Positionspapier der JUSO Schweiz verabschiedet an der Delegiertenversammlung vom 06. April 2019 (Aarau)
“ Die SDA ist nur ihren Aktionären etwas schuldig. Wir sind keine Nonprofit-Organisation, sondern eine Firma, die das Ziel hat, angemessene Gewinne zu machen.“ (Markus Schwab, CEO SDA-Keystone)
Der Durchbruch des Neoliberalismus sorgte auch in der Medienlandschaft für weitreichende Veränderungen.(1) In den 90er-Jahren entstanden in den ersten Kantonen Monopolzeitungen, was in den kommenden Jahrzehnten folgte, war bzw. ist auch heute noch ein Paradebeispiel für die Funktionsweise des Kapitalismus. Der ständige Konkurrenzkampf und der allgegenwärtige Zwang zur Kapitalakkumulation(2) stellen einen direkten Angriff auf die Medienvielfalt, die Demokratie und die Arbeiter*innen in der Medienbranche – Journalist*innen, Lektor*innen, Menschen, die im Radio- und Fernsehstudio arbeiten usw. – dar. Wer im kapitalistischen Wettbewerb mithalten will, handelt und produziert in erster Linie für den Profit. Monopolisierung, schwindende Medienvielfalt und unkritische Berichterstattung sind die Folgen. Und während in den Chefetagen die Boni verteilt werden, leiden die Arbeiter*innen unter den prekären Arbeitsbedingungen.
Die Folgen dieser Entwicklungen sind auch politisch verheerend: Medial vermittelte Inhalte haben in der digitalisierten Welt stärkere Auswirkungen auf die Politik und die Menschen als früher. Innert weniger Sekunden können Meinungen über die ganze Welt verbreitet werden. Wer über die Medien herrscht, herrscht auch über die öffentliche Meinung. Mediensysteme sind also ein wichtiger Bestandteil einer funktionierenden Demokratie. Heute haben wir allerdings in der Schweiz mit Ringier, Tamedia und der CH Media AG gerade einmal drei Medienhäuser, welche 80% der Tageszeitungen in der Deutsch- und Westschweiz herausgeben(3) und damit über eine enorme Meinungsmacht verfügen. Die Berichterstattung dieser Medientitel bewegt sich innerhalb bürgerlich-hegemonialer Logik. Alternative, linke Medien - und damit verbunden auch eine Berichterstattung, welche sich den herrschenden hegemonialen Zuständen widersetzt - sind aufgrund mangelnder Ressourcen innerhalb dieses Marktes eine Seltenheit(4). Von einer Berichterstattung, die eine wirklich freie Meinungsbildung ermöglicht, wie sie für eine Demokratie eigentlich nötig wäre, kann keine Rede sein.
1) Viele Verlierer*innen...
Medien gelten als vierte Gewalt der Demokratie. Unabhängige Berichterstattung und Demokratie bedingen sich gegenseitig. In unserem Wirtschaftssystem können die Medien diese Rolle allerdings nur ungenügend erfüllen. Extreme Monopolisierungstendenzen in der Medienbranche sind entsprechend in unzähligen Ländern zu beobachten. Diese Entwicklungen sind weder neu, noch überraschend. Sie sind eine logische Folge unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems, in dem journalistische Grundsätze dem Zwang zur Kapitalakkumulation(5) zum Opfer fallen. Medientitel, die im hart umkämpften Medienmarkt nicht mithalten können, werden aufgekauft, versinken in der Bedeutungslosigkeit oder verschwinden ganz. Anstelle von echter Meinungs- und Medienvielfalt bilden sich einzelne Medienimperien. Der Journalismus stellt bei diesen Medienimperien aber oftmals nur noch ein kleines Standbein dar. Auch Schweizer Medienkonzerne wie Tamedia, Ringier und Co. haben längst begonnen, in andere Branchen zu investieren, die mehr Aussicht auf Profit versprechen. Einzelne Medientitel werden zum Investment, das fallen gelassen wird, sobald der Gewinn nicht mehr stimmt.
