Wir verurteilen die systematische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch den israelischen Staat!

02.05.2022

Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 30.04.2022 in La Roche (FR)

Das Ziel dieser Resolution ist es, die systematische Beherrschungs- und Unterdrückungspolitik des israelischen Staates gegenüber der palästinensischen Bevölkerung anzuprangern, die ein Apartheid-Verbrechen darstellt. Sie darf keinesfalls als bedingungslose Unterstützung der Politik der palästinensischen Autoritäten im Westjordanland oder der De-facto-Regierung der Hamas im Gazastreifen verstanden werden. Die Menschenrechtsverletzungen (1), darunter die Gewalt gegen Zivilist*innen, verurteilen wir aufs Schärfste. Die JUSO Schweiz lehnt jede Form der Unterdrückung einer Gruppe von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion ab. Wir wollen hier jedoch nicht versuchen, neutral zu bleiben, denn gegenüber der israelisch-palästinensischen Situation neutral sein zu wollen, bedeutet, sich auf die Seite der Unterdrückung zu stellen.

Die JUSO Schweiz ist antikolonialistisch

Imperialismus und Kolonialismus als Politik der territorialen Expansion und der wirtschaftlichen Ausbeutung, um eine politische und militärische Herrschaft über eine Bevölkerungsgruppe zu errichten, sind im Kapitalismus inhärent, da sie durch das Streben nach maximalem Profit motiviert sind (2). Die Entstehung des Zionismus ist entsprechend auch in Zusammenhang mit der Aufteilung Afrikas unter den europäischen Kolonialmächten Ende des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Die Einordnung dieser Ideologie in ihren Kontext ist daher von zentraler Bedeutung, um die ihr zugrunde liegende imperialistische Logik zu verstehen.

Seit seiner Gründung 1948 verfolgt der Staat Israel eine imperialistische Politik, die darauf abzielt, die demografische und wirtschaftliche Dominanz von jüdischen Israelis (3) auf seinem Territorium zu sichern (4). Der Staat Israel betreibt auch eine kolonialistische Politik zur Ausweitung seines Territoriums, da er heute das Westjordanland und Ostjerusalem besetzt hält, den Gazastreifen belagert und eine Politik der Errichtung israelischer Siedlungen in palästinensischen Gebieten verfolgt, die gegen die 4. Genfer Konvention (5) verstösst.

Das Oslo-Abkommen von 2002 teilte die besetzten palästinensischen Gebiete (OPT) in drei Zonen auf, in denen die militärischen Streitkräfte Israels unterschiedliche Ebenen der militärischen, administrativen und rechtlichen Kontrolle ausüben. Dies ist heute Teil einer Politik der territorialen Fragmentierung und der Isolation der palästinensischen Gemeinschaften.

Die JUSO Schweiz verurteilt:

  • Den Willen und die Handlungen der aufeinanderfolgenden israelischen Regierungen zur territorialen Expansion in den palästinensischen Gebieten und in Ostjerusalem, sowie die vorrangige Bereitstellung dieses Landes für die jüdische israelische Bevölkerung.
  • Die Vertreibung palästinensischer Personen, Enteignungen von Land und Eigentum, Wohnungsabrisse und alle anderen systematischen Behinderungen des Zugangs zu angemessenem und sicherem Wohnraum (6) für palästinensische Menschen;
  • Das diskriminierende System der Aufenthaltsgenehmigungen und die Politik der Isolierung der palästinensischen Bevölkerung in Enklaven auf der Grundlage ihres Rechtsstatus;
  • Die Kontrolle natürlicher Ressourcen wie Wasser und Gas in den besetzten Gebieten durch die israelischen Streitkräfte (7) und deren ungerechte Verteilung in Israel und in den OPT.

Die JUSO Schweiz ist antirassistisch.

Von den verschiedenen aufeinanderfolgenden israelischen Regierungen wurde ein System rassistischer Gesetze, Politiken und Praktiken eingeführt, um die palästinensische Bevölkerung zu unterdrücken. Das Ausmass der Unterdrückung variiert in den verschiedenen vom Staat Israel kontrollierten Regionen, aber jüdische Israelis haben an jedem Ort mehr Rechte als eine palästinensische Person. Dies führt zu einer rechtlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung in den vom Staat Israel kontrollierten Gebieten sowie der palästinensischen Flüchtlingsbevölkerung.

Die JUSO Schweiz verurteilt:

  • Die Ungleichheit der Nationalitäten und den ungleichen Status der israelischen Staatsbürger*innen und die Überlegenheit der jüdischen Israelis in Bezug auf die Rechte.
  • In den OPT: Die Einschränkungen der Reisefreiheit von Palästinenser*innen, die Einschränkungen der bürgerlichen und politischen Rechte in Verbindung mit dem geltenden Militärrecht;
  • In Israel: Die Einschränkungen des Rechts auf Familienzusammenführung, den fehlenden Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, die Isolation der palästinensischen Gemeinschaften;
  • Die Vorenthaltung wirtschaftlicher und sozialer Rechte infolge der oben genannten diskriminierenden Politik;
  • Die Repression gegen alle Personen und Organisationen, welche die oben genannten Realitäten anprangern;
  • Den Rassismus, der die kolonialen Verhältnisse bedingt, prägt und der durch sie reproduziert wird.

