Staat und Religion

12.12.2009

Verabschiedet von der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 12. Dezember 2009

Die JungsozialistInnen (JUSO) Schweiz lehnen die Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“ klar ab. Mit diesem Volksbegehren versucht die nationalistische Rechte, Ängste und Vorurteile gegenüber Musliminnen und Muslime zu schüren, die in unserem Land leben.

Fakt ist: es hat in den letzten Jahrzehnten eine starke Zunahme der in der Schweiz lebenden Musliminnen und Muslime gegeben. Unter ihnen lehnt die ganz grosse Mehrheit jegliche Form von Fundamentalismus und Fanatismus entschieden ab. Auf dem Buckel dieser muslimischen Minderheit wird eine Hetzkampagne betrieben. Wegen ihrer Anwesenheit und des möglichen Baus von Minaretten wird die Bedrohung der Schweiz durch eine „schleichende Islamisierung“ beschworen.

Die Minarettinitiative ist nicht nur ein völlig untaugliches Instrument im Kampf gegen islamistischen Extremismus, sondern verstösst auch gegen die Glaubensfreiheit, die in Artikel 15 der Bundesverfassung verankert ist. Sie ist ein Angriff gegen die kulturellen Errungenschaften des modernen Bundesstaates. Wir JUSOs sind fest entschlossen, die Religionsfreiheit zu verteidigen. Zu dieser Religionsfreiheit gehört für uns auch eindeutig das Recht, an keinen Gott zu glauben.

Die Auseinandersetzung um die Minarettinitiative ist aus unserer Sicht ein guter Anlass, um vertieft über das Verhältnis von Religion und Staat in der Schweiz nachzudenken. Als Sozialistinnen und Sozialisten sind wir in religiösen Dingen grundsätzlich neutral. Die JUSO hat in ihren Reihen sowohl überzeugte AtheistInnen und AgnostikerInnen als auch überzeugte ProtestantInnen, KatholikInnen, Muslime und Musliminnen, Juden und Jüdinnen und andere. Wir lehnen nicht nur jegliche Form von religiösem Fundamentalismus ab, sondern sind auch kritisch gegenüber allen religiösen Machtinstitutionen, die in der Geschichte im Namen der Religion nicht nur furchtbare Verbrechen verübt, sondern während vielen Jahrhunderten im Bündnis mit anderen die Freiheiten der Bevölkerung unterdrückt und diese Unterdrückung legitimiert haben.

In unserem Land waren während vieler Jahrhunderte in erster Linie die christlichen Kirchen ausgesprochen mächtig. Politisch haben sie meistens eine sehr reaktionäre Rolle gespielt. Die heute staatlich garantierten Freiheitsrechte und die bürgerliche Demokratie wurden gegen die Machtansprüche die Kirchenhierarchie und gegen andere rückwärtsgewandte Kräfte durchgesetzt, die sich auf die Religion beriefen. Diese Kirchenhierarchie hat während Jahrhunderten nicht nur den Grossteil der Menschen ausgebeutet, sondern ihm auch in allen Bereichen des Lebens vorgeschrieben, was gut und was schlecht für ihn sei. Kirchliche Würdenträger versuchten, die herrschenden Klassengegensätze zu vernebeln und die Unterdrückten auf ein besseres Leben nach dem Tod zu vertrösten.

Solche reaktionären Tendenzen bestehen auch in der heutigen Kirche nach wie vor. Aber die Rolle der Kirchen in unserer Gesellschaft ist heute wesentlich vielschichtiger. So sind die Kirchen uns SozialistInnen z.B. wichtige Verbündete im Kampf gegen Rassismus und für ein menschenwürdiges Asylrecht; auch im Kampf für soziale Gerechtigkeit und gegen die Entsolidarisierung unserer Gesellschaft können die Kirchen von Fall zu Fall wichtige Partner sein. Natürlich gibt es innerhalb von Kirchen ganz unterschiedliche Kräfte. Es gibt reaktionäre ChristInnen, die allen fortschrittlichen Kräften in der Gesellschaft feindlich gegenüberstehen. Und es gibt gleichzeitig tiefgläubige ChristInnen, die an die Gleichheit aller Menschen glauben, die für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen und die in nicht wenigen Fällen den Sozialismus befürworten, weil sie als überzeugte ChristInnen in einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft leben wollen, die ihren Moralvorstellungen entspricht.

Zu jedem modernen demokratischen Rechtsstaat gehört die Trennung von Religion und Staat. Diese muss verunmöglichen, dass z.B. die katholische Kirchenhierarchie kraft ihrer Funktion über politische Macht und Gestaltungsmöglichkeiten verfügt. Sie muss aber auch verunmöglichen, dass die Mächtigen im Staat Kirchen missbrauchen können, um ihre ideologischen oder unmittelbaren Interessen durchzusetzen. Einschränkungen des allgemeinen Prinzips des Trennung von Kirche und Staat können in konkrete Fällen aus pragmatischen Gründen legitim sein.

