Wieso die SVP unsere Freiheit und Demokratie gefährdet

27.09.2023

Positionspapier der JUSO Schweiz verabschiedet an der Delegiertenversammlung vom 24. September 2023 (Uster)


In ganz Europa sind rechtsextreme Parteien auf dem Vormarsch. In Italien ist die postfaschistische Meloni an der Macht, in Deutschland und Frankreich stellt die extreme Rechte mittlerweile die stärkste Opposition dar. Es scheint, als wären aktuell weder die bürgerlich-konservativen Parteien noch die europäische Linke in der Lage, diesem Aufschwung etwas entgegenzusetzen. Mitten in dieser Entwicklung geht die SVP für die Nationalratswahlen in einigen Kantonen mit Massvoll, geführt von einem Neonazi-Freund, und in anderen Kantonen mit der FDP Listenverbindungen ein. Diese Entwicklung steht exemplarisch für eine der stärksten Rechtsaussen-Parteien in Europa. Der SVP gelingt es, sowohl mit dem starken bürgerlichen Block als auch mit den demokratiefeindlichsten Strukturen zusammenzuspannen und gewinnt damit höchstwahrscheinlich die Wahlen im Herbst.

Die SVP wuchs jedoch deutlich früher als neurechte Kräfte in anderen europäischen Ländern. Die Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat vor 20 Jahren stellte ein historisches Ereignis der Schweizer Politik dar. Dieser Moment markierte den vorläufigen Höhepunkt des rasanten Aufstiegs der SVP von einer Regionalpartei zur stärksten politischen Kraft des Landes. Die SVP ist nicht das erste Rechtsaussen-Projekt der Schweiz, man denke an die Frontenbewegung oder die Schwarzenbach-Initiative, aber mit Abstand das erfolgreichste. Damit wurde die Partei auch zu einem zentralen Referenzpunkt für verschiedenste rechtsextreme Parteien und Bewegungen in ganz Europa.

Die SVP stellt eine Gefahr für die Demokratie und die Menschen in der Schweiz dar. Ihr Ziel ist eine illiberale[1], ausgrenzende Gesellschaft und eine Wirtschaftspolitik für die Reichsten. Ihre Strategien gleichen aktuell jenen der faschistischen Akteur*innen in den USA. In der Schweiz wirkt es jedoch fast so, als hätte man sich schon lange an solche Zustände gewöhnt.

Es ist an der Zeit, aufzuzeigen, wie gefährlich die SVP wirklich ist und was die demokratischen Parteien, die Zivilgesellschaft und insbesondere die Linke machen müssen, damit die SVP der Vergangenheit angehört. Genau das versucht dieses Positionspapier.

1. Der Aufstieg zur stärksten politischen Macht in der Schweiz

Die SVP gründete sich 1971 aus Teilen der mittelgrossen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) und der kleineren Demokratischen Partei (DP).[2] Bis in die 1990er Jahre galt die SVP mit ca. 10 Wähler*innenprozenten und dem Themenschwerpunkt “Subventionen für die Landwirtschaft” nicht als rechtspopulistische Partei. Die Parteiführung strebte zeitweise sogar eine inhaltliche Positionierung zwischen den bürgerlichen Parteien und der SP an. In diesem parteiinternen Kampf gewann jedoch die Zürcher SVP unter der Führung von Christoph Blocher zugunsten einer klaren Ausrichtung am rechten Rand des Schweizer Parteienspektrums.[3]

Christoph Blocher wollte die SVP nicht als Ergänzung zu den bereits bestehenden bürgerlichen Parteien positionieren, sondern als Alternative.[4] Zu bedeutender Stärke kam dieser Parteiflügel 1992 durch den Sieg bei der Abstimmung zum EWR-Beitritt. Mit dem Nein zu mehr europäischer Integration, entgegen der Meinung aller anderen Bundesratsparteien, erklärte sich die SVP zur Avantgarde der Polit-Opposition. Frühere rechtsaussen Parteien, wie die Nationale Aktion (Stichwort: Schwarzenbachinitiative[5]), die Schweizer Demokraten oder die Autopartei waren als Klientelparteien[6] nie in der Lage, eine breite Bevölkerung zu erreichen. Christoph Blocher und Co. schafften es innert wenigen Jahren einen Wähler*innenanteil von beinahe 30% zu erreichen. Nicht mehr nur Leute aus der Landwirtschaft und dem Gewerbe wählten die SVP, sondern Menschen mit den verschiedensten Lebensrealitäten – von Menschen mit tiefem Einkommen bis zu den wirtschaftlichen Aufsteiger*innen. Die Partei schaffte es durch den Fokus auf mittelständische Traditionen, eine neoliberale Reformagenda und den Überfremdungsdiskurs in die Mitte der Gesellschaft zu gelangen. Dabei konstruierte und vermittelte die Partei den Mythos, dass sich das “unterdrückte Schweizer Volk” gegen die Classe Politique und den „Untergang der Schweiz“ wehren müsse. Der Untergang kommt laut der SVP von einer Bedrohung durch feindliche Mächte innerhalb und ausserhalb der Schweiz. Auch wenn die Partei gleichzeitig klar die Interessen der Elite vertritt, feierte die SVP mit dieser Strategie Erfolg.

