Griffige Massnahmen gegen sexualisierte Gewalt und Belästigung in der Ausbildung, jetzt!

27.09.2023

Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 24. September 2023 in Uster (ZH)

Das Gleichstellungsgesetz verpflichtet Arbeitgeber*innen in der Schweiz dazu, ihre Angestellten vor jeglicher Art von sexualisierter Gewalt zu schützen und präventive Massnahmen zu ergreifen, um sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz zu verhindern. Gegenüber Lernenden haben Arbeitgeber*innen im arbeitsrechtlichen Sinne eine erhöhte Schutz- und Fürsorgepflicht.

Dennoch ist sexualisierte Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz noch immer eine Realität für viele Angestellte. Gemäss einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds NFP 60 waren in der Deutschschweiz ganze 31,4 % der befragten Frauen und 10.9 % der Männer1 im Erwerbsleben schon einmal von sexueller Belästigung betroffen. 2 Dieser Zustand ist inakzeptabel und zeigt: Die bestehenden Strukturen haben versagt. Eine Analyse von SRF Data zu rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsfällen im Bereich sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zeigte auf: Beim grössten Teil der analysierten Fälle (69%) hielten die angeklagten Unternehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Präventionsmassnahmen zur Verhinderung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nicht ein. Das ist besonders stossend, da die Anforderungen an solche Präventionsmassnahmen, wie etwa die Schaffung einer internen Anlaufstelle, an sich schon sehr tief sind. Weiter landet, wie bei den meisten Fällen von sexualisierter Gewalt und Belästigung generell, die wenigsten Fälle überhaupt vor Gericht.

Für viele Lernende und Menschen in Ausbildung ist es aufgrund der bestehenden Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnisse besonders schwer, Fälle von sexualisierter Gewalt zu melden – sie sind auf ihren Lehrabschluss und gute Bewertungen ihrer Vorgesetzten angewiesen. In einer Umfrage der UNIA Jugend gaben 33% der Befragten Lernenden an, dass sie am Arbeitsplatz bereits sexualisierte Gewalt erfahren mussten.3 Die Gefahr eines Lehrabbruchs, fehlende Anlaufstellen, sowie eine ungenügende Unterstützung und Aufklärung über die eigenen Rechte führen dazu, dass Lernende und Menschen in Ausbildung besonders gefährdet sind. Deshalb ist es zentral, dass sowohl innerhalb von Unternehmen, wie auch von staatlicher Seite spezifische Schutzmassnahmen für Lernende und Menschen in Ausbildung bestehen. Dazu gehört auch ein verstärkter Fokus auf die Vermittlung der eigenen Rechte und Informationen zu den bestehenden Unterstützungsangeboten in den Schulen und Bildungseinrichtungen.

Um wirksame Schutzmassnahmen und Strategien zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt und Belästigung ergreifen zu können, braucht es insbesondere auch eine umfassende Datenlage zur Problematik, mit niederschwelligen Meldestellen und qualitativen Erhebungen, denn die aktuelle Datenlage ist mehr als dürftig. Selbst das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hält fest, dass die bestehenden sozialwissenschaftlichen Befragungen es nicht erlauben, ein umfassendes Gesamtbild zu zeichnen. Es ist offensichtlich, dass die bestehenden Massnahmen und Anlaufstellen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz nicht ausreichen. Besonders verantwortungslos ist es, dass der Bundesrat dem Parlament zwei Motionen in National- und Ständerat, welche die Prävention gegen sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz, in der beruflichen Grundbildung und in der gymnasialen Maturität verankern wollten, zur Ablehnung empfiehlt.

Es ist inakzeptabel, dass der Bund und die Kantone sich weigern, wirksame Strukturen und Kontrollmechanismen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz zu ergreifen. Ein Schutz, welcher lediglich auf Papier besteht, ist wirkungslos. Wirksame Präventions- und Schutzmassnahmen bedeuten einen erheblichen Ausbau von Ressourcen für niederschwellig zugängliche regionale Anlaufstellen für Betroffene. Weiter ist es unerhört, dass sich Unternehmen ihrer gesetzlichen Schutz- und Fürsorgepflicht entziehen – Hier braucht es strengere, umfassende Kontrollmechanismen und griffige Sanktionen für Arbeitgeber*innen bei Nichteinhaltung dieser Vorgaben. Doch auch die staatlichen Behörden stehen in der Verantwortung, die Implementierung von wirksamen Schutzkonzepten in den Unternehmen zu unterstützen.

Sexualisierte Gewalt, Belästigung sind gesamtgesellschaftliche Probleme, welche auf allen Ebenen und mit intersektionalen Perspektiven bekämpft werden müssen. Der Kapitalismus fördert und stützt die bestehenden patriarchalen Strukturen und Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit und Ableismus. Personen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, erfahren die Auswirkungen davon in allen Lebensbereichen, so auch am Arbeitsplatz. Die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt und Belästigung muss stets intersektional sein – denn wir sind nicht frei, solange wir nicht alle frei sind!

Die JUSO Schweiz fordert:

  • Die regelmässige, qualitative statistische Erfassung von Fällen der sexualisierten Gewalt und Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz durch den Bund und die Kantone. Bei der Erfassung und Auswertung sollte auch der Einfluss von Mehrfachdiskriminierungen berücksichtigt und untersucht werden. Die Erhebungen sollen auch trans und nonbinäre Geschlechtsidentitäten erfassen.
  • Die Verankerung von umfassender Bildung, Präventionsarbeit und Aufklärung der Lernenden über ihre Rechte und die bestehenden Anlaufstellen in den Lehrplänen der Berufsschulen und allen Bildungseinrichtungen.
  • Einen massiven Ressourcenausbau für regionale Anlauf- und Meldestellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz. Ein besonderer Fokus soll dabei auf die spezifischen Bedürfnisse und die Unterstützung von Lernenden und Menschen in Ausbildung gelegt werden. Weiter sollen die Anlaufstellen sensibilisiert werden auf die Anliegen und Unterstützung von Menschen, welche von Rassismus, Ableismus, Queer- und Transfeindlichkeit betroffen sind.

1 Diese Statistiken gehen leider von einem binärem Geschlechtermodell aus und erfassen keine trans und nonbinären Personen. Es ist allerdings eine Tatsache, dass trans und nonbinäre Personen besonders stark von Diskriminierung am Arbeitsplatz betroffen sind. Das Schweizer Gesetz kennt keinen spezifischen Diskriminierungsschutz von trans Menschen, was häufig auch am Arbeitsplatz verheerende Folgen hat.

2https://www.snf.ch/de/28CNjy1gY9prSaRL/news/news-131204-sexuelle-belaestigung-arbeitsplatz

3 2019 hat die Unia Jugend über 800 Lernende zu sexualisierter Gewalt und Mobbing am Arbeitsplatz befragt. 33% der Befragten gaben an, dass sie am Arbeitsplatz bereits sexualisierte Gewalt erfahren haben. Weitere Informationen zur Umfrage unter: belaestigung-in-der-lehre.ch