Doch nicht nur die Medienvielfalt wird durch die Medienkonzentration bedroht, auch die Berichterstattung leidet darunter. Fast alle heutigen Medien und damit auch deren Berichterstattung sind abhängig von ihren Kapitalgeber*innen, seien dies Aktionär*innen oder Werbe-Kund*innen. Produziert wird dementsprechend in erster Linie, was Profit verspricht und die Kapitalgeber*innen zufrieden stellt. Eine Berichterstattung ausserhalb der neoliberalen Hegemonie wird dadurch weitgehend verunmöglicht, herrschende Verhältnisse und Rollenbilder werden reproduziert statt hinterfragt. Gleichzeitig findet eine Verschiebung der journalistischen Inhalte hin zu Soft News und Skandaljournalismus statt. Kritischer und teurer, investigativer Journalismus verliert an Bedeutung. Aufgrund des ständigen Zwangs zu Effizienzsteigerung und Abbau wird zudem immer mehr auf Agenturmeldungen anstelle von eigener Berichterstattung gesetzt. Rund ein Viertel der gesamten Medienberichterstattung besteht inzwischen aus Agenturmeldungen(6). Die Inhalte der Agenturmeldungen werden oftmals unkritisch und unverändert übernommen, weitere Recherchen bleiben weitgehend aus und fehlerhafte Inhalte werden breit gestreut. Damit verbunden steigt die Meinungsmacht der Agenturen bzw. in der Schweiz der Keystone-SDA als einziger Nachrichtenagentur. Gleichzeitig sind die Medienhäuser aber auch nicht bereit, angemessene Preise für die Agenturdienste zu bezahlen, was wiederum zu Entlassungen oder Verschlechterungen von Arbeitsbedingungen führt.(7)
Die grossen Verlier*innen der Medienkonzentration sind vor allem auch die Arbeiter*innen der Medienbranche.Massenentlassungen sind keine Seltenheit, alleine 2018 verloren hunderte Personen in der Medienbranche ihre Arbeitsstelle. Für die verbleibenden Arbeiter*innen gestaltet sich die Situation schwierig: Ein GAV fehlt in der Medienbranche, viele Journalist*innen sind als Freischaffende angestellt, so können die Medienunternehmen die Ausgaben für Löhne und für die berufliche Vorsorge ihrer Angestellten drücken. Abgebaut wird auch bei der Infrastruktur für die Angestellten, Tamedia-Mitarbeiter*innen beschwerten sich beispielsweise nach dem Abbauprogramm vom August 2017 über gesundheitsgefährdende Zustände in Mitarbeiter*innen-Küchen oder WCs. Anstelle von Entlassungen wird oftmals auch auf sogenannte «freiwillige Abgänge» gesetzt. Durch schlechte Arbeitsbedingungen und Konkurrenzkämpfe zwischen den Angestellten werden Mitarbeiter*innen vergrault und deren Stelle nicht neu besetzt. Für die verbleibenden Mitarbeiter*innen vergrössert sich im Gegenzug der Arbeitsaufwand.
Die letzten Monate haben zwar gezeigt, dass die Medienschaffenden die Repressionen des Kapitals nicht wehrlos hinnehmen - im Frühjahr 2018 reagierten Mitarbeitende der damaligen SDA mit einem Streik auf eine Kündigungswelle - mehr als kleine Zugeständnisse und punktuelle Verbesserungen konnten damit aber nicht erreicht werden. Es zeigte sich deutlich: Innerhalb des kapitalistischen Systems werden die Bedürfnisse der Arbeiter*innen nie an erster Stelle stehen. Auch Keystone-SDA, ursprünglich als nicht-gewinnorientiertes Unternehmen gegründet, folgt den kapitalistischen Marktlogiken und stellt das Streben nach Profit an erste Stelle.
