Positionspapier der JUSO Schweiz verabschiedet an der Delegiertenversammlung vom 24. April 2021 (online)
Die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft gehören heute in der Schweiz zu den schlechtesten. Die enorme Arbeitsbelastung, soziale Unsicherheit und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führen mitunter zu dramatischen Situationen. Landwirt*innen leiden unter Burn-outs, ertrinken in Schulden und die Direktzahlungen reichen oft bei Weitem nicht aus, um einen angemessenen Lebensunterhalt zu sichern. Kleine Bauernhöfe stehen unter enormem finanziellem Druck, sowohl wegen der Schuldenlast als auch wegen der starken Konkurrenz durch Grossbetriebe, riesige Detailhändler und der Liberalisierung der internationalen Märkte. In der Schweiz schliessen jeden Tag vier Bauernhöfe und der Druck auf die Landwirt*innen nimmt zu.[A]
Die Landwirtschaft wird stark subventioniert, weil sie eine wesentliche Rolle bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, der Erbringung von Diensten für die Umwelt und der Landschaftspflege spielt. Die vom Bund gewährten Direktzahlungen führen jedoch nicht zum gewünschten Resultat. Anstatt den vom Markt unter Druck gesetzten Bäuer*innen zu helfen, fliessen 50% der Direktzahlungen an die Verarbeitungs- und Vertriebsketten.[B] Das Geld des Bundes wird also nicht verwendet, um den unter Druck stehenden Arbeiter*innen zu helfen, sondern um zu den Gewinnen von Coop, Migros und anderen beizutragen.
Die Landwirtschaft ist eine unverzichtbare Branche, die in der Lage sein muss, auf ethisch vertretbare und ökologische Weise genügend Nahrungsmittel für alle zu produzieren.
Dieses Positionspapier hat zum Ziel, den momentanen Zustand der Schweizer Landwirtschaft darzustellen und eine sozialistische Alternative vorzuschlagen, die eine nachhaltige und solidarische Vision der Landwirtschaft präsentiert, welche Menschen, andere Tiere und ihre Umwelt in den Mittelpunkt stellt und nicht mehr den Profit einiger weniger.
Strapazierend lange Arbeitszeiten und schlechte Löhne
Auch heute noch unterliegen die Beschäftigten in der Landwirtschaft nicht dem Arbeitsgesetz (ArG). Die allen bekannten Regeln zu Arbeitszeiten, Freitagen oder Ferien gelten für den landwirtschaftlichen Sektor nicht. Ausserdem gibt es auf eidgenössischer Ebene keinen Gesamtarbeitsvertrag (GAV), und die wenigen GAV, die es gibt, bieten unzureichende Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben. Die Arbeitsbedingungen werden durch Normalarbeitsverträge (NAV) geregelt, bei denen es sich um faktisch unverbindliche Empfehlungen auf kantonaler Ebene handelt. Das macht es sehr schwierig, Lohnabhängige innerhalb der Branche zu organisieren.
Während die Arbeitszeit in den NAV mit 53 Stunden pro Woche festgelegt ist, zeigt die Realität auf dem Feld, dass die Beschäftigten in der Landwirtschaft durchschnittlich fast 58 Stunden pro Woche arbeiten.[C] Ohne Überstunden, Samstags- und sogar Sonntagsarbeit und Arbeitstagen mit kaum bezahlten Pausen, ist das nicht zu schaffen. Zusätzlich zu den anstrengenden Arbeitszeiten liegt der durchschnittliche Mindestlohn bei 14 Franken pro Stunde, was für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreicht.[D] Die Beschäftigten verdienen nach Abzug der Kosten für Unterkunft und Verpflegung (die sich kaum vermeiden lassen, wenn man fast 60 Stunden pro Woche am Arbeitsplatz verbringt) zwischen 2’000 und 2’500 Franken im Monat.[E] Die Reallöhne sind in den letzten Jahren sogar gesunken, da der Anstieg der Lebenshaltungskosten bei der Berechnung der Lohnerhöhungen nicht berücksichtigt wird.