2003 wurde Christoph Blocher in den Bundesrat gewählt, womit die SVP auf dem Höhepunkt ihrer Geschichte angekommen war. Bereits vier Jahre später, nachdem die SVP 2007 mit einem Wähler*innenanteil von 29% ihr bisher historisch bestes Resultat erreicht hatte, wurde Christoph Blocher von den linken und teilweise bürgerlichen Parteien wieder abgewählt. An seiner Stelle nahm die vergleichsweise gemässigte SVPlerin Eveline Widmer-Schlumpf die Wahl an, wodurch sie aus der SVP ausgeschlossen wurde und sich die BDP gründete. Die SVP büsste jedoch kaum Wähler*innenprozenten ein. In den nächsten Jahren festigte die SVP ihre Position als selbsternannte Oppositionsführerin mit Hilfe von Initiativen[7] gegen die sogenannte Koalition der Vernunft (Mitte, FDP, SP). Dabei baute sie ihre diskursive Macht aus, die sie auf allen Ebenen nutzt, sei es als Teil der Regierung oder um sich als Vertrauensanker für die arbeitende Bevölkerung auszugeben. 2010 wurde die Ausschaffungsinitiative angenommen, womit die SVP die Ausschaffung “krimineller” Ausländer*innen forderte. 2014 gewann die SVP die Masseneinwanderungsinitiative, welche eine Beschränkung der Einwanderung wollte. Die Durchsetzungsinitiative, welche auf die wortgenaue Umsetzung der Ausschaffungsinitiative beharrte, wurde 2016 abgelehnt. Zwei Initiativen des SVP-nahen «Egerkinger Komitees», wurden hingegen angenommen: 2009 die antiislamische Initiative zum Verbot von Minaretten und 2021 jene für ein Verhüllungsverbot, bei welcher die SVP ihre Islamfeindlichkeit als Feminismus verpackte. 2021 verhinderte die Partei mit ihrer Kampagne gegen das CO2-Gesetz den dringend notwendigen Klimaschutz. Während der Covid-Pandemie torpedierte die SVP schlussendlich die Coronapolitik des Bundes und schloss sich mit den abgedrifteten Massnahmengegner*innen für verschiedene Covid-Referenden zusammen. Egal, ob die Partei die Abstimmungen gewann oder nicht: sie dominierte die öffentliche Diskussion und schaffte es, dass in der Schweiz regelmässig über Fragen des SVP-Parteiprogramms diskutiert werden musste. Dies gilt insbesondere für die Migrationspolitik, obwohl die Schweiz so stark von Zuwanderung abhängig ist, wie kaum ein Land in Europa. Auch heute, 30 Jahre nach der Übernahme der SVP durch Christoph Blocher, gibt es keine klaren Anzeichen dafür, dass ihr Siegeszug gebrochen werden könnte. Von der SVP etablierte oder angeeignete Begriffe wie Asylchaos, Asylanten, Eigenverantwortung, Sicherheit, Arbeit, Wettbewerb, Sonderfall Schweiz oder Demokratie zeigen die diskursive Macht der Partei. Im Herbst 2023 könnte die SVP gemäss Umfragen erneut zulegen.[8]

2. Ziele der SVP: gegen Fortschritt, Freiheit und Demokratie

Die SVP will nach eigenen Angaben “eine freie, sichere, lebenswerte und weltoffene Schweiz, die bleibt, wie sie ist”.[9] Dass dieses Credo fundamental gegen die Politik der selbsternannten Volkspartei spricht, wird klar, wenn man einen genaueren Blick auf ihre eigentlichen Forderungen und entsprechend auf ihr politisches Agieren wirft. Die SVP hat in den letzten Jahren versucht, jeglichen Fortschritt zu blockieren. So kann die Partei beispielsweise die Versenkung des CO2-Gesetzes im Sommer 2021 verbuchen, sie torpediert jegliche Annäherungsversuche an die EU, stellt sich konsequent gegen mehr Sicherheit für FLINTA-Personen und bekämpft Massnahmen für eine lebenswerte Zukunft der 99% fundamental.

Fakt ist auch: Die Partei verschleiert seit jeher, für wen sie eigentlich Politik macht, nämlich nicht für die Mehrheit der Menschen in diesem Land, sondern für das Kapital. Die Partei fährt seit Jahren einen klaren Kurs: Steuersenkung für Unternehmen und reiche Privatpersonen und rigoroser Sozialstaatsabbau für den Rest der Bevölkerung. Die SVP schafft es jedoch gekonnt, die eigens verursachte Misere anderen in die Schuhe zu schieben. Sündenböcke dabei stellen die “Links-Grüne Politik”, Menschen mit Migrationshintergrund, religiöse Minderheiten, queere, trans und non-binäre Personen sowie Menschen mit Behinderungen oder chronischen physischen und psychischen Erkrankungen dar.

Welche Ideologie(n) sich hinter ihren fadenscheinigen Phrasen wirklich verbergen, lässt sich relativ einfach entlarven. So wollte eine Motion von SVP-Nationalrat Andreas Glarner 2020 die “Antifa” als terroristische Organisation einstufen lassen. Wenn eine Partei Widerstand gegen Faschismus verbieten und höchstgradig kriminalisieren will, kann man sich vorstellen, welches Gedankengut sich in ihren Reihen finden lässt.

Die neueste Obsession der SVP ist der selbst ausgerufene “Woke-Wahnsinn”. Bei ihrer queer- und transfeindlichen Hetzjagd kommt der Partei offenbar die Hilfe der im neonazistischen Spektrum verorteten “Jungen Tat” gelegen. Letztere verübten Ende 2022 einen Angriff auf eine Drag Story Time für Kinder.[10] Während dieser Angriff von allen Parteien scharf verurteilt wurde, reichte ein SVP-Politiker einen Vorstoss zum künftigen Verbot solcher Veranstaltungen ein.[11] Die SVP schliesst sich mit diesem Fokus der aktuellen Strategie der extremen Rechten in den USA und Europa an. Die sogenannte “Wokeness” wird mittlerweile als Virus betitelt. Was damit impliziert wird: Queers, non-binäre und trans Personen hätten keine Existenzberechtigung. Die SVP predigt Freiheit, während sie gleichzeitig einen Vorschlag zur Einschränkung der Abtreibungsrechte einbringt. Der Partei geht es nicht nur darum, die 99% zu spalten, sondern auch darum mit allen Mitteln Menschen aus unserer Gesellschaft auszuschliessen. Sie blockiert dabei nicht nur dringend benötigte Fortschritte, sondern greift auch bereits hart erkämpfte Errungenschaften an.

Bei diesen Entwicklungen kommen Erinnerungen an vermeintlich überwundene Zeiten hoch. Vor 100 Jahren wuchsen faschistische Bewegungen rasant, bevor sie in verschiedenen Ländern die komplette Macht ergriffen haben. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges begannen die Versuche, diese Strategien der Machtergreifung und die entsprechenden Ideologien fassbar zu machen. Bis heute gibt es verschiedenste Definitionen von Faschismus, dabei herrscht kein Konsens über eine allgemeine Definition. Dass dem Faschismus eine antikommunistische, autoritär-nationalistische, rassistische, antifeministische und antisemitische Ideologie zugrunde liegt und eine länderübergreifende, gewaltvolle Massenmobilisierung angestrebt wird, welche schlussendlich in Terror mündet, ist jedoch grösstenteils anerkannt. Ausserdem versuchen sich faschistische Strukturen in ihren Anfängen häufig als gemässigt und ungefährlich darzustellen.[12]