Der Grad der Trennung ist von Staat zu Staat unterschiedlich. Während in manchen Ländern noch eine „Staatskirche“ existiert (z.B. Griechenland), ist in andern Ländern seit längerer Zeit eine fast vollständige Trennung von Kirche und Staat vollzogen (z.B. Frankreich). In der Schweiz gibt es im Grad der Trennung von Kanton zu Kanton nicht unerhebliche Unterschiede. Die JUSO Schweiz spricht sich aber für eine stärkere Trennung von Kirche und Staat aus. Denn es bestehen nach wie vor Verfassungsartikel, Gesetze, Regelungen und Praktiken, die unter anderem für nichtreligiös geprägte Menschen stossend und z.T. diskriminierend sind.

Nur der demokratische Rechtsstaat kann individuelle Freiheitsrechte und Menschenrechte garantieren. Er muss selbst religiös neutral sein und die positive und negative Religionsfreiheit garantieren. Er kann eine Kooperation mit religiösen Gruppierungen suchen, muss dabei aber auf die strikte Gleichbehandlung aller Religionen und auf die Gleichbehandlung gläubiger und nichtgläubiger Menschen achten. In diesem Sinne stellt die JUSO folgende Forderungen auf:

..im Rechtswesen und in der Politik:

  • Die Berufung auf «Gott den Allmächtigen» wird aus der Präambel der Bundesverfassung gestrichen.
  • ParlamentarierInnen und Mitglieder von Regierungen dürfen nicht unter Berufung auf Gott vereidigt werden.
  • Die Bestrebungen der Religionslobby (Bischofskonferenz, Evangelischer Kirchenbund et cetera) einen Religionsartikel in der Verfassung zu verankern, werden zurückgewiesen.
  • Bund und Kantone anerkennen keine Religionsgemeinschaften offiziell und dürfen keine Steuern für die Kirchen einziehen.
  • Es werden keine parallelen Rechtssysteme zum demokratisch legitimierten Recht akzeptiert. Die Menschenrechte sind universell, gelten also für alle Menschen. Einschränkungen dieser Menschenrechte seitens religiöser Gemeinschaften (zum Beispiel die Diskriminierung der Frau) werden nicht akzeptiert.
  • Die Forderung, einen Artikel zum «Schutz von religiösen Gefühlen» in die Menschenrechtscharta aufzunehmen, wird abgelehnt.

...in der Schule:

  • Es werden keinerlei Dispensen aus religiösen Gründen (zum Beispiel vom Schwimmunterricht) gewährt.
  • Der Religionsunterricht an den Schulen wird durch Ethikunterricht ersetzt. Dieser Unterricht setzt sich unter anderem hinterfragend mit Religionen und Weltanschauungen auseinander. Die Schulen stellen auch keine Räumlichkeiten für Religionsunterricht zur Verfügung.
  • Schülerinnen und Schüler werden über die Gefahren von religiösen Gruppierungen (zum Beispiel evangelikale Freikirchen wie ICF) aufgeklärt.
  • Der Unterricht an den Schulen orientiert sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen. So sind die Forderungen evangelikaler Kreise, die Vermittlung der Evolutionstheorie durch Theorien wie «Intelligent Design» zu «ergänzen» oder gar zu ersetzten, zurückzuweisen.
  • Religiöse Privatschulen auf Kantons- und Volksschulebene sind nicht erlaubt.

...im öffentlichen Dienst und in staatlichen Institutionen:

  • An den staatlichen Universitäten werden theologische Fakultäten aller grossen Glaubensgemeinschaften unterhalten. Der Staat kontrolliert so unter anderem auch die Ausbildung der Geistlichen.
  • Staatsangestellte, Mitglieder von gewählten Behörden und Angestellte von staatlich lizenzierten Monopolträgern dürfen bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit keine sichtbaren religiösen Symbole tragen.
  • In öffentlichen Gebäuden dürfen keine religiösen Symbole angebracht sein (zum Beispiel Kreuze in Schulzimmern).
  • Wir fordern die öffentlich-rechtlichen Medien dazu auf, in ihrer Programmgestaltung die Vielfalt von Weltanschauungen besser zu berücksichtigen und religiöse Fragen unter verschiedenen Blickwinkeln zu berücksichtigen. Eine einseitige Bevorzugung des Christentums (Stichwort „Wort zum Sonntag“) lehnen wir ab.
  • Glaubensgemeinschaften, die aktiv und aggressiv versuchen die demokratische Ordnung zu untergraben, werden verboten (zum Beispiel Scientology).
  • Der religiöse Text der Nationalhymne wird ersetzt durch einen weltanschaulich neutralen, nur mit dem säkularen Staat kompatiblen Text.
  • Der Blasphemieartikel wird aus dem Schweizer Strafgesetzbuch gestrichen (Art. 261 StGB).