Grosser Druck durch den liberalisierten Markt
Die Situation der selbständigen Kleinbäuer*innen ist nicht besser. Jeden Tag schliessen in unserem Land etwa vier Bauernhöfe, was die tiefe Krise des Sektors symbolisiert. Der Hauptgrund dafür ist der starke wirtschaftliche Druck durch den Markt, durch die Freihandelspolitik und durch den starken Wettbewerb zwischen grossen und kleinen Betrieben. Die Landwirt*innen stehen unter zunehmendem Stress, was sich auch in den Gesundheitsstatistiken widerspiegelt. 12% der Landwirt*innen geben an, an Burn-out zu leiden: doppelt so viele wie beim Rest der Schweizer Bevölkerung.[F] Darüber hinaus erlebt der Berufsstand eine traurige Welle von Suiziden. Die Zahl der Bäuer*innen, die Suizid begingen, hat sich zwischen 2009 und 2015 verdoppelt.[G] Laut einer Studie über die Schweizer Landwirtschaft ist es der Verlust der wirtschaftlichen Wertschätzung, den die Landwirt*innen als Abwertung der grundlegenden Bedeutung dieses Berufes zu erleben scheinen.[1] Diese soziale Notlage muss ernstgenommen werden, zumal die derzeitige Politik der Direktzahlungen nicht ausreicht.
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Sektors werden durch den Rückgang der Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft deutlich. Während im Jahr 2000 noch 115’000 Menschen in der Schweizer Landwirtschaft arbeiteten, waren es 2018 nur noch 85’000.[2] Diese Entwicklung muss nicht zwingend schlecht sein, denn durch den Einsatz von neuen Maschinen können menschliche Ressourcen effizienter eingesetzt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Preisdruck dazu führt, dass pro Person mehr geleistet werden muss.
Die noch prekäreren Bedingungen von Migrant*innen und Frauen
Der Anteil ausländischer Arbeiter*innen, die besonders häufig gezwungen sind, Schwarzarbeit zu leisten, steigt. Obwohl der Schweizerische Bauernverband die Beschäftigung von Schwarzarbeiter*innen immer bestritten hat, zeigen Studien, dass 8’000 Menschen in diesem Sektor Schwarzarbeit leisten, die überwiegende Mehrheit von ihnen sind Migrant*innen.[H] Diese Arbeiter*innen haben in der Schweiz kaum Rechte, keinen Schutz vor Entlassung oder Nichtzahlung des Lohns etc.
Auch Frauen sind von der Misere der Landwirtschaft stark betroffen. Sie nehmen oft einen zentralen Platz in den Familienbetrieben ein, übernehmen den Grossteil der Betreuungsarbeit, der Hausarbeit und arbeiten gleichzeitig auf dem Hof mit. All diese unbezahlte Arbeit erlaubt es ihnen nicht, unabhängig zu sein oder für ihr Alter vorzusorgen. Andererseits sind es oft die Frauen, die als erstes nach Arbeit ausserhalb des Hofes suchen, um das für das Überleben des Haushalts notwendige Zusatzeinkommen zu erzielen. Diese verschiedenen Zwänge führen dazu, dass sie in einer starken Abhängigkeit leben und noch stärker von Burn-Outs betroffen sind als die Männer. Dies thematisiert auch der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband, welcher sich im Rahmen des Frauenstreiks 2019 mit klaren Forderungen positionierte. Unbezahlte Arbeit sowie die finanzielle Abhängigkeit der Bäuerinnen von den Landwirten muss ein Ende haben.
Die JUSO Schweiz stellt deswegen folgende kurzfristige Forderungen auf:
- Alle Arbeiter*innen in der Landwirtschaft müssen dem Arbeitsgesetz unterstellt werden.
- Die Einführung regelmässiger Kontrollen und angemessener Sanktionen für Arbeitgeber*innen, falls die gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen nicht eingehalten werden.
- Ein Mindestlohn von 5’000 Franken für die Landwirtschaft
- Anständige Arbeitszeiten
- Legalisierung aller illegalen Arbeiter*innen und Zuzugsrecht für deren Familie.