Die aktuelle Forschung zu rechtsradikalen bis rechtsextremen Parteien in Europa, wie der AfD oder dem Rassemblement National, kommt zum Schluss, dass die rassistischen, nationalistischen und antidemokratischen Ideologien und Strategien nicht alle Faschismusdefinitionen vollumfänglich erfüllen.[13] Auch die SVP hat bis jetzt keine Miliz oder paramilitärische Strukturen geschaffen, wie das bei klassischen faschistischen Kräften der Fall war, wenn man eng ausgelegte Definitionen berücksichtigt.[14] Es gibt jedoch auch Faschismusdefinitionen, die weniger eng funktionieren. Die zentrale Frage ist jedoch, ob solche politischen Entwicklungen “faschistisch” genannt werden müssen, damit sie von der Gesellschaft als Gefahr wahrgenommen werden. Die Taktiken und Strategien von gefährlichen rechtsextremen Ideologien und Bewegungen passen sich nämlich auch ihrer Zeit an. Hetze, Hass und Gewalt verlagern sich vom gewaltbereiten Mob auf der Strasse ins Internet, wo eine breite Masse an Menschen durch diverse Mittel erreicht wird. Durch Podcasts, Videos und Memes werden menschenfeindliche Ideologien verbreitet und ein Netz von faschistischen Gruppierungen und Personen gebildet. Das Internet ermöglicht es ebenfalls Politiker*innen, Aktivist*innen und alle die sich gegen Faschismus wehren oft ohne Konsequenzen einzuschüchtern, zum Beispiel durch doxing oder anonyme Drohungen. Die neue Rechte kommt aufgeräumt und schön angezogen daher, sät Ängste gegen marginalisierte Gruppen und stiftet gleichzeitig Misstrauen in Demokratie, Medien und Politik. Dieses Chaos nutzt sie schamlos aus: Sie inszeniert sich nicht nur als Alternative, sondern als einzige Rettung in der von ihr eigens verursachten Not. Eine Verbürokratisierung und Institutionalisierung der Gewalt und Hetze zeigt sich zum Beispiel in der institutionellen Politik. Gesetze werden genutzt, um Hass gegen Minderheiten zu schüren und sie als Gefahr darzustellen. Die Waffe der Stunde sind Schwälle an Gesetzen: In Florida zensieren die Republikaner mit Hilfe vieler rechtsextremer Gruppierungen, wie der Gruppe "Moms for Liberty", Bücher, die als zu subversiv angesehen werden, in der Schweiz versucht die SVP das Gendern per Gesetz zu verbieten. Stück für Stück versuchen diese Kräfte damit, die komplette Kontrolle über die Bevölkerung zu erhalten und nutzen dafür die noch vorhandenen Instrumente der bürgerlich-liberalen Demokratie.

Das Ziel der SVP ist schlussendlich eine nach ihren Kriterien definierte normierte Gesellschaft. Wer nicht dem erwünschten Menschenbild entspricht und/oder sich in seinem Leben nicht an die rechtskonservativen Wertvorstellungen hält, hat in dieser Gesellschaft keinen Platz und wird mit allen Mitteln ausgegrenzt. Dabei gaukeln sie vor, im Interesse des “Volkes” zu arbeiten, während gleichzeitig eine Wirtschaftspolitik im Interesse des Kapitals und damit gegen das “Volk” vorangetrieben wird. Wenn man sich anschaut, wie faschistische Kräfte vorgegangen sind, muss man befürchten, dass auch die SVP, welche sich noch als grosse Freundin der Demokratie inszeniert, diese einschränken wird, sobald die Partei sie nicht mehr benötigt. Die Ziele der SVP sind gefährlich und widersprechen der Vorstellung einer liberalen und egalitären Gesellschaft fundamental!

3. Die Erfolgsrezepte der SVP

Die SVP sieht sich als Anti-Establishment-Partei und kann sich als solche verkaufen, obwohl sie selbst einen relevanten Teil des Establishments ausmacht. Dass diese Verlogenheit trotzdem authentisch wirkt, scheint auf den ersten Blick unfassbar, auf den Zweiten jedoch durchaus plausibel, denn es handelt sich um eine hegemoniale Strategie.

Die SVP möchte Deutungshoheit erlangen – also ihre Ansichten und “Wertehaltungen” innerhalb verschiedener Diskurse zum gesellschaftlichen Konsens etablieren. Das gelingt der Partei innerhalb gewisser Diskurse, innerhalb anderer nicht. Die dabei vermittelten Positionen und Analysen müssen nicht logisch oder wahr sein, damit sie gesamtgesellschaftlich akzeptiert und geglaubt werden. Durch gezielte Kommunikation auf verschiedensten Ebenen der Gesellschaft, schafft es die SVP ihre Ideologie zu verbreiten und zwar so, dass sie stückweise von den Medien und anderen politischen und gesellschaftlichen Akteur*innen übernommen wird. Um ihre eigene Hegemonie voranzutreiben, setzt die SVP auf eine diverse Herangehensweise. Mit Rechtspopulismus, der Schaffung einer gemeinsamen Identität des “Schweizer Volks”, dem Einfluss durch Medien, einer stetigen Normalisierung rechtsradikaler Inhalte und ihrem breiten Netzwerk verschiebt sie den gesellschaftlichen Konsens ständig. Gemeinsam machen diese Elemente eine effektive hegemoniale Strategie aus.

3.1. Rechtspopulismus als Werkzeug

Ein wichtiges Werkzeug für den Erfolg der SVP ist der Rechtspopulismus, für den die rechtsaussen Partei inzwischen als Avantgarde der extremen Rechten in Europa bezeichnet wird. Mittlerweile übernehmen auch nationalsozialistische Parteien wie die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) diskursive Elemente der SVP: zum Beispiel das schwarze Schaf, für welches die SVP auch mündlich vom damaligen UNO-Sonderberichterstatter für Rassismus Doudou Diène abgestraft wurde.[15] Auch das rechtsextreme Rassemblement National, allen voran Marine Le Pen, schaut gerne bei der SVP ab und schwärmt dabei beispielsweise von der rassistischen und islamfeindlichen Minarettverbotsinitiative.[16]

Das beste Beispiel für die rechtspopulistische Strategie der Partei ist die diskursive Schaffung eines “Volkes”, für dessen Interesse sie angeblich einstehen würden. Diesem “Volk” gehören jedoch längst nicht alle an. Wer dazugehört und wer nicht, bestimmt die entsprechende rechtspopulistische Ideologie, bei der das Volk als Nation oftmals kulturell verstanden wird.[17] Dabei wird suggeriert, dass dieses Volk homogene Interessen hätte, für die sich die Rechtspopulist*innen einsetzen, während die “korrupte Elite” (je nach Definition: Medien, Intellektuelle und politisch Andersdenkende) sich für Minderheiten einsetze und gegen die Interessen des Volkes politisieren würde. Klar ist aber eigentlich: die SVP gehört zur politischen und wirtschaftlichen Elite. Ihr Personal nimmt zentrale Funktionen innerhalb der Schweizer Kapitals ein, in ihrer Parteispitze sitzen mehrere Milliardär*innen. Sie machen Politik für das reichste 1% und betreiben Klassenkampf von oben herab. Daraus ergibt sich auch, weshalb die SVP bezüglich Parteibudget allen anderen Parteien voraus ist: ihre Millionen für hetzerische Wahl- und Abstimmungskampagnen erhalten sie direkt von der Schweizer Wirtschaftselite, wie z.B. von Christoph Blocher selbst, von Walter Frey, Bankier Marcel Ospel, Financier Tito Tettamanti oder Martin Ebner.[18] Genau dies gilt es zu übertünchen. Das typische Credo dabei lautet deshalb “Wir gegen die anderen”, “Wir das Volk”.

