Appell für einen Europäischen Steuerpakt

14.12.2013

Antrag verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 14.12.2013 in St. Gallen

Die Politik der Ausgabenkürzungen und Lohnsenkung, die insbesondere den südeuropäischen Ländern gegenwärtig aufgezwungen wird, nimmt dramatische Ausmasse an. Laut dem griechischen Gewerkschaftsbund ist die Kaufkraft der Beschäftigten seit Beginn der Krise um 50% eingebrochen. Die Jugendarbeitslosigkeit beläuft sich in Italien auf über 35%, in Portugal auf rund 40%, in Spanien und Griechenland auf über 55%. Diese Austeritätspolitik muss dringend gestoppt und durch eine Politik ersetzt werden, welche die extrem ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in Europa und weltweit nachhaltig korrigiert.

Die transnationalen Konzerne und die reichen Eliten haben sich in den letzten 20 Jahren riesige Einkommens- und Vermögenswerte angeeignet, die heute für die Anliegen der grossen Bevölkerungsmehrheiten fehlen, zum Beispiel für die Sicherung von Mindestlöhnen und Renten, für den ökologischen Umbau, für die Finanzierung des Gesundheitswesens, der Bildung und der öffentlichen Infrastrukturen.

Der Anteil der Lohneinkommen ist in praktisch allen Ländern deutlich gesunken. Gesunken ist aber auch der Anteil der Investitionen in die reale wirtschaftliche Produktion. Immer grössere Anteile des Reichtums der Konzerne und der Vermögenden stecken in Finanzprodukten, was wiederum ein wesentlicher Grund für den wachsenden Spekulationsdruck auf den Finanzmärkten ist. Die Gewinne und die Boni von heute sind die Spekulationsblasen und die Wirtschaftskrisen von morgen.

Die Rückverteilung eines guten Teils der Finanzvermögen an die Bevölkerungsmehrheiten ist deshalb nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Diese Rückverteilung ist vielmehr für die Sicherung funktionsfähiger Gesellschaften unabdingbar geworden.

Der international orchestrierte Abbau von Steuern auf Gewinnen, hohen Einkommen und Vermögen hat bei der Umverteilung zugunsten der Unternehmen und der Superreichen eine bedeutende Rolle gespielt. Der EU-Steuerkommissar Algridas Semeta schätzt die jährlichen Steuerausfälle, die die europäischen Länder durch Steuerdumping und Steuerflucht erleiden, auf 1.000 Milliarden Euro.

Wir müssen so rasch wie möglich rückverteilen. Steuern mit stark ausgleichender Wirkung – Steuern auf hohe Gewinne, grosse Vermögen und hohe Erbschaften, Steuern auf Kapitalerträge und sehr hohe Einkommen – müssen markant erhöht, Steuerschlupflöcher gestopft werden. Damit schichten wir erhebliche Geldmengen aus den Finanzmärkten in die Nützlichkeitszonen der Gesellschaft um.

Steuererhöhungen gelingen weitaus leichter, wenn erstens Steueroasen trockengelegt und zweitens international koordinierte Bemessungsgrundsätze und Mindeststeuersätze festgelegt werden. Zwar gibt es Bemühungen, einheitliche Bemessungsgrundlagen durchzusetzen und gewisse Finanztransaktionen zu besteuern. Diese Bemühungen sind aber viel zu beschränkt und zu zaghaft. Wir fordern deshalb einen europäischen Steuerpakt, der möglichst alle Länder Europas – nicht nur die EU-Mitgliedsländer – erfasst. Dieser europäische Steuerpakt soll auch als Einstieg in einen globalen Steuerpakt dienen und folgende Eckwerte umfassen:

  1. Bemessung der Unternehmens-Steuerbasis: Die Bemessungsgrundlagen der Unternehmensbesteuerung werden soweit vereinheitlicht, dass Steuervermeidung verhindert werden kann. Sonderkonstrukte wie Trusts oder Lizenzboxen werden verboten, Steuervermeidungs-Praktiken wie Transfer Misspricing oder speziell dafür errichtete Holding-Konstruktionen konsequent bekämpft.
  2. Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Einmalige Vermögensabgabe. Alle Länder führen eine regelmässig erhobene Vermögenssteuer und Erbschaftssteuern ein. Zusätzlich wird zur Bekämpfung der aktuellen Krise eine einmalige Abgabe auf alle finanzbasierten Vermögen erhoben. Die Abgabe ist in einer Weise zu verwenden, die den Bevölkerungen direkt zugutekommt
  3. Mindeststeuersätze: Mindeststeuersätze sind so festzulegen, dass Gewinne mit mindestens 30% besteuert werden. Bei Erbschaften und Vermögen werden ebenfalls Mindeststeuersätze sowie maximale Freibeträge definiert, und progressive Steuertarife werden gefördert. Für hohe Einkommen sind Spitzensteuersätze auf hohem Niveau festlegen.
  4. Steuerhinterziehung: Der Automatische Informationsaustausch zwischen den Vermögensverwaltern und den Steuerbehörden wird für Einzelpersonen und für Körperschaften durchgesetzt, Besitzverhältnisse bei Trusts, Stiftungen und weiteren Vehikeln zur Steuerhinterziehung werden gegenüber den Steuerbehörden offengelegt.
  5. Transaktionssteuer: Auf alle Finanzgeschäfte – Handel mit Devisen, Aktien und Anleihen sowie auf die davon abgeleiteten Wertpapiere („Derivatgeschäfte“) – muss eine Finanztransaktionssteuer erhoben werden mit einem Steuersatz von mindestens 0,1 Prozent.
  6. Globalisierung: Die Länder Europas engagieren sich dafür, dass ein solch neues Steuerregime auch auf globaler Ebene durchgesetzt wird.

Antrag: Die JUSO Schweiz unterstützt den Appell für einen Europäischen Steuerpakt. Wir appellieren an alle fortschrittlichen Kräfte Europas, gemeinsam für die Durchsetzung dieser Forderungen zu kämpfen. Denn ohne eine solche Wende in der Steuerpolitik ist eine Überwindung der gegenwärtigen Krisen unmöglich.