- Löhne und damit soziale Absicherung für Bäuerinnen
- Allgemeine Erhöhung des Grundbeitrags der AHV zur Verbesserung der Situation bei Bäuerinnen in der Altersvorsorge
- Verbesserter Zugang zu psychologischer Unterstützung
Ökonomische Betrachtung der Landwirtschaft in der Schweiz
Obwohl die Landwirtschaft weniger als 1% des BIP der Schweiz ausmacht, beschäftigt sie mehr als 150’000 Menschen in über 40’000 landwirtschaftlichen Betrieben. Die Zahl der Beschäftigten nimmt dabei seit vielen Jahrzehnten stetig ab.[3] In Bezug auf die Selbstversorgung[4] ist die Schweizer Landwirtschaft in der Lage, fast 100% der tierischen Lebensmittel (wenn die Futtermittelimporte nicht berücksichtigt werden) und rund 40% der pflanzlichen Lebensmittel zu produzieren, woraus 2018 ein Selbstversorgungsgrad von 58% resultierte.[5] Die regulierte (subventionierte) Produktion auf Schweizer Boden führt zu Exporten von Agrarrohstoffen (um bestimmte Produktionsquoten zu erfüllen, aber auch aus rein kommerziellem Interesse), die für Landwirt*innen im Globalen Süden oft zerstörerische Konsequenzen haben. So entsteht ein Teufelskreis, bei dem die Schweizer Produktion exportiert wird, anstatt im Inland konsumiert zu werden, und bei dem in der Folge ausländische Produkte importiert werden, um die in der Schweiz künstlich erzeugte Knappheit auszugleichen. Langfristig wird dadurch die Spekulation mit Rohstoffen gefördert, deren schädliche Auswirkungen bereits vielfach nachgewiesen worden sind.[6]
Wachstum der Grossbetriebe auf Kosten von Kleinbäuer*innen
Die Schweizer Landwirtschaft weist verschiedene Entwicklungen auf: Seit mehr als 40 Jahren hat sich die landwirtschaftliche Nutzfläche kaum verändert, sodass die Schweiz zu den europäischen Ländern mit der geringsten landwirtschaftlichen Nutzfläche pro Einwohner*in gehört. Gleichzeitig ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe und Arbeitsplätze um etwa 54% gesunken, was einen erheblichen Verlust an Know-how und technischem Wissen zu Folge hat.[7] Industrielle Massentierhaltung und (sehr) grosse Landwirtschaftsbetriebe sind auf dem Vormarsch, sodass sich die durchschnittliche Grösse eines Betriebs seit den 1970er-Jahren verdoppelt hat.[I] Diese Entwicklung wird angetrieben durch finanziellen Druck, Mechanisierung und technologischen Fortschritt, die die körperliche Arbeit, die früher von den Landwirt*innen geleistet wurde, ersetzt haben.
Diese Entwicklung kam also den Grossbetrieben zugute, die über das nötige Kapital verfügten, um ihre technische Ausstattung und Produktion zu verbessern sowie um kleinere Betriebe aufkaufen zu können. Dies wiederum hatte den perversen Effekt, dass die Verschuldung in der Landwirtschaft drastisch anstieg. Als Anhaltspunkt: Zwischen 2010 und 2016 stieg die Verschuldung pro Hektar um etwa 20% und erreichte 31’316 CHF.[J] Um mit den grossen Landwirtschaftsbetrieben konkurrieren zu können, sind kleine Bauernhöfe gezwungen, in die Modernisierung ihres Betriebs zu investieren, wodurch sich immer mehr Schulden anhäufen und die Überlebensfähigkeit dieser Betriebe immer stärker abnimmt. Das hat verheerende Folgen für die Landwirt*innen, die keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit finden, wenn diese nur Schulden und finanzielle Schwierigkeiten mit sich bringt.
Wirtschaftliche Hebel zur Unterstützung der Landwirtschaft
Die Schweiz unterstützt die Landwirtschaft vor allem auf zwei Arten: erstens durch Subventionen und zweitens durch die Zollpolitik.
Die finanziellen Beträge lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen: Direktzahlungen, Unterstützung für Produktion und Verkauf und soziale Massnahmen. Zusammengerechnet machen diese Beträge etwa 60% des landwirtschaftlichen Einkommens in der Schweiz aus.[K] Diese Beträge kommen jedoch nicht vollständig den Landwirt*innen zugute: Die Hälfte der vom Bund ausbezahlten Subventionen wird von den Verarbeitungs- und Vertriebsketten einkassiert. Anstatt die Landwirtschaft zu unterstützen, mästen wir die Profite der grossen Ketten wie Migros oder Coop, denen viele Verarbeitungsbetriebe gehören und die den Landwirt*innen unhaltbar tiefe Preise aufzwingen, so dass diese noch stärker in die Abhängigkeit der Subventionen getrieben werden.
