Verabschiedet von der DV vom 21. Mai in Baden
Nach den Atomunfällen 1957 in Mayak, 1969 in Lucens, 1979 in Three Mile Island, dem Super-GAU 1986 in Tschernobyl und schliesslich der Katastrophe im japanischen Fukushima werden endlich immer mehr Stimmen laut, die ein Umdenken in der Energiepolitik fordern. Der weltweite Energiebedarf steigt rasant, die Politik setzt weiterhin auf Atomenergie, die Endlagerproblematik für Atommüll ist nicht im Geringsten geklärt und die Zerstörung der Umwelt und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen erreicht nie gekannte Ausmasse.
Die Entwicklungen, die heute global in der Energiepolitik von statten gehen, (schonungsloser Abbau von Ressourcen, stetig steigender Energiebedarf, ungerechte Verteilung der Gewinne etc.) sind nicht zufällig: Sie sind Folgen des kapitalistischen Systems, in dem ein bedingungsloser Wachstumszwang herrscht und für den auch Kriege um Ressourcen geführt werden. Im kapitalistischen System wird Energie bloss als Ware betrachtet und somit so günstig wie möglich produziert und möglichst teuer verkauft. In der neoliberalen Logik spielen die Gewinnbeteiligung und Mitbestimmung der Lokalbevölkerung am Abbau wertvoller Rohstoffe, die Arbeitsbedingungen, wie auch die Nachhaltigkeit, keine Rolle, wenn es darum geht, kurzfristig möglichst hohe Profite zu erwirtschaften. Deshalb bedeutet es für uns, für eine nachhaltige Energie- und Umwelt-Politik einzustehen, für eine sozialistische Gesellschaft zu kämpfen, in der nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse des Menschen im Vordergrund stehen.
Auch Organisationen, die sich grüne Politik ins Programm schreiben, können keine grüne Politik machen, wenn sie ein System stützen, das die Ausbeutung an Mensch und Natur nicht nur institutionalisiert, sondern voraussetzt. Wir als SozialistInnen stellen uns daher ebenso vehement gegen die grünliberale Idee eines Green New Deal als Lösung der Klimakrise wie gegen den Kapitalismus. Wir wollen nicht einfach nur einen umweltverträglichen Umbau des kapitalistischen Systems; eines Systems, welches das Streben einiger weniger nach kurzweiligen Profiten für wichtiger erachtet als das kollektive Verlangen nach einer umweltschonenden und nachhaltigen Energiepolitik. Ein Green New Deal kann einzig der erste Schritt in eine Richtung weg von fossilen Energieträgern hin zu einer 2000-Watt-Gesellschaft sein.
Denn Sozialismus heisst nicht nur, dass im Hier und Jetzt und vor Ort die Gesellschaft im eigenen Land in Freiheit und Gerechtigkeit leben kann, sondern, dass mit Nachbarn, den Menschen in aller Welt und gegenüber ihren Nachkommen solidarisch umgegangen wird. Kurz gesagt: Eine verantwortungsvolle Energiepolitik, bei der alle profitieren können und wir die Erde unversehrt unseren Nachkommen übergeben können, ist zwingend sozialistischer Natur.
Eine verantwortungsvolle Energiepolitik ist nur mit einer demokratischen und umweltschonenden Energiegewinnung möglich. Dies beinhaltet Mitbestimmung, von der Rohstoffgewinnung bis hin zum Endverbraucher und klare Umweltvorschriften. So kann verhindert werden, dass einige Wenige über alle anderen hinweg bestimmen können. Ob in Nigeria, Lybien oder in Saudi Arabien, Autokraten und korrupte Politiker bestimmen und handeln im Wohle ihres eigenen Portemonnaies und zu Ungunsten der Umwelt. Die westlichen Regierungen, und somit auch die Schweiz, kaufen was billig zu haben ist und machen sich somit als Nutzniesser undemokratisch erlangter Ressourcen mitschuldig an der Ausbeutung von Mensch und Natur. Wir importieren Energie und Rohstoffe aus intransparenter Quelle und Schweizer Firmen erzielen Milliardengewinne mit dem Handel. Wir sind somit abhängig von ausbeuterischen Wirtschaftsriesen. Ziel muss es aber sein, auf der Grundlage einer demokratischen Energieproduktion zu leben. Die Schweiz muss sich deshalb von der Abhängigkeit vom Ausland loslösen und ein eigenes Energiekonzept auf die Beine stellen, das auf fairer und demokratischer Grundlage steht. Gleichzeitig sind wir uns aber auch bewusst, dass trotz erneuerbarer Energien und gesteigerter Energieeffizienz der Verbrauch von Energie durch Verzicht gesenkt werden muss.
Wollen wir in einer Welt leben, in der die zügellose Zerstörung der Umwelt sowie die Nutzung gefährlicher und aus ökologischer Sicht mehr als bedenklicher Energieträger der Geschichte angehören, muss der Staat eine Reihe von Massnahmen ergreifen. Diese haben das Ziel, neue Energiequellen zu erschliessen und den Stromverbrauch zu senken.