Die JUSO stellt daher folgende Forderungen:
- Kein weiterer Abbau in der Medienlandschaft
- Monopolisierung stoppen - staatliche Regulierungen zur Verhinderung von Medienkonzentration
- GAV für Medienschaffende
- Verbot von ökonomisch begründeten Entlassungen bei Medienunternehmen, die Geld an die Besitzenden ausschütten
- Organisation der Keystone-SDA als nicht-gewinnorientierte Genossenschaft, teilfinanziert durch staatliche Beiträge
2) ...und wenige Gewinner*innen
Profiteur*innen der Medienkonzentration sind hingegen bürgerliche Politiker*innen und Parteien. Die Medienberichterstattung hat sich in den letzten Jahren nach rechts verschoben, Chefredakteur*innen der meisten grossen Medientitel sind dem politisch rechten Spektrum zuzuordnen.(8)
Eine Diskursverschiebung nach rechts ist auch in der Medienpolitik zu beobachten. Symptomatisch hierfür war die Lancierung und der Abstimmungskampf um die «No-Billag»-Initiative. Ein öffentliches und den privatwirtschaftlichen Zwängen nicht vollständig ausgesetztes Medienhaus wie die SRG ist in unserem derzeitigen Mediensystem unverzichtbar. Es schränkt die Meinungsmacht der privaten Medien teilweise ein. Die Initiative, die de facto einer Auflösung der SRG gleichgekommen wäre, war damit vor allem auch ein Versuch von bürgerlicher Seite, die eigene Macht über die öffentliche Meinungsbildung zu stärken. Verpackt wurde dies in dem Argument der hohen Gebühren bzw. der hohen finanziellen Belastung. Trotz einem klaren Bekenntnis zu einem medialen Service public, dürfen wir uns aber auch mit Kritik an der SRG nicht zurückhalten. Dass die SRG noch am Tag des Neins zur «No Billag» Massenentlassungen und Abbaumassnahmen angekündigt und dann auch umgesetzt hat, zeigt diesen Umstand beispielhaft auf.
Obwohl die «No-Billag»-Abstimmung nun schon über ein Jahr zurückliegt, bleibt die Frage der Finanzierung von Medien brandaktuell. Die Billag- bzw. neu Serafe-Gebühr trifft derzeit vor allem einkommensschwache Schichten und müsste daher einkommensabhängig und progressiv gestaltet werden. Von der heutigen Presseförderung wie beispielsweise einer vergünstigten Postzustellung oder dem reduzierten Mehrwertsteuer-Satz profitieren die grossen Medienimperien überproportional. Hingegen fehlen geeignete Instrumente, um die Eintrittshürden für neue, alternative Medientitel zu senken.
Die JUSO stellt daher folgende Forderungen:
- Finanzierung des medialen Service publics mittels einkommensabhängiger und progressiver Gebühren
- Mehrheitlich leser*innenfinanzierte und werbefreie Medienprodukte sollen staatlich gefördert werden. Erlaubt bleiben diesen Medien Anzeigen nicht-gewinnorientierter Vereine und Unternehmen
- Keine staatliche Förderung für Medienunternehmen, die Geld an die Besitzenden ausschütten.
- Linke Organisationen und Parteien sollen sich zusammenschliessen, und einen Zukunftsmedienfonds einrichten, welcher Neugründungen von Medienhäusern unterstützt und kapitalunabhängigen Journalismus fördert. Damit soll die Monopolisierung eingedämmt werden, die immer höhere Eintrittskosten in den Medienmarkt nach sich zieht
- Medienunternehmen, die vom Staat gerettet wurden, sollen umgewandelt werden in demokratische Organisationen
3) Die bürgerliche Hegemonie durchbrechen!
Kapitalakkumulation, Monopolisierung, prekäre Arbeitsbedingungen - der Mediensektor zeigt beispielhaft auf, weshalb das kapitalistische System nicht funktioniert, wenn es darum geht, das grösstmögliche Wohl für alle Menschen und nicht nur für das eine Prozent zu erzielen. Auch bürgerliche Medien berichten über all diese Problematiken, interpretieren sie aber natürlich nicht als Fehler des Systems; viel eher wird die Schuld einmal mehr bei den Individuen gesucht, bei den Konsument*innen von Medienprodukten, die nicht mehr bereit seien, für journalistische Arbeit einen angemessenen Preis zu bezahlen. Uns muss bewusst sein, dass das nicht zufällig geschieht, sondern klare Ziele dahinter stehen: Die Medienbourgeoisie hat kein Interesse daran, die Abhängigkeit von der werbetreibenden Wirtschaft und Aktionärsinteressen zu unterbinden. Auch ein wirklich pluralistisches Mediensystem ist nichts, was sie wollen kann, schliesslich könnte damit eine Diskursverschiebung erzielt werden, die ihr gefährlich werden kann.
Wenn bürgerliche Medien, die klassische sozialwissenschaftliche Forschung oder mittig-linke (Medien-)Politiker*innen von der (fehlenden) «Mediendiversität» sprechen, dann propagieren sie eine Diversität, die nicht wirklich eine ist: Eine, die aus noch viel mehr NZZs, Le Temps und Blicks besteht. Dasselbe Phänomen ist beim Begriff der «Medienfreiheit» zu beobachten: Die genannten Medien sind nicht wirklich frei, denn sie bewegen sich konstant innerhalb der bürgerlichen Hegemonie, haben aufgrund wirtschaftlicher Zwänge gar nicht die Möglichkeit, sich ihr zu entziehen.