Hier kommt das zweite schützende Element für die Schweizer Landwirtschaft ins Spiel: der Zollschutz gegenüber ausländischen Produkten. Um die Notwendigkeit von Importzöllen zu verstehen, muss man sich bewusst sein, dass die Schweizer Landwirtschaft zwar hauptsächlich für den Schweizer Markt produziert, der Selbstversorgungsgrad aber unter 60% liegt. Es ist daher notwendig, die Schweizer Landwirt*innen, die relativ strenge Kriterien erfüllen müssen, wenn sie staatliche Subventionen erhalten wollen, vor den perversen Auswirkungen des freien Marktes zu schützen.
Dies führt zu einem offensichtlichen Kostenunterschied: Produkte, die in der Schweiz unter strengen Bedingungen hergestellt werden, werden auf dem Markt teurer sein als solche, die anderswo ohne Kriterien zu viel tieferen Kosten hergestellt werden. Deshalb sind die Importmengen bestimmter Produkte begrenzt und es gibt Bestimmungen darüber, welche Standards erfüllt werden müssen, damit Produkte importiert werden dürfen.
Druck durch Grossverteiler und Importindustrie
Diese Hebel müssen erhalten und ausgebaut werden, um das Überleben der Schweizer Landwirtschaft zu sichern, solange wir uns noch im gewohnten kapitalistischen Nationalstaatenkonstrukt befinden. Landwirt*innen stehen heute von zwei Seiten unter Druck. Die erste ist die der grossen Vertriebsketten, die in einem oligopolistischen[X] Markt agieren, niedrige Preise festlegen können und sich so üppige Gewinne garantieren, wenn die Produkte nach der Verarbeitung weiterverkauft werden. Die zweite ist der Import ausländischer Produkte, die trotz der Zollbestimmungen eine unfaire Konkurrenz zu Schweizer Produkten darstellen. Die Situation ist allgegenwärtig: Subventionen werden abgezweigt, missbräuchlich niedrige Verkaufspreise werden von den Vertriebs- und Verarbeitungsriesen kontrolliert, die sich ihre Margen sichern und gleichzeitig von staatlichen Subventionen profitieren, und Produkte, die auf dem Schweizer Markt keinen Anklang finden, werden in den Export gedrängt und schaden damit ausländischen Märkten. Das alles ist ein Symbol für die Absurdität des Marktes in der Landwirtschaft. Ein weiteres der vielen Beispiele für die Absurdität dieses Systems ist der Wein: Ausländische Weine werden zu Preisen in die Schweiz importiert, mit denen die inländische Produktion unmöglich mithalten kann (fast 40% der importierten Weine kosten weniger als 1,50 Schweizer Franken pro Liter). In der Folge verlieren die Schweizer Weine erheblich an Marktanteilen und machen nur noch 35% des Umsatzes aus[8]. Die Lösung, die den Weinproduzent*innen derzeit vorgeschlagen wird, ist der Export.
Die JUSO Schweiz stellt deswegen folgende kurz- bis mittelfristige Forderungen auf:
- Fünfjähriges Moratorium für Senkungen der Abnahmepreise zwischen Landwirt*innen und den Grossverteilern / der weiterverarbeitenden Industrie
- Entwicklung von Plattformen für den direkten Austausch zwischen Produzent*innen und Konsument*innen
- Erhöhung der direkten Subventionen für kleinräumige regionale Agrarstrukturen
- Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln
- Staatliches Vorkaufsrecht bei Aufgabe von Höfen, falls Familienmitglieder oder Angestellte den Hof nicht übernehmen möchten
- höhere Importzölle bei Produkten, welche durch zu günstige ausländische Produktion im Preis nicht konkurrenzfähig sind
Die Effekte der Landwirtschaft auf Klima und Umwelt
Die Landwirtschaft ist heute verantwortlich für 14.2% der Treibhausgasemissionen der Schweiz. Am stärksten (56%) tragen dazu die Emissionen bei, die aus der Nutztierhaltung entstehen. Dazu kommen die Emissionen von Lachgas aus der Nutzung von landwirtschaftlichen Böden, die Emissionen aus der Hofdüngerlagerung und die Emissionen von Ammoniak durch unsachgemässes Düngen. Die Emissionen haben sich seit 1990 um 10% reduziert, hauptsächlich aufgrund von tieferen Rindviehbeständen und effizienteren Produktionsweisen.
