Von Barbara Keller, Geschäftsleitung der JUSO Schweiz
Unser Leben ist voller Vorschriften. Nicht all diese Vorschriften umfassen formelle Gesetze, viele sind einfach informelle Verhaltensweisen, die uns von klein auf antrainiert werden. Was passiert, wenn wir uns nicht daranhalten? Dann werden wir von der Gesellschaft bestraft: Wir werden bestraft indem wir gemieden werden, indem wir ausgeschlossen werden, indem man uns komisch anschaut oder die Leute über uns sprechen.
Es beginnt mit ganz einfachen Dingen wie Kleidung. Als Kind habe ich oft zu hören bekommen, dass meine Pullover eigentlich «Buebäpullis» sind oder ich doch auch mal ein Röckli tragen soll. Wir haben dann die Möglichkeit uns anzupassen, halt etwas engere Pullover und weiblichere Schuhe zu tragen oder wir heben uns von der Norm ab. Dies ist der konfliktreichere Weg, der oft mit unzähligen Rechtfertigungszwängen einhergeht. Spoiler: Ich trage immer noch keine Röcklis und ich mag meine grossen Hoodies.
Die Vorgaben wie wir zu sein haben endet aber hier nicht, die Gesellschaft diktiert uns wie, wo und ob wir uns als Frauen* oder Männer* zu rasieren haben, wie unsere Körper aussehen sollen: Männer* bitte mit Sixpack und Frauen* mit 90-60-90-Massen, wie dominant oder eben wie nicht dominant wir sein sollten.
Ja die Vorschriften unserer Gesellschaft reichen sogar bis ins Schlafzimmer (oder wo auch immer wir unsere Sexualität ausleben) ...
Guter Sex?
Was ist guter Sex? Wie verhält sich eine sexy Frau*? Wie verhält sich ein richtiger Mann* im Bett? Die meisten Menschen haben klare Vorstellungen davon, wie Sex aussehen sollte. Diese repräsentieren aber selten unsere eigene Meinung, sondern sind stark geprägt von einem gesellschaftlichen Idealbild. Allgemein ist die weibliche Sexualität wenig bekannt und negativ besetzt. Überspitzt ausgedrückt: Wenn eine Frau* viel Sex hat und dies auch erzählt ist sie «die Schlampe», wenn ein Mann* dies tut ist er der «coole Player.» Warum ist das so? Haben wir wirklich das Gefühl, dass Frauen* weniger Sex haben als Männer*? Ist es nicht stupid zu glauben, dass Frauen* reiner sind, wenn sie weniger Sex haben? Ich denke wir sollten überhaupt nicht urteilen, wer wie, mit wem, wann