Die JUSO Schweiz fordert deshalb:
1. Demokratisierung der Energiewirtschaft. Nur durch die vollständige Vergesellschaftung und Demokratisierung der in der Energiewirtschaft arbeitenden Unternehmen, sowie der für die Energiegewinnung notwendigen Rohstoffe ist es möglich zu garantieren, dass Energiepolitik im Sinne des Volkes gemacht wird.
2. Zertifizierte Ressourcengewinnung. Öl und Gas stammt heute kaum je aus sauberen Händen. Der Abbau der Rohstoffe muss faire Arbeitsbedingungen, die Gewinnbeteiligung der ArbeiterInnen und der Lokalbevölkerung, sowie deren demokratisches Recht auf Mitbestimmung voraussetzen. Zudem darf die Umwelt nicht unter dem Abbau der Ressourcen leiden. Wir fordern, dass die Schweiz nur noch Rohstoffe aus zertifizierten, demokratischen Quellen bezieht, die Mindeststandards an Arbeitsbedingungen, demokratischer Mitbestimmung, Gewinnbeteiligung und Umweltschutz erfüllen. Den Schweizer Unternehmen muss der Handel mit nicht zertifizierten Rohstoffen verboten werden. Der Bundesrat beauftragt eine unabhängige Aufsichtsbehörde mit der Kontrolle über den Import und den Handel.
3. Weniger ist mehr: Die 2000 Watt-Gesellschaft. Kein neuer Energieträger reicht, um die bisherigen vollständig zu ersetzen. Jede vernünftige Energiepolitik muss sich daher das Ziel setzen, den Energiekonsum auf 2000 Watt pro Person zu beschränken. Dabei gilt es auch den Konsum grauer Energie zu reduzieren, um den eigenen Netto-Verbrauch nicht zu verschleiern. Ebenso ist die 1 Tonnen CO2- Gesellschaft anzustreben.
4. Kostendeckende Energiepreise! Externe Kosten müssen in den Energiepreis einbezogen werden. Beispielsweise müssen Luftschadstoff-Ausstosse und auch der Energieverschleiss in der Entstehung bei den Kosten eingerechnet werden. Die Umweltschäden durch Schadstoffe sind vollumfänglich dem Verursacher bzw. der Konsumentin zu verrechnen.
5. Grössere Effizienz durch gesetzliche Standards. Im Rahmen der 2000-WattGesellschaft müssen gesetzliche Effizienzstandards geschaffen werden, so können beispielsweise bei Neu- und Umbauten mit Minergie-P-Standards grosse Mengen an Energie eingespart werden. Der Bund soll eine unabhängige ExpertInnenkommission einberufen, die die Schaffung weiterer Standards zur effizienteren Nutzung von Energie prüft.
6. Atomausstieg so schnell wie möglich! Wir sitzen auf fünf atomaren Zeitbomben, für die im Ernstfall die Bevölkerung haftet, getreu dem Motto “Gewinn den Privaten, Schulden dem Staat”. Nach Tschernobyl und Fukushima ist es so gut wie jedem und jeder, ausser einigen Ewiggestrigen, klar geworden, dass Atomenergie weder sicher noch im Sinne der Umwelt ist. Der Bund muss Massnahmen ergreifen, um so schnell wie möglich einen Ausstieg aus der Atomenergie zu ermöglichen. Wir wollen keine Schauermärchen zum Ende der Schweiz nach dem Atomausstieg, sondern Pläne zur Einbindung der Schweiz in einen europäischen Energieverbund. Für den selbst produzierten Atommüll muss ein Endlager in der Schweiz realisiert werden. Wir können unseren Dreck nicht einfach ins Ausland abschieben.
7. Verschärfte Kontrollen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Kontrollen in den Schweizer AKWs ungenügend waren. Es wurde zudem absichtlich getäuscht und Risiken verschwiegen. Die Sicherheitskontrollen müssen transparent und verschärft werden.
8. Standardmässig erneuerbarer Strom. Heute erhalten die meisten Kunden in der Schweiz als Standardangebot einen Strommix aus Atomenergie und Wasserkraft ausgeliefert. Ein Strommix ohne Atomstrom muss beim Anbieter extra bestellt werden. Das System muss umgekehrt werden. Ein erneuerbarer Strommix muss in allen Haushalten als Standardangebot ausgeliefert werden. Beim Preis für den Atomstrom müssen sämtliche Nebenkosten (z.B. Endlagerung) einberechnet werden.
9. Verstärkte Förderung erneuerbarer Energien. Der Wirtschaftsstandort Schweiz hat es in fahrlässiger Art und Weise verpasst seinen Vorteil als Vorreiter in der Entwicklung von erneuerbaren Energieträgern zu nutzen und hat deshalb die momentane Abhängigkeit von Atomstrom selber zu verantworten. Deshalb müssen jetzt umgehend und massiv mehr Investitionen in die erneuerbaren Energieträger getätigt werden (finanziert beispielsweise durch Erhöhung der CO2-Abgabe). Hier setzt auch die Cleantech-Initiative an, die einen Ausbau von erneuerbarer Energie fördert und neue Arbeitsplätze schafft. Weiter muss auch die Kostendeckende Einspeisevergütung KEV ausgebaut und ihr Kostendeckel abgeschafft werden. Ergänzend muss unser Stromnetz ausgebaut und modernisiert werden, um besser in den europäischen Energieverbund integriert zu werden. Unsere Pumpspeicherkraftwerke in den Alpen wären die idealen Batterien zur Speicherung der Energiespitzen von Wind- und Sonnenenergie aus dem EU-Raum.