Damit das nach den Kriterien der SVP definierte “Schweizer Volk” auch vertreten werden kann, müssen die Menschen sich diesem “wir” zugehörig fühlen. Diese Identität versucht die SVP seit ihren Anfängen systematisch diskursiv mit dem Bild einer “freiheitsliebenden, wehrhaften Schweiz”[19] aufzubauen. Klassische Identitätspolitik also, die die Rechte der Linken immer so gerne vorwirft. Zugehörig dürfen sich längst nicht alle fühlen, im Gegenteil: Rechtspopulist*innen erschaffen Faktoren, welche den Ausschluss bedingen, um einen Gegensatz zwischen “wir” und “ihnen” zu schaffen. Im Falle der SVP: Menschen ohne Schweizerpass, rassifizierte Menschen, queere, trans und non-binäre Personen und weitere marginalisierte Gruppen, sowie progressive Kräfte würden auf der Gegenseite stehen.

4. Die Medien im Dienst von Rechtsaussen

Die Stimmungsmache gegen oben genannte Gruppen wird neben den bekannten SVP-Plakatkampagnen zu einem relevanten Teil über die Medien verbreitet. Anfang der 2000er Jahre versuchte die Blocher-Partei, eigene Medien aufzubauen. Die 2001 unter Roger Köppel neu gestaltete Weltwoche konnte sich als SVP-nahes Magazin über 20 Jahre als Klientelzeitung etablieren. Christoph Blochers Projekt, die «Basler Zeitung» in eine rechte Tageszeitung umzuwandeln, ist hingegen gescheitert[20], trotzdem besitzt er heute mit der Swiss Regiomedia AG 25 Gratiszeitungen. Markus Somm, FDP-Mitglied und ehemaliger Chefredaktor der «Basler Zeitung», hat für Christoph Blocher mit der Übernahme des «Nebelspalters» mit mässigem Erfolg ein weiteres Medium auf nationalkonservative Linie gebracht.[21] Die «Sonntagszeitung» aus dem Tamedia-Verlag hat sich in letzter Zeit vor allem als Stichwortgeber eines rechten Kulturkampfes profiliert, etwa mit der lachhaften Konstruktion der angeblich intoleranten Linken.[22] Zusätzlich kann sich die SVP auf die «NZZ» und neuerdings auch auf die «NZZ am Sonntag» verlassen, wenn es darum geht, rechtzeitig zum Wahlkampf ihre rassistischen und migrationsfeindlichen Framings unters Volk zu bringen.[23]

Doch das ist nicht alles: gerade die von der Rechten angeblich so verhasste SRG begann in letzter Zeit vermehrt, rechte Propaganda zu verbreiten. So adaptiert das SRF fraglos SVP-Rhetorik und strahlte nach dem Unglück auf dem Mittelmeer, bei dem die griechische Küstenwache über 500 Menschen auf der Flucht ertrinken liess, eine Arena-Sendung mit dem Titel “Asylchaos mit Ansage?”. Vorab hatte das SRF zudem die falsche Erzählung der SVP übernommen, welche Geflüchtete für die skrupellose Profitgier von Immobilienfirmen in Seegräben und Windisch verantwortlich machte. So titelte SRF tatsächlich: “Seegräben stellt Mieter wegen Geflüchteten auf die Strasse".[24]Wenn sogar das öffentlich finanzierte Radio und Fernsehen, mit dem landesweit grössten medialen Einfluss, klar rechte Narrative übernimmt, dann ist das zutiefst besorgniserregend.[25] Die Partei schafft es mit ihrer Strategie offensichtlich Schritt für Schritt, rechtsextreme Inhalte zu festigen.

5. Wieso die SVP nicht als rechtsextrem wahrgenommen wird

Diese Normalisierung menschenfeindlicher Ansichten treibt die SVP immer routinierter voran. Zusätzlich sorgen Parteiexponent*innen regelmässig für Aufschreie, wenn Verbindungen zu rechtsextremen Kräften aufgedeckt werden. Beispielsweise der ehemalige Präsident der SVP Buchs, der sein Engagement jetzt bei der jungen Tat weiterführt[26]oder andere Exponent*innen, welche Neonazi-Propaganda von C18 und Co. im Netz teilen.[27] Trotzdem schafft es die Partei, als bürgerliche Volkspartei gelesen zu werden. Dies liegt daran, dass die SVP dieses Spiel der Normalisierung perfektioniert hat.

Ihre Grösse und Etabliertheit scheint der Partei einen politischen Freipass zu verschaffen, was die Verbreitung von Hass und Hetze anbelangt. So scheut sich die SVP nicht davor, auch in ihrer Kommunikation immer näher ans rechte Extrem zu gelangen. Für viele kein Problem, denn die SVP sei ja demokratisch legitimiert und breit abgestützt. Dass die Inklusion von Faschist*innen in demokratischen Strukturen nicht zur Abwendung von Faschismus führt, zeigt die italienische Geschichte, als das politische Establishment den faschistischen Mussolini in die Regierung gewählt hatte.

Die SVP provoziert derweilen immer öfter mit klarer Nazi-Symbolik, wie dem Würmer-Plakat bei den eidgenössischen Wahlen 2019. Das verwendete Motiv sieht einer Karikatur aus dem ehemaligen SS-Magazin “Der Stürmer” zum Verwechseln ähnlich.[28] Nach jedem “Ausrutscher” wird jeweils wieder zurückgerudert und/oder abgestritten. Gepoltert wird auch nicht auf allen Ebenen im selben Stil. Die harten Töne werden vor allem von nationalen Exponent*innen angeschlagen, die sich auch in von der Partei “unabhängigen” Vereinigungen wie dem “Egerkinger Komitee” tummeln. Auf lokaler und kommunaler Ebene wird hingegen ein ganz anderes Bild der Partei gezeichnet. Bei SVP-Gemeinderät*innen handelt es sich oftmals um gut integrierte Gemeindemitglieder, die eine gemässigtere Position vertreten und bei den SVP-Wähler*innen als direkte Ansprechpersonen und Aushängeschilder präsent sind. Mit dieser politischen Breite innerhalb der Partei schafft die SVP eine beispiellose Normalisierung von rechtsextremen Positionen. Wegen ihrer Grösse und ihrem Erfolg versuchen bürgerliche Parteien, mit der SVP anzubandeln und gewisse Strategien zu übernehmen. So geht die FDP im eidgenössischen Wahljahr in mehreren relevanten Kantonen Listenverbindungen mit der SVP ein und hilft dabei aktiv, rechtsextreme Positionen bis in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.