Die Emissionen aus der Nutztierhaltung, insbesondere jene aus der Rindviehaltung lassen sich nur begrenzt reduzieren, ohne die Bestände zu verringern. Deshalb ist es unumgänglich, dass die Viehzucht und damit auch die Produktion tierischer Erzeugnisse reduziert wird. Die Reduktion der Bestände soll dabei auch genutzt werden, um den Tieren mehr Platz zu geben. Grundsätzlich müssen Veränderungen in der Nutztierhaltung zum Wohl der Tiere sein. Daneben gibt es Massnahmen, um die Emissionen in Zusammenhang mit der Fütterung zu verringern. Durch den Aufbau von Humus kann Kohlenstoff gebunden werden und so zusätzliche Emissionen reduziert werden. Eine weitere Massnahme ist das Stoppen der Überdüngung.
Diese Massnahmen, die die Emissionen der Landwirtschaft reduzieren können, sind zwingend notwendig und müssen rasch erfolgen, um das Netto-Null-Ziel bis 2030 einzuhalten und die Pariser Klimaziele zu erreichen. Diese Massnahmen sind aber mit Aufwand und Kosten verbunden und müssen von der Gesellschaft unterstützt werden. Die Schaffung einer nachhaltigen und klimapositiven Landwirtschaft ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Nicht zuletzt profitiert davon auch die Landwirtschaft, denn sie ist durch die klimatischen Veränderungen heute schon direkt betroffen. Wasserknappheit und trockene Böden, häufiger auftretende Extremwetterereignisse und die höhere Durchschnittstemperatur stellen die heutige Produktion nämlich grundsätzlich in Frage. Die Hitzesommer der letzten Jahre haben bereits gezeigt, wie stark die hiesige Landwirtschaft durch die Klimakrise bedroht ist.
Die JUSO Schweiz stellt deswegen folgende kurzfristige Forderungen auf:
- Eine extensive Landwirtschaft[x] für den Humusaufbau
- Optimale Fütterung der Nutztiere und technische Mittel, um Emissionen zu reduzieren
- Förderung einer Landwirtschaft, die auf die Klimakrise angepasst ist.
- Keine Steuergelder für die Absatzförderung tierischer Produkte
- Förderung von nicht tierischen Produkten
Schädlicher Einsatz von Pestiziden und Bedrohung der Biodiversität
Seit Menschen Ackerbau betreiben, setzen sie Massnahmen ein, um die angebauten Pflanzen vor Umwelteinflüssen zu schützen. Nur dank solcher Massnahmen konnte und kann der Ackerbau die Menschheit mit Nahrung versorgen. Doch die Verwendung von synthetischen Pestiziden gefährdet nicht nur die Biodiversität, sondern auch die Gesundheit der Menschen. Ein Verbot von synthetischen Pestiziden ist deshalb eine notwendige Massnahme, die jedoch nicht allein kommen darf. Auf der einen Seite braucht es Unterstützung für die Landwirtschaft und auf der anderen muss der Zugang zu gesunden und bezahlbaren Lebensmitteln für alle sichergestellt sein. Dazu soll eventuell auch der Einsatz von Gentechnologien einen Beitrag leisten können, jedoch nur nach ausgiebiger Forschung und Prüfung und nur in der Hand der Öffentlichkeit. Der Einsatz von GMO darf ausserdem nicht dazu führen, dass Bäuer*innen durch Lizenzen von Saatguthersteller*innen abhängig gemacht werden.