Schlussfolgerungen

Die JUSO Schweiz sieht es als ihre Verantwortung an, den direkt Betroffenen zuzuhören, über die gelebten Realitäten zu lernen und Stellung zu beziehen, um das Recht eines jeden Menschen auf ein Leben in Würde zu verteidigen. In der westlichen Welt und insbesondere in den deutschsprachigen Ländern, die von den Schrecken des Naziregimes und des Holocausts geprägt sind, ist die Kritik an der Politik des israelischen Staates zurückhaltend. Auch heute noch folgen auf das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen durch den Staat Israel oftmals Vorwürfe des Antisemitismus (8). Antisemitische Äusserungen sind, ebenso wie islamfeindliche Äußerungen, unbedingt zu verurteilen. Solche Anschuldigungen werden manchmal auch böswillig von Personen geäussert, die versuchen, die Grenzen eines legitimen antirassistischen Diskurses (9) zu verschieben und Kritik an der Politik des Staates Israel zum Schweigen zu bringen. Dies hat zur Folge, dass ein richtiges Verständnis des Antisemitismus, aber auch des antikolonialen Kampfes der Palästinenser*innen verhindert wird. Für die JUSO Schweiz ist es wichtig, zwischen Antisemitismus und Antizionismus zu unterscheiden, als Form der Opposition gegen ein nationalistisches Projekt, das Gleichberechtigung aller Menschen, die zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan leben, verhindert. Die JUSO Schweiz stellt das Existenzrecht des Staates Israel nicht in Frage, und wir setzen uns dafür ein, den Staat Israel mit dem gleichen Massstab wie alle anderen Staaten zu messen.

Als das Verbrechen der Apartheit (10) bezeichnet die Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid unmenschliche Handlungen, mit dem Ziel die Herrschaft einer ethnischen Gruppe über eine andere ethnische Gruppe zu errichten oder aufrechtzuerhalten, um diese systematisch zu unterdrücken. Angesichts des Systems der Unterdrückung und Beherrschung der palästinensischen Bevölkerung durch den Staat Israel ist die JUSO Schweiz der Ansicht, dass die in dieser Resolution beschriebenen Menschenrechtsverletzungen eine Apartheid darstellen. Wir kämpfen dafür, dass alle Menschen ein würdiges Leben unter Wahrung ihrer Grundrechte führen können, und engagieren uns für ein Ende der Besetzung der palästinensischen Gebiete und die Befreiung aller unterdrückten Menschen.

Forderungen

  • Wir fordern die Anerkennung des Staates Palästina.
  • Wir fordern die Anerkennung des Rückkehrrechts der Palästinenser*innen durch den Bundesrat.
  • Wir unterstützen den Boykott von Waren, die in den israelischen Siedlungen in der Zone C der besetzten palästinensischen Gebiete produziert werden.
  • Wir fordern, dass die Schweiz jegliche Zusammenarbeit und Handelsbeziehungen im Sicherheitsbereich mit dem israelischen Staat und israelischen Unternehmen einstellt.

(1) Wir verurteilen unter anderem den religiösen Extremismus der Hamas, den wahllosen Raketenbeschuss, die Gewalt gegen Zivilist*innen und die Unterdrückung von Frauen, LGBTQ-Personen und politischen Gegner*innen. Wir verurteilen auch die Anwendung von Folter, die Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit sowie die Korruption unter hohen Beamt*innen, was sowohl die Hamas in Gaza als auch die palästinensischen Autoritäten im Westjordanland betrifft. (Quelle: Amnesty International)

(2) Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals (1913)

(3) Der Staat Israel unterscheidet zwischen der Nationalität als ethnische Zugehörigkeit und der Staatsbürgerschaft als Zugehörigkeit zu einem Staat. Die wichtigsten nationalen Gruppen in Israel sind Juden*Jüdinnen, Araber*innen, Drusen*innen und Kaukasier*innen (Quelle: Amnesty International). Die Überlegenheit der jüdischen Israelis in Israel wurde 2018 durch das Grundgesetz gestärkt, das den ausschliesslich jüdischen Charakter des Staates Israel betont. Auf französisch spricht man von der «nationalité juive».

(4) https://www.amnesty.org/fr/latest/news/2022/02/israels-apartheid-against-palestinians-a-cruel-system-of-domination-and-a-crime-against-humanity/

(5) https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1951/300_302_297/de

(6) https://www.amnesty.org/fr/latest/news/2022/02/israels-apartheid-against-palestinians-a-cruel-system-of-domination-and-a-crime-against-humanity/

(7) https://www.cairn.info/revue-la-pensee-2017-1-page-66.htm

(8) Wir stützen uns daher auf die Definition von Antisemitismus aus der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus: «Antisemitismus ist Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Einrichtungen als jüdische).» https://jerusalemdeclaration.org/

(9) https://research.gold.ac.uk/id/eprint/7144/1/hirsh_transversal_2010.pdf

(10) Anti-Apartheid-Konvention, Artikel 2