Darüber hinaus gelingt es der SVP, über parteinahe Netzwerke ihre politische Macht auszubauen und sich gleichzeitig in der Breite abzustützen. Die Partei unterhält thematisch breit gefächerte Verbände wie Pro Schweiz (Fusion aus Auns und kleineren Organisationen), Sicherheit für alle (Sifa), Pro Libertate, den Bund der Steuerzahler und einen neuen Zusammenschluss von Atomfreund*innen namens Energie Club Schweiz, um nur einige Beispiele zu nennen. Unter den Fittichen von SVP und Co. haben sich zudem die Wirtschaftsorganisationen Economiesuisse, der Arbeitgeber*innen- und Gewerbeverband mit dem Bauernverband zu einer dreckigen Geld&Gülle-Allianz zusammengeschlossen. Ziel der Allianz ist, die rechtskonservative Dominanz im Herbst 2023 noch weiter auszubauen.

Die SVP versucht und schafft es also mit einer rechtspopulistischen Rhetorik, dem gezielten Schüren von Ängsten und entsprechend mit der Verdrehung von Fakten und Tatsachen, politische und gesellschaftliche Diskurse zu ihren Gunsten zu beeinflussen und ihre eigene Hegemonie voranzutreiben. Dafür nutzen sie die Medien als Sprachrohr und ihre parteiinterne Breite und Vernetzung zur Ausdehnung ihrer Macht. Mit ihrer Politik fürs Grosskapital sichert sich die Partei ihre wichtigste Finanzierungsquelle und kann damit Kampagnen mit enormer Schlagkraft fahren. Bürgerlich-demokratische Parteien nähern sich den Extrempositionen der SVP immer schneller an, um vermeintlich zu verhindern, selbst an Relevanz zu verlieren. Die Strategie der Partei funktioniert und wird immer erfolgreicher und in Kombination mit den Zielen der SVP birgt dies eine ernsthafte Gefahr. Die Mehrheitsbevölkerung muss sich jetzt mit aller Kraft gegen das Vordringen der rechtsextremen Kräfte stellen, denn unsere hart erkämpften Errungenschaften und Freiheiten stehen auf dem Spiel.

6. Die Antwort: demokratische Parteien und Medien gegen die SVP

Die Bürgerlichen und die Medien tragen bei der Bannung dieser Gefahr eine zentrale Verantwortung. Mit ihnen zusammen muss sich die Schweizer Linke der SVP und anderen rechtsextremen Akteur*innen kompromisslos entgegenstellen. Dafür gilt es, die SVP zu isolieren, ihre Politik als menschenfeindlich zu entlarven, gesellschaftliche Akteur*innen in die Verantwortung zu nehmen und nicht zuletzt eine echte linke Alternative zu etablieren.

6.1. Für eine linke antifaschistische Allianz geschützt durch eine Brandmauer gegen Rechts

6.1.1. Für eine Brandmauer gegen Rechts

Aus ihren Zielen und ihrer Strategie wird deutlich, dass die SVP viele erkämpfte Freiheiten, ja die Demokratie als Ganzes bedroht. Zum Schutz dieser Freiheiten und der Demokratie brauchen wir eine Brandmauer gegen Rechts. Wie kann es sein, dass in einer angeblich beispiellos intakten bürgerlichen Demokratie wie der Schweiz der Aufschrei, der breite Widerstand gegen die SVP und ihre Positionen ausbleibt?

Die bürgerliche Mitte muss die Angriffe der SVP auf Grundrechte und auf demokratische Strukturen konsequent und parteiübergreifend bekämpfen. Bisher scheint sie diesbezüglich jedoch keine ernsthaften Bestrebungen zu haben und das muss sich dringend ändern. Die bürgerlich-demokratischen Parteien stehen in der Pflicht, sich aktiv von faschistoiden Parteien, Bewegungen und Ideologien abzugrenzen und diese zu bekämpfen. Denn die extreme Rechte missbraucht die bürgerliche Mitte für die Verbreitung und Etablierung ihrer Ideologien innerhalb der Bevölkerung.

Faschistische Politik ist für eine Machtübernahme nämlich auf den Gewinn dieser Wähler*innen und ihrer Parteien angewiesen. Historisch spielten bürgerliche und konservative Parteien immer eine entscheidende Rolle dabei, ob sich die faschistischen Ideologien verbreiten konnten und ob eine faschistische Machtergreifung überhaupt möglich war.

Rechtsbürgerliche und vor allem neoliberale Parteien wie die FDP, welche im Interesse des Kapitals politisieren, fungierten in der Vergangenheit dabei als Steigbügelhalter*innen beim Aufstieg von faschistischen Kräften. Das ist wenig erstaunlich, denn Kapitalist*innen wollen schlussendlich weiter Gewinne scheffeln. Gleichzeitig stellen faschistische Kräfte die kapitalistische Ordnung nicht grundsätzlich in Frage, sondern stützen diese häufig noch, besonders in Krisenzeiten des Kapitalismus. Weil diese Parteien angesichts einer Bedrohung durch faschistische Kräfte nicht wieder dieselben Fehler machen dürfen, müssen sie jetzt Position beziehen!

Wenn wir rechtsextreme und faschistoide Ideologien nicht gewinnen lassen wollen, muss sich die Mehrheit der Gesellschaft dagegen stellen – sich also als antifaschistisch verstehen und entsprechend danach handeln. Um dies zu ermöglichen, müssen sich alle politischen Kräfte, die sich als demokratisch verstehen, dezidiert gegen die extreme Rechte stellen und ihre Ideen bekämpfen.

