Feminizide bekämpfen – Täter*innenarbeit ausbauen!

19.05.2025

Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 17.05.2024 in Sierre (VS)

Feminizide sind die extremste Form patriarchaler Gewalt und gleichzeitig nur die Spitze des Eisbergs. In der Schweiz wird alle zwei Wochen eine Frau aufgrund ihres Geschlechts ermordet. Im Jahr 2025 ist die Feminizidrate bereits im ersten Drittel des Jahres doppelt so hoch wie im Durchschnitt der letzten Jahre: Schon 12 Frauen sind aufgrund patriarchaler Gewalt gestorben.[1] Das ist ein massiver Anstieg der tödlichen patriarchalen Gewalt – ohne Berücksichtigung der Dunkelziffer. Gleichzeitig nehmen auch die Zahlen der bekannten Fälle sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt stetig zu.[2]

Patriarchale Gewalt hat System

Feminizide sind keine Einzelfälle, sondern die extremste Form patriarchaler Gewalt. Der Nährboden für geschlechtsspezifische Gewalt ist Misogynie: Die allgegenwärtige sexistische und systematische Abwertung von FINTA*-Personen ermöglicht verbale, psychische, physische und sexualisierte Gewalt gegen FINTA*-Personen.[3] Anders als in beispielsweise Spanien ist «Feminizid» in der Schweiz kein juristisch klar definierter Begriff und steht in keinem Gesetz. Feminizide werden deshalb nicht statistisch erfasst. Zudem wird Gewalt gegen FINTA*-Personen in den Medien häufig als «Familiendrama» oder «Beziehungstragödie» bezeichnet. So werden geschlechtsspezifische Gewalt heruntergespielt und unsichtbar gemacht.

Feminizide sind keine plötzlichen Zufallstaten, sondern meistens der tödliche Endpunkt einer persönlichen Beziehung, die schon zuvor durch Gewalt und/oder Machthierarchie geprägt war. Opfer von Feminiziden kennen in den meisten Fällen ihre Täter*innen, sind deren Töchter, Ehefrauen, Freund*innen oder Exfreund*innen.[4] Feminizide passieren in Momenten, in denen sich die Opfer von Täter*innen trennen wollen, sich wehren, ihre Selbstbestimmung einfordern oder Hilfe holen. Sie entziehen sich damit der Kontrolle und der Macht ihres Gegenübers. Mit einem Feminizid erhalten Täter*innen die Kontrolle über Leben und Tod ihres Opfers aufrecht.

Wenn sich Betroffene von patriarchaler Gewalt Hilfe holen, sind Gaslighting und Victim Blaming grosse Probleme. Betroffene von patriarchaler Gewalt werden häufig nicht ernst genommen, ihre Aussagen relativiert oder pathologisiert – besonders dann, wenn sie sich frühzeitig Hilfe suchen. Täter*innen manipulieren gezielt die Wahrnehmung der Realität, um Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten – und das System hilft ihnen dabei. Polizei, Justiz und Sozialdienste reproduzieren diese Dynamiken, wenn sie den Aussagen von Betroffenen misstrauen oder ihnen die Verantwortung für die erlebte Gewalt zuschieben. Solche Strukturen fördern nicht nur das Schweigen der Betroffenen, sondern normalisieren die Gewalt. Solange Gaslighting und Victim Blaming institutionell nicht erkannt und aktiv bekämpft werden, bleibt effektiver Schutz unmöglich.

Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!

Im Kampf gegen patriarchale Gewalt wird häufig den Betroffenen die Verantwortung für ihren mangelnden Schutz und ihre Gewalterfahrungen zugeschrieben. Das ist Victim Blaming und blendet die Verantwortung der Täter*innen sowie der Politik und Gesellschaft völlig aus. Um patriarchale und geschlechtsspezifische Gewalt wirklich zu bekämpfen, muss die Politik handeln.

Dazu müssen Täter*innen mit Programmen zu Täter*innenarbeit oder Täter*innenprävention kompromisslos zur Verantwortung gezogen werden. Täter*innenarbeit darf keine freiwillige Zusatzoption sein, sondern muss verpflichtend in den Strafvollzug und in Bewährungsauflagen integriert werden. Der Fokus muss dabei auf der Reflexion von Machtstrukturen, toxischer Männlichkeit und dem Abbau von Gewaltverhalten liegen. Programme zur Täter*innenarbeit müssen flächendeckend und niedrigschwellig zugänglich sein – auch präventiv, bevor es zu körperlicher Gewalt kommt. Und: Die Finanzierung darf nicht auf dem Rücken der Betroffenen oder der sozialen Einrichtungen lasten.

Für die Bekämpfung patriarchaler Gewalt braucht es mehr finanzielle Mittel von Bund, Kantonen und Gemeinden. In bürgerlicher Sparpolitik wird oft zuerst bei marginalisierten Gruppen angesetzt. Besonders Angebote für FINTA*-Personen werden gekürzt oder privatisiert, während gleichzeitig das Armeebudget um Milliarden erhöht wird. Statt patriarchale Strukturen weiter zu zementieren, müssen Gelder gezielt in Schutz, Prävention und Gleichstellung fliessen.

Schutz bedeutet Infrastruktur!

Frauenhäuser sind oft überfüllt, unterfinanziert und regional ungleich verteilt. Es braucht einen massiven Ausbau dieser Schutzinfrastruktur, damit jede betroffene Person jederzeit einen sicheren Zufluchtsort findet – unabhängig von Aufenthaltsstatus, Einkommen oder Wohnort. Notruftelefone und Unterstützungsstellen müssen rund um die Uhr erreichbar sein, barrierefrei und mehrsprachig. Zusätzlich braucht es anonyme Angebote für Menschen, die sich in gefährlichen Situationen befinden, aber noch nicht fliehen konnten. Täter*innenarbeit gehört zwingend zu diesem System: Ohne eine wirksame Intervention beim gewaltausübenden Part, wiederholen sich die Muster – in derselben oder einer neuen Beziehung. Präventive Programme müssen schon in Schulen, Jugendzentren und Berufsausbildungen ansetzen. Gewaltprävention ist politische Bildung – und damit staatliche Pflicht.

Die JUSO Schweiz fordert deshalb:

  • Die sofortige Umsetzung der Istanbul-Konvention.
  • Ein eigenes Gesetz zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt.
  • Umfassende Präventions- und Schutzprogramme auf nationaler und kantonaler Ebene.
  • Eine gesetzliche Definition von Feminizid und dessen statistische Erfassung.
  • Flächendeckende und verpflichtende Täter*innenarbeit mit feministischer Ausrichtung.
  • Den massiven Ausbau von Frauenhäusern, Notunterkünften und Beratungsstellen.
  • Eine breit angelegte Sensibilisierungskampagne gegen patriarchale Gewalt, Gaslighting und Victim Blaming – in Medien, Schulen, Polizei und Justiz.

[1] Recherchekollektiv Stop Femizide (2025): «Femizide in der Schweiz». https://www.stopfemizid.ch/deutsch#de1 (Stand: 10.04.2025).

[2] Bundesamt für Statistik (2025): «Sexualisierte Gewalt». https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht/polizei/sexualisierte-gewalt.html (Stand: 10.04.2025).

[3] Frieda: «Schutz vor Gewalt». https://www.frieda.org/de/topics/schutz-vor-gewalt (Stand: 10.04.2025).

[4] Spigiel und Hertel (2023): «Täterarbeit: In die Krise rein». https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/femizide-und-gewalt-gegen-frauen/524191/taeterarbeit-in-die-krise-rein/ (Stand: 10.04.2025).