Neben der Klimakrise droht auch eine Biodiversitätskrise: Das unwiderrufliche Aussterben von Millionen von Tierarten in den nächsten Jahrzehnten. Dieser Verlust wird ganze Ökosysteme zerstören und ungeahnte Auswirkungen auf der ganzen Welt mit sich bringen. Nach den vergangenen 5 bekannten Massensterben dauerte es Millionen Jahre, bis sich die Natur erholte. Dieses Artensterben wird verursacht durch die Zerstörung der Lebensräume und das Einbringen von Giften in die Natur. In Monokulturen kann die Artenvielfalt nicht gedeihen, es braucht eine ökologische Landwirtschaft, die den Erhalt der Biodiversität als Ziel hat. Dazu gehören auch Flächen, die nicht bewirtschaftet werden, um der Natur genügend Raum zu geben.
Die Landwirtschaft hat bei Weitem nicht nur negative Auswirkungen auf die Umwelt. Im Gegenteil: Die Landwirtschaft sorgt in vielen Gegenden für eine enorme Biodiversität. Alpweiden mit ihrer enormen Artenvielfalt wären ohne die oft harte Arbeit der Alpwirtschaft nicht vorhanden. Doch eine Landwirtschaft, die der Biodiversität Sorge trägt, steht im Widerspruch zur Profitmaximierung durch Monokulturen und Pestizideinsatz. Solange die Landwirtschaft dem Druck durch Wettbewerb unterliegt, bleibt die nachhaltige Produktion eine Nische. Dass genau die grösste Vertretung der Landwirtschaft, der Schweizer Bauernverband (SBV), sich gegen jegliche fortschrittliche Gesetzgebung stellt, ist enttäuschend. Die Agrarlobby, welche vor allem durch Grossbetriebe getrieben ist und der SVP sowie auch der Partei «die Mitte» nahesteht, agiert offensichtlich gegen die mittel- und langfristigen Interessen der Mehrheit der Landwirt*innen.
Die JUSO Schweiz stellt deswegen folgende kurzfristige Forderungen auf:
- Ein Verbot synthetischer Pestizide und Schutz der inländischen Landwirtschaft durch gleiche Regeln für Importe
- Wenn die Gentechnik unter demokratischer Kontrolle steht, ist eine Aufhebung des Moratoriums und Forschung dazu möglich, allerdings nur durch die öffentliche Hand
- Förderung der Mischkulturen und Vergütung des damit verbundenen Aufwandes
- Ausweitung der nicht bewirtschafteten Flächen
Unsere Vision: Drei-Säulen-System einer solidarischen und sozialistischen Landwirtschaft
Der heutige Zustand ist unbefriedigend. Auf der einen Seite gibt es staatliche Subventionen, Direktzahlungen und andere Privilegien für die Landwirtschaft. Auf der anderen Seite stehen grosse Detailhändler, die wegen der geringen Konkurrenz durch andere Käufer*innen die Preise diktieren können (es herrscht ein sogenanntes Oligopson). Das Ganze kostet viel, verursacht viel Bürokratie und sichert trotz allem keine anständigen Bedingungen für die Landwirtschaft oder demokratische Mitbestimmung. Wir brauchen eine Alternative zum heutigen System.
Die Ziele einer zukünftigen Landwirtschaft in der Schweiz sind klar: Wir wollen ökologisch produzierte Nahrungsmittel und andere landwirtschaftliche Produkte. Die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit diesen Produkten muss sichergestellt sein und der Zugang dazu allen offen stehen. Gleichzeitig wollen wir für die Beschäftigten in der Landwirtschaft gute Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit. Diese Bedingungen sind im profitorientierten und marktwirtschaftlich organisierten System von heute nicht zu erreichen. Dafür braucht es eine sozialistische und demokratische Landwirtschaft.
Unsere Visionen einer sozialistischen und demokratischen Landwirtschaft steht auf drei Säulen: Planung, Produktion & Vertrieb.