Im Wahljahr erhält die Frage über die Abgrenzung oder Zusammenarbeit der Bürgerlichen mit den Kräften rechtsaussen eine zusätzliche Relevanz. Als SVP-Nationalrat Andreas Glarner im Frühling eine Hetzjagd auf einen “Gender-Tag” eröffnete, zeigte der FDP-Gemeindepräsident von Stäfa Rückgrat, indem er Glarner frontal angriff.[29] Auffällig viele freisinnige Exponent*innen blieben hingegen stumm. Noch krasser zeigt sich die fehlende Abgrenzung bei den Listenverbindungen zwischen der FDP und der SVP für die Nationalratswahlen. Nachdem SVP-Chiesa solche Verbindungen flächendeckend gefordert hatte, treten die beiden Parteien in voraussichtlich neun Kantonen gemeinsam an. Diese neun Kantone mit zusammen etwas mehr als fünf Millionen Einwohner*innen machen rund 60% der Schweizer Bevölkerung aus! Damit trägt die FDP massgeblich zur weiteren Normalisierung einer radikalisierten SVP bei. Die antifaschistische Haltung ist klar: Keine Listenverbindungen mit der SVP!

Erstaunlich ist diese Bereitschaft zur Normalisierung nicht, denn auch in der Vergangenheit waren Parteien und Organisationen, die in öffentlichem Diskurs der bürgerlichen Mitte zugeordnet werden, keine verlässlichen Partner*innen im Kampf gegen den Faschismus. Zentral hierfür ist die Analyse, dass die bürgerliche Mitte weniger eine eigenständige politische Position, als eine Kompromisshaltung mit dem Ziel der Erhaltung des Status Quo ist, die sich problemlos nach rechts ziehen lässt. Das Gegenteil müsste geschehen, auch die Parteien der bürgerlichen Mitte müssen sich klar gegen Rechtsaussen abgrenzen! Denn im Kampf gegen den Faschismus ist wichtig zu erkennen, dass sich dieser nicht immer durch einen grossen Putsch gegen die Institutionen etablieren muss, sondern die Macht auch stetig ergreifen kann. Nach den Gräueln des letzten Jahrhunderts ist der bürgerliche Glauben an eine Resistenz der heutigen Gesellschaft gegenüber Faschismus schlichtweg naiv.

Linke Parteien, Organisationen und Einzelpersonen sollen die bürgerliche Mitte zur Verantwortung ziehen. Wir müssen ihnen erklären, dass es angesichts der Gefahr von Rechts nicht reicht "selber nicht rechts" o.Ä. zu sein, sondern es einem aktiven Antifaschismus bedarf. Die Linke kann und muss von der Mehrheitsgesellschaft, in welcher im Moment noch ein grosser Teil bürgerlich wählt, erwarten, dass sie nicht zu Faschist*innen und deren Mithelfer*innen werden.

Darüber hinaus lehrt uns die Geschichte: Es ist ebenfalls klar, wie sich die bürgerlichen und konservativen Parteien im Moment einer sozialen Revolution verhalten würden. Wenn sie als Vertreter*innen des Kapitals zwischen Faschismus und Sozialismus wählen müssen, werden sie sich für den Faschismus entscheiden, da dieser die herrschende Ordnung des Kapitals praktisch nie in Frage stellt. Die Parteien, die im Interesse des Kapitals politisieren, wären dann auch bereit, liberale und demokratische Errungenschaften zu opfern, um das Überleben des Kapitalismus zu sichern – das hat die Geschichte gezeigt. Bei der Machtübernahme durch den faschistischen Mussolini in Italien hielten ihm die bürgerlichen und konservativen Parteien den Steigbügel, um gleichzeitig zu verhindern, dass die linksrevolutionären Kräfte Oberhand gewinnen. Darum kann und darf sich eine linke antifaschistische Bewegung nicht auf die bürgerlichen und konservativen Kräfte verlassen und muss sich selbst organisieren.

6.1.2. Für eine organisierte linke, antifaschistische Allianz

Antifaschismus bedeutet, sich der freiheitsfeindlichen, undemokratischen, diskriminierenden und ausgrenzerischen Politik von faschistischen und rechtsaussen Parteien entgegenzustellen. Antifaschismus muss zum Selbstverständnis einer demokratischen Gesellschaft gehören. Wie analysiert, reicht es jedoch nicht, sich auf bürgerliche und konservative Kräfte zu verlassen, um die Gefahr von rechts zu bekämpfen.

Um den antifaschistischen Kampf in die breite Bevölkerung zu tragen, braucht es eine entsprechende Strategie der linken Parteien und Bewegungen. Antifaschismus darf auch nicht mehrheitlich in der Verantwortung der ausserparlamentarischen Linken liegen, die bis heute wichtige Arbeit leistet, denn Antifaschismus geht uns alle an! Um die progressiven, antifaschistischen Kräfte zu bündeln, braucht es eine Organisierung in einer neuen Struktur. Dafür muss eine antifaschistische Allianz bestehend aus linken Parteien, Bewegungen, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft her![30] Diese Allianz soll den antifaschistischen Kampf zugänglich machen und ihm die nötige Priorität einräumen. Eine progressive antifaschistische Allianz muss zum Ziel haben, das antifaschistische Selbstverständnis in der Bevölkerung zu stärken, und gleichzeitig anders als ein bürgerlicher Antifaschismus die soziale Frage als zentralen Teil von antifaschistischer Arbeit verstehen. Ausserdem soll sie dafür sorgen, dass die antifaschistische Mobilisierungskraft grösser wird und dass die bestehende antifaschistische Recherchearbeit besser abgesichert, ausgebaut und teilweise auch staatlich finanziert werden kann. Eine antifaschistische Allianz in diesem Verständnis stellt keinen Ersatz für die bestehende ausserparlamentarische und stark aktivistisch geprägte antifaschistische Bewegung dar, sondern soll diese erweitern und ergänzen. Gleichzeitig muss sie sicherstellen, dass die linken Kräfte gegen den faschistischen Backlash vorbereitet sind, wenn dieser auf kommende soziale Errungenschaften folgen wird. Es gilt: “Antifaschismus ist und bleibt Pflicht!”

6.2. Die Linke ist Anti-Establishment

Die einzige Alternative zum zerstörerischen und perspektivlosen Status Quo sind die antikapitalistischen, feministischen und ökologischen Antworten der Linken. Erste Wahl für Menschen, welche mit dem Funktionieren des heutigen Systems unzufrieden sind, darf nicht mehr die SVP sein! Dazu muss sich die Linke die Mitte der Gesellschaft von der SVP, von den Rechten, zurückerobern. Die Linke muss sich als Vertretung der 99% profilieren, als Vertretung der Bergbäuerin, des Gleisbauers, der Pflegefachperson, des Sozialhilfeempfängers, der Soziologin und des Treuhänders in Ausbildung. Sie muss Alternativen und Perspektiven zur hasserfüllten und von Angst geprägten Politik der SVP aufzeigen und sich gleichzeitig auch von der kapitalistischen Politik von weiteren rechtsbürgerlichen und konservativen Parteien abgrenzen. Dazu muss linke Politik authentisch und nahbar sein. Es ist entscheidend, dass die Menschen linker Politik zutrauen, politische Erfolge zu erzielen und daran glauben, dass sich damit das Leben vieler verbessern wird. Die Linke muss über ihre jetzigen Ambitionen hinauswachsen, reiner Statuserhalt reicht nicht. Ihr Anspruch muss es sein, eine stabile linke Mehrheit beim Schweizer Stimmvolk zu erreichen.