10. Investitionen in die Entwicklungsländer statt Emissionsrechtshandel: Der Handel mit Emissionszertifikaten ist das beste Beispiel der scheinheiligen, neoliberalen Energiepolitik. Unternehmen, die Emissionszertifikate anbieten, handeln nicht im Sinne der Umwelt, sondern erheben die Verschmutzung der Atmosphäre zu einem juristischen Recht, mit dem – ganz im Sinne der neoliberalen Logik - Profit gemacht werden kann. Eine solche Scheinlösung muss verboten werden. Die Erreichung eigener Zielvorgaben darf nicht ausgelagert werden. Vielmehr müssen Entwicklungsprojekt und der Wissenstransfer gefördert werden. So kann mit wenigen Mittel eine nachhaltige Wirtschaftsförderung vor Ort umgesetzt werden.
11. Effiziente Mobilität: Im Anbetracht des Klimawandels muss neben dem Strom- auch der Treibstoffverbrauch reduziert werden. Der Verkehr verursacht einen bedeutenden Teil der Emissionen. Arbeiten, wohnen und Freizeit muss innerhalb kurzer Distanzen möglich sein, nur dann kann die alltägliche Mobilität verringert werden. Dazu muss der motorisierte Individualverkehr minimiert werden, was den Ausbau des öffentlichen Verkehrs bedingt. Der Güterverkehr muss von der Strasse auf die Schiene verlagert werden.
12. Internationale, demokratische Energiepolitik. Energiepolitik ist globale Machtpolitik, schliesslich machen Treibhausgase und Ozonlöcher nicht vor Staatsgrenzen Halt. Eine internationale, demokratische Energiepolitik ist aus solidarischer Sicht dringend notwendig.
13. Kostenloser öffentlicher Nahverkehr. Mobilität soll in erster Linie im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs und des Langsamverkehrs erfolgen. Um die Attraktivität dieser Mobilitätsformen zu steigern, soll der öffentliche Nahverkehr der Bevölkerung kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig braucht es Massnahmen zur Förderung des Langsamverkehrs (Velo- und Fusswege).
14. Nachhaltige Ernährung. Die industrielle Nutztierhaltung belastet das Klima nachweislich noch stärker als der gesamte globale Verkehr. Die Nutztierhaltung beansprucht über siebzig Prozent der globalen Landwirtschaftsflächen, der Regenwald wird vor allem in ihrem Dienste gerodet. Die äusserst energieintensive Produktion von einem Kilo Fleisch erfordert ein Vielfaches an pflanzlicher Nahrung und über zehntausend Liter Wasser. Angesichts der globalen Hungerkatastrophe und Wasserknappheit muten diese Zahlen besonders grotesk an. Eine Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Ernährungspolitik ist angesichts dieser Tatsachen unumgänglich. Wir fordern den von der JUSO Schweiz bereits unterstützten Vegi-Tag (national, einmal wöchentlich vegetarisch, vor allem in den öffentlichen Institutionen) und die Einführung einer Fleischsteuer.
15. Wachstumsstopp bzw. Wachstumsrücknahme. Wir leben ökologisch auf massiv zu grossem Fuss. Gemäss unserem Footprint bräuchten wir drei Planeten, wenn alle so leben wollten wie wir. Weltweit beträgt der Footprint bereits 1,5 Planeten, bis zum Kollaps ist es also nur eine Frage der Zeit, wenn wir nicht eine geordnete Rückführung der Wirtschaft auf ein verträgliches Mass anstreben. Auch sozial bringt uns weiteres Wachstum in der Überfluss- und Konsumgesellschaft nicht mehr, im Gegenteil. Wir fordern daher eine Wirtschaftspolitik, die den Wachstumszwang überwindet, der dem Kapitalismus innewohnt. Es müssen Konzepte entwickelt werden, die es ermöglichen, institutionelle (z.B. Rentensystem) und soziale Ziele (z.B. Vollbeschäftigung) mit einem Nullwachstum und damit ökologisch nachhaltig zu verwirklichen.
Die Forderungen der JUSO zeigen die Energiewende in Richtung einer demokratischen und erneuerbaren Energiezukunft auf. Diese Punkte zu verwirklichen würde bedeuten, die Schweiz umweltschonender, gerechter und freier zu gestalten. Eine Schweiz ohne AKWs, ohne neuen Atommüll und ohne den Import von Öl und Gas, der die Diktatoren und korrupten Politiker im Kampf gegen die eigene Bevölkerung finanziert.