Wirkliche Diversität und Medienfreiheit bedeuten, dass Journalist*innen die Möglichkeit gegeben werden muss, sich von wirtschaftlichen und von staatlichen Zwängen so weit wie möglich zu entsagen. Erst dann sind wirklich kritische Berichterstattung, Kommentare und ein emanzipativer Journalismus für die breite Masse möglich.
Die Erfüllung der in Teil 1 und 2 dieses Papiers formulierten Forderungen sind dringend nötig, um die Symptome der Medienkrise zu bekämpfen: Um einen Journalismus zu ermöglichen, der von grossen Medienhäusern unabhängig ist und nicht zuletzt, um den Druck auf die Arbeiter*innen in der Medienbranche zu verringern. Doch die Investition durch den Staat in jetzige, bürgerlich-geprägte Titel reicht nicht aus. Die Möglichkeit einer staatlichen Förderung räumt den politischen Entscheidungsträger*innen nicht zuletzt einen Ermessenspielraum ein, welche Medien gefördert werden und welche nicht. Langfristig müssen daher echte Alternativen her, wenn der mediale Diskurs - und damit auch derjenige in den Köpfen der Menschen - wirklich verschoben werden soll.
Um das zu erreichen, müssen die herrschenden Eigentumsverhältnisse zwingend geändert werden: Es darf nicht mehr die Medienbourgeoisie sein, die darüber entscheidet, worüber und wie berichtet wird - denn sie wird sich in erster Priorität immer an ihrem eigenen Wohl orientieren. Wir brauchen Medienorganisationen, die demokratisch organisiert und deren Eigentümer*innen die Medienschaffenden selbst sind. Wir sind auf vom Staat und der Wirtschaft unabhängige Medien und deren Berichterstattung angewiesen. Einzig mit einer demokratischen Organisationsform wird das Problem der Monopolisierungstendenzen im Medienbereich aber nicht behoben; staatliche Regulierung zu deren Verhinderung sind unerlässlich. Medienorganisationen, die sich wirtschaftlichen Zwängen entsagen können, müssen sich ihrer Macht bewusst sein. Sie stehen in der Verantwortung, bürgerliche Logiken zu hinterfragen und einen kritischen Diskurs in der Bevölkerung anzureissen
Die JUSO stellt deshalb die folgenden Forderungen:
- Medienorganisationen müssen unter der demokratischen Kontrolle der Medienschaffenden und der Zivilgesellschaft stehen
- Medienorganisationen müssen in ihrer Berichterstattung frei sein von wirtschaftlichen oder staatlichen Zwängen jeder Art
- Staatliche Medienförderung von demokratisch organisierten Medien
Für kritische Medien, die diese Bezeichnung verdienen. Für den Niedergang der bürgerlichen Hegemonie!
(1) In diesem Papier verstehen wir „Medien“ als von Journalist*innen aufbereitete und gewichtete Texte, Bilder, Video usw. Es soll in diesem Papier nicht in erster Linie um den Einfluss und die Rolle von sozialen Netzwerken und Plattformen wie Facebook, Twitter, Youtube usw. gehen.
(2) Unter dem Begriff Kapitalakkumulation versteht man die Anhäufung von Kapital (sprich Reichtum) bei einigen wenigen.
(3) Qualität der Medien, Jahrbuch 2018, URL: https://docs.wixstatic.com/ugd/440644_e544f5b4171c4138a97a6216d05146e1.pdf
(4) Vgl. Herman, Edward S. / Chomsky, Noam, 1988: Manufacturing Consent. The Political Economy of the Mass Media. New York
(6) https://www.foeg.uzh.ch/dam/jcr:accb3350-edef-4e00-a9e6-ed63f3416791/SDA_Analyse_final.pdf (2. Februar 2018)
(7) Republik: Das Protokoll eines gescheiterten Streiks. URL: https://www.republik.ch/2018/04/13/das-protokoll-eines-gescheiterten-streiks (27. Februar 2018)
(8) https://www.srf.ch/news/schweiz/schweizer-presse-rueckt-weiter-nach-rechts