Dafür müssen die politischen Konfliktlinien neu gezogen werden: es geht um “unten gegen oben”. Gegen die Wirtschaft der Reichsten, für eine Wirtschaft der Meisten! Mit einer Verschiebung des gesellschaftlichen Konsens ermöglicht die Linke einen Umbau der Gesamtwirtschaft. Dazu muss insbesondere die Oberhand über den politischen Diskurs gewonnen werden. Wie es die SVP bei der Migrationspolitik geschafft hat, muss die Linke die Analyse des Bestehenden und das Ziel der Gesamtpolitik vorgeben können.

Schlussendlich muss es die Linke schaffen, den Menschen aufzuzeigen, wer das Establishment in diesem Land ist. Nicht die Linke stellt die Elite in Politik und Wirtschaft, sondern die SVP gemeinsam mit dem Freisinn und der Mitte. Anti-Establishment heisst links sein. Linke Politik funktioniert von unten her, dort wo die Menschen leben. Die Linke darf nicht den Eindruck erwecken, nur im fernen Bundesbern hinter verschlossenen Türen Politik zu machen. Dafür muss auch die Bundesratsbeteiligung in heutiger Form und die Sozialpartnerschaft in Frage gestellt werden können. Falls nötig, muss die Linke zu vollständiger Opposition bereit sein.

6.3. Die Medien müssen Verantwortung übernehmen!

Die Medien tragen eine Mitschuld, dass die SVP so stark werden konnte. In den vergangenen Jahrzehnten füllte die SVP die Medien täglich mit ihren Inhalten. Ihre Strategie, einen konstanten Aufschrei zu provozieren, hat funktioniert.

Auch für die Medien gilt: Hass ist keine Meinung! Menschenrechte und die Würde der Menschen sind nicht diskutierbar. Rassistische, queerfeindliche, ableistische, klassistische und weitere diskriminierende Aussagen und Aktionen dürfen nicht geduldet werden, dafür dürfen die Medien keine Plattform bieten. Dazu gehört auch eine Abkehr von der sogenannten “falschen Ausgewogenheit”.[31] Nicht alles, was Clicks gibt, gehört in die Zeitung oder ins Fernsehen.

Die Redaktionen der Medien und die Journalist*innen tragen einen Teil der Verantwortung für diese Situation. Da die Medien in einen kapitalistischen Markt eingebunden sind, müssen Redaktionen und Journalist*innen natürlich Artikel produzieren, mit denen sich Gewinne erzielen lassen - und die extremen Positionen der SVP verkaufen sich eben gut. Es wäre jedoch falsch, davon auszugehen, dass sie keinen Handlungsspielraum haben. Das zeigt sich am Beispiel von 24heures und dem TagesAnzeiger, die über die gleiche Umfrage zu den Sorgen der Bevölkerung berichteten. Dabei titelte das erste Medium in seiner Printversion mit "In der Schweiz ist man glücklich, aber man mag sich nicht so", der zweite Artikel war mit "9-Millionen-Schweiz: Der Ruf nach Kontingenten wird laut" betitelt - was genau dem Diskurs der SVP entsprach. Die Redaktionen der Medien müssen also ihre Verantwortung wahrnehmen und aufhören, die Narrative der SVP zu bedienen und zu übernehmen. Ausserdem muss der Schweizer Presserat eine stärkere Position einnehmen und sich trauen, Medien zu rügen, wenn sie der SVP unkritisch Plattformen bieten. Eine der zentralen Aufgaben der 4. Staatsgewalt ist es, die Mächtigen zu kontrollieren. Es ist an der Zeit, dass dies bei der SVP endlich richtig getan wird.

7. Die Schweiz braucht keine SVP

Aus der Analyse in diesem Papier wird klar, welche Gefahr von der SVP ausgeht. In den letzten 30 Jahren ist sie mit einer perfiden Strategie zur stärksten Partei der Schweiz aufgestiegen. Diese Position hält sie heute unangefochten. Bei genauerer Betrachtung wird klar, wie viele Parallelen zwischen ihren Zielen und jenen von faschistischen Parteien bestehen! Zur Erreichung ihrer Ziele besetzt und dominiert die SVP die Diskurse, inszeniert sich wechselweise als radikale oder gemässigte bürgerlich-konservative Volkspartei und vernetzt sich stark in der Wirtschaft, mit den bürgerlichen Parteien sowie im rechtsextremen Spektrum. Wenn sich die demokratischen Kräfte in der Schweiz nicht wehren, wird die SVP ihre Macht weiter ausbauen und ihren Zielen immer näher kommen. Dies ist sowohl für Minderheiten als auch für die breite Bevölkerung brandgefährlich. Diese Tatsache beweist, dass für Parteien wie die SVP innerhalb von demokratischen Strukturen kein Platz vorhanden ist. Die SVP wird unsere Freiheiten einschränken, wo und wann sie kann. Noch ist es jedoch nicht zu spät: die demokratischen Kräfte müssen die SVP ins Leere laufen lassen. Denn: Die Schweiz hat keinen Platz für die SVP. Die SVP muss weg.


Fussnoten:

[1] Illiberal ist das Gegenteil von liberal. Es bedeutet, dass die SVP das Ziel einer Gesellschaft hat, die intolerant und vorverurteilend ist – also eine nicht liberale Gesellschaft.

[2] Skenderovic, Damir. 2017 “Schweizerische Volkspartei (SVP)” in Historisches Lexikon der Schweiz (HLS). Zugriff am 16. August.2023. (https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017389/2017-03-20/).

[3] Hildebrand Marius. 2017. Rechtspopulismus und Hegemonie. Bielefeld: transcript Verlag. S. 19 ff.

[4] Ebd. S. 72.

[5] Die “Überfremdungsinitiative” von James Schwarzenbach kam am 7. Juni 1970 zur Abstimmung. Die radikale und rassistische Initiative verlangte, dass der Ausländer*innenanteil in der Schweiz höchstens 10% betragen darf. Die Initiative wurde mit 54% Nein-Stimmen abgelehnt. Wichtig ist die Initiative, weil sie einen bis heute andauernden Diskurs in der Asyl- und Migrationspolitik prägte, welcher von Ausländer*innenfeindlichkeit und Hass durchtränkt ist.