Zentrale Landwirtschaftliche Planung
Die landwirtschaftliche Produktion soll zentral geplant werden. Dies bedeutet, dass eine zentrale, demokratisch kontrollierte Planungsinstanz basierend auf den Bedürfnissen der vergangenen und Abschätzungen der kommenden Jahre definiert, welche Produkte in der Landwirtschaft erzeugt werden sollen. Diese Planungsinstanz muss die Interessen der Landwirtschaft in ihrer ganzen Vielfalt sowie die der gesamten Bevölkerung vertreten und verteidigen. Die Aufträge aus dieser Planung werden anschliessend gemäss den Möglichkeiten und Bedürfnissen der Landwirt*innen und der landwirtschaftlichen Betrieben verteilt. Wer für einen Auftrag produziert, hat eine Abnahmegarantie. Für die bestellten Produkte werden Preise definiert, welche die kompletten Kosten der Produktion decken, sodass darüber hinaus kaum noch Subventionen notwendig sind. Dabei werden die verschiedenen Hintergrundfaktoren (wie geografische und klimatische Bedingungen, Produktivität) beachtet, sodass es keinen zerstörerischen Preiskampf gibt. Alternativ werden die Aufträge von staatlich beschäftigten Landwirt*innen erfüllt (siehe Produktion und Beschäftigung).
In dieser zentralen Planung werden ausserdem mehrjährige Ziele definiert. Diese betreffen beispielsweise die ökologischen Folgen der Produktion, also wie etwa der Treibhausgasausstoss der Landwirtschaft reduziert werden soll. Auch grundlegende Fragen wie der Selbstversorgungsgrad der Schweiz werden über die zentrale Planung geklärt. Diese Form der Planung ermöglicht mehr demokratische Mitbestimmung und einen deutlich effizienteren Einsatz der verfügbaren Ressourcen und verhindert die heutige verschwenderische Überproduktion und unnötige Konkurrenz.
Produktion und Beschäftigung
Produziert werden die landwirtschaftlichen Erzeugnisse weiterhin von Landwirt*innen. Diese haben zukünftig zwei Möglichkeiten, ihr Einkommen zu erzielen. Neu können sich Landwirt*innen und deren Mitarbeiter*innen nämlich beim Staat anstellen lassen. Zu einem fairen Lohn arbeiten sie dabei auf ihrem Hof an den zugeteilten Produktionsaufträgen. Ihr Einkommen ist unabhängig vom Ertrag gesichert und sie haben die Möglichkeit, die gesetzlichen Arbeitsbedingungen einzuhalten.
Statt beim Staat kann man auch weiterhin genossenschaftlich organisiert oder selbstständig arbeiten (z.B. als Kleinbäuer*in). Auch in dieser Produktionsform erhalten die Betriebe Aufträge vom Staat, die sie produzieren müssen – diese müssen aber nicht die gesamte Produktionskapazität der Betriebe ausfüllen, wenn sich die Genossenschaften / Kleinbäuer*innen dagegen entscheiden. Die Aufträge der zentralen Produktion geben diesen Betrieben Sicherheit, denn sie sind durch die fixen Preise und die Absatzgarantie anständig entgeltet. Die wirtschaftliche Situation der Betriebe ist so gesichert. Gleichzeitig dürfen diese auch eine eigene Produktion definieren und diese über andere Kanäle vertreiben. Klar ist, dass an die nicht-staatlichen Produzent*innen über die Planung hohe soziale und ökologische Ansprüche an Produktionsbedingungen gestellt werden müssen. Landwirtschaftliche Flächen sollen ausserdem Schritt für Schritt in den Besitz der Öffentlichkeit gebracht werden. Die öffentliche Hand würde diese Flächen dann den Landwirt*innen im zinsfreien Nutzungsrecht wieder zur Verfügung stellen. Bei der Abgabe im Nutzungsrecht muss natürlich beachtet werden, wer zuvor auf diesem Land gelebt und gearbeitet hat.
Demokratischer Vertrieb
Die produzierten Güter müssen vom Landwirtschaftsbetrieb zu den Konsument*innen oder zur weiterverarbeitenden Produktion kommen. Dieser Prozess wird heute zu relevanten Teilen von den pseudodemokratischen Grossverteilern Migros und Coop kontrolliert. Diese drücken seit Jahren die Preise, welche an die Produzent*innen bezahlt werden müssen und kassieren dabei grosse Margen ein. In unserer Vision sollte auch der Vertrieb von Produkten staatlich organisiert und einer starken demokratischen Kontrolle unterstellt sein. Hier werden die zuvor definierten Preise für Produkte an die Produzent*innen eingehalten, die Abnahmegarantie umgesetzt, auf eine effiziente Verteilung der Produkte im ganzen Land geachtet. Dabei wird auf gewisse regional unterschiedliche Präferenzen der Konsument*innen und auf eine faire Verteilung der verschiedenen Produkte Rücksicht genommen. Die Vertriebsstruktur plant zudem, welche Produkte in welcher Menge aus dem Ausland importiert werden müssen. Damit die inländischen Produkte nicht durch aufgrund tieferer Fixkosten aus dem Ausland importierte Produkte konkurrenziert werden, werden Importzölle erhoben, wo dies nötig ist. Ausserdem können Produkte unter dem Produktionspreis abgegeben werden. Damit wird sichergestellt, dass alle Menschen Zugang zu gesunden und ökologischen Nahrungsmitteln haben und dass auch arbeitsintensive, aber sinnvolle Produkte hergestellt werden.
