögen, von Kapitaleinkommen und Erbschaften.
[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/bundesfinanzen-bundesrat-will-rund-vier-milliarden-franken-einsparen
[2] Gaillard hat jahrelang die Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) geleitet. Zuvor war er acht Jahre lang Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Allerdings ist er schon lange nicht mehr links. Er leitete unter den Finanzminister*innen Eveline Widmer-Schlumpf und Ueli Maurer die Finanzverwaltung.
[3] https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-100340.html
[4] https://www.efv.admin.ch/efv/de/home/themen/finanzpolitik_grundlagen/schuldenbremse.html
[5] https://www.woz.ch/2435/finanzpolitik/schalteggers-ideologie-maschine/!F549WP5RV05Q
[6] https://www.denknetz.ch/wp-content/uploads/2017/07/Frick_Grundlagen_Schulden.pdf
[7] https://www.woz.ch/2439/sparplaene-des-bundesrats/die-fdp-hat-sich-ideologisch-verengt/!MZJEE58YN9Y6
[8] https://www.wsi.de/data/wsimit_2018_06_bsirske.pdf
[9] https://www.jacobin.de/artikel/austeritaet-demokratie-aditya-singh-clara-mattei-