[6] Eine politische Partei, deren Programm sich auf die Vertretung einzelner (wirtschaftlicher) Interessen ihrer Anhänger*innen beschränkt.

[7] Eingereicht wurden u.A.: Ausschaffungsinitiative (2008), Volkswahl des Bundesrates (2011), Familieninitiative (2012), Masseneinwanderungsinitiative (2012), Durchsetzungsinitiative (2012), Selbstbestimmungsinitiative (2016), Begrenzungsinitiative (2018).

[8] Hermann Michael. 2023. SRG SSR Wahlbarometer, Studienbericht 2023. Sotomo. Juli 2023. (https://sotomo.ch/site/wp-content/uploads/2023/07/SRG_Wahlbarometer_Hauptbericht.pdf)

[9] Schweizerische Volkspartei. 2019. “Wahlversprechen”. Zugriff am 16. August 2023 (https://www.svp.ch/positionen/wahlversprechen/).

[10] Garne, Jigme. 2022. “Neonazis stören Vorlesestunde von Dragqueens für Kinder”. Tagesanzeiger, 16. Oktober 2022 (https://www.tagesanzeiger.ch/neonazis-stoeren-vorlesestunde-von-dragqueens-fuer-kinder-429812306727).

[11] Scherrer, Giorgo. 2022. “Rechtsextremismus hat in Zürich nichts verloren - und doch verharmlost ihn die SVP”. Neue Zürcher Zeitung, 27. Oktober 2022 (https://www.nzz.ch/meinung/stoeraktion-in-zuerich-die-svp-verharmlost-rechtsextremismus-ld.1709337?reduced=true).

[12] Häusler, Alexander und Michael Fehrenschild. 2020. “Faschismus in Geschichte und Gegenwart. Ein vergleichender Überblick zur Tauglichkeit eines umstrittenen Begriffs”. in Manuskripte (Vol. 26) . Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung. S. 86.

[13] Ebd. S. 87.

[14] Ebd. S. 87.

[15] Burnand, Frédéric. 2007. “Wahlplakat stösst auf internationale Kritik”. swissinfo.ch, 14. September 2007 (https://www.swissinfo.ch/ger/wahlplakat-stoesst-auf-internationale-kritik/6147220).

[16] Bernet, Luzi. 2011. “Exportschlager SVP”. Neue Zürcher Zeitung, 28. Januar 2011 (https://www.nzz.ch/exportschlager-svp-ld.980481?reduced=true).

[17] Kriesi, Hanspeter. 2014. “The Populist Challenge”. West European Politics 37(2):361-378. S. 362.

[18] Wegelin, Yves und Sarah Schmalz. 2016. “Schweizerische Volkspartei: Die Partei des Geldes”. WOZ Die Wochenzeitung, 19. Oktober 2016 (https://www.woz.ch/1638/schweizerische-volkspartei/die-partei-des-geldes).

[19] Bischofberger, Cindy, Josephine Smith, Mario Hediger, Julian Ferber und Steven Hill. 2023. “Geschichte der Heimat: Dominante nationale Narrative in der Schweiz”.

[20] SDA. 2018. “Blocher verkauft die ‘Basler Zeitung’”. Tages-Anzeiger, 18. April 2018 (https://www.tagesanzeiger.ch/blocher-verkauft-die-basler-zeitung-834767675670).

[21] Frank, Carl-Philipp. 2023. “Markus Somm redet vom Scheitern als Publizist – und will in die Politik”. watson.ch, 27. Juli 2023 (https://www.watson.ch/schweiz/gesellschaft%20&%20politik/731394275-markus-somm-redet-vom-scheitern-als-publizist-und-will-in-die-politik).

[22] Weber, Bettina. 2023. “Yips: Links, urban, gebildet – und intolerant”. Tages-Anzeiger. 29. Juli 2023 (https://www.tagesanzeiger.ch/links-urban-gebildet-und-intolerant-906139469508).

[23] Binswanger, Daniel. 2023. “Wovon bei diesen Wahlen geredet wir - und wovon nicht”. Republik.ch, 5. August 2023 (https://www.republik.ch/2023/08/05/binswanger-wovon-bei-diesen-wahlen-geredet-wird-und-wovon-nicht).

[24] Regionaljournal Zürich Schaffhausen. 2023. “Seegräben (ZH) stellt Mieter wegen Geflüchteten auf die Strasse”. srf.ch, 24.02.2023 (https://www.srf.ch/news/schweiz/folge-der-fluechtlingskrise-seegraeben-zh-stellt-mieter-wegen-gefluechteten-auf-die-strasse).

[25] Beck, Renato. 2023. “Kuscheln mit Rechts”. TAZ Die Tageszeitung, 3. Juli 2023 (https://taz.de/Oeffentlich-Rechtliche-in-der-Schweiz/!5941792/ ).

[26] Kampmann, Enrico. 2023. “Ehemaliger Präsident der SVP Buchs ist Mitglied der Neonazi-Gruppe Junge Tat”. Tagblatt, 10. Januar 2023 (https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/rechtsextremismus-ehemaliger-praesident-der-svp-buchs-ist-mitglied-der-neonazi-gruppe-junge-tat-ld.2390361?reduced=true).

[27] Renverse. 2020. "Le jeune UDS valaisan Léo Rouvinez fait la promotion d'une néo-nazie sur Facebook". 13. August 2020 (https://renverse.co/infos-locales/article/le-jeune-udc-valaisan-leo-rouvinez-fait-la-promotion-d-une-neo-nazie-sur-2717).

[28] Ebd.

[29] SDA. 2023. “Gemeindepräsident von Stäfa nach ‘Gender-Tag’-Absage: ‘Was hier abläuft, ist ein Skandal’”. watson.ch, 21. Mai 2023 (https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/978146374-staefa-gemeindepraesident-nach-gender-tag-absage-veraergert).

[30] JUSO. 2021. “Für eine starke und sichtbare antifaschistische Bewegung!”. Besucht am 16. August 2023 (https://juso.ch/de/positionspapiere/fur-eine-starke-und-sichtbare-antifaschistische-bewegung/).

[31] Falsche Ausgewogenheit (engl: “false balance”) bedeutet, dass einer klaren Minderheitsmeinung unverhältnismässig viel Raum eingeräumt wird. Beispiel: In einer Diskussion zum Klimaschutzgesetz diskutieren je eine Vertretung der SVP und der Pro-Seite. Damit wird suggeriert, dass die SVP eine in der Bevölkerung gleich stark vertretene Position einnimmt.


Hier das ganze Papier zum herunterladen:

Wieso die SVP unsere Freiheit und Demokratie gefährdet