Die Landwirtschaft ist eine enorm wichtige Branche: Sie ist unabdingbar für die Versorgung der Bevölkerung und befriedigt das Grundbedürfnis der Menschen nach einer ausgewogenen Ernährung. Daneben übernimmt sie wichtige Aufgaben in den Bereichen Umweltschutz und Landschaftspflege. Unsere sozialistische Vision einer Landwirtschaft mit den drei genannten Pfeilern stellt sicher, dass weder Menschen noch Natur ausgebeutet werden und wir die natürlichen Ressourcen sorgfältig nutzen. Es ist an der Zeit für diesen Neustart!
[A] RTS, 40 ans d'évolution de l'agriculture suisse, 2019: https://www.rts.ch/info/suisse/9826101-40-ans-devolution-de-lagriculture-suisse.html#chap03
[B] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not, 2020
[C] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not, 2020
[D] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not, 2020
[E] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not, 2020
[F] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not, 2020
[G] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not, 2020
[1] Forney, Buxtorf, 2018
[2] Diese Zahl berücksichtigt nur die in der Landwirtschaft Beschäftigten und nicht die selbständigen Landwirt*innen.
[H] Bopp, Affolter, Vom helvetischen Flüchtling bis zu neuen Formen neokolonialer Knechtschaft in der Landwirtschaft: http://www.denknetz.ch/wp-content/uploads/2017/07/Vom_helvetischen_Fluechtling_bis_zur_neukolonialen_Knechtschaft_in_der_Landwirtschaft.pdf
[3] Agristat, Statistik der Schweizer Landwirtschaft, 2021: https://www.sbv-usp.ch/de/services/agristat-statistik-der-schweizer-landwirtschaft/
[4] Der Selbstversorgungsgrad gibt an, wieviel der inländischen Nachfrage nach Nahrungsmittel durch Anbau und Produktion in der Schweiz gedeckt werden kann.
[5] Agrarbericht 2020, Selbstversorgungsgrad: https://www.agrarbericht.ch/de/markt/marktentwicklungen/selbstversorgungsgrad
[6] Um diesem perversen System entgegenzuwirken, hatte die JUSO Schweiz die «Spekulationsstopp-Initiative» lanciert.
[7] RTS, 40 ans d’évolution de l’agriculture suisse, 2019:https://www.rts.ch/info/suisse/9826101-40-ans-devolution-de-lagriculture-suisse.html
[I] RTS, 40 ans d'évolution de l'agriculture suisse, 2019: https://www.rts.ch/info/suisse/9826101-40-ans-devolution-de-lagriculture-suisse.html#chap04
[J] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not, 2020
[K] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Not, 2020
[X] Siehe Fussnote 9 auf Seite 6
[8] Uniterre, Manifeste des paysannes et paysans suisses pour un marché juste et équitable, 2019: https://uniterre.ch/fr/thematiques/paysans-paysannes-mobilisez-vous-manifeste-pour-un-marche-ju
[x] Extensive Landwirtschaft ist im Gegensatz zur intensiven Landwirtschaft gekennzeichnet durch einen im Verhältnis zur Fläche geringen Kapital- und Arbeitseinsatz (z. B. Düngemittel, Pestizide, Maschinen). Die pflanzlichen Erträge pro Flächeneinheit sind in der extensiven Landwirtschaft geringer als in der intensiven Landwirtschaft.
[9] In einem Oligopol beherrschen einige wenige Unternehmen den Markt und haben dadurch einen grossen Einfluss auf die Preissetzung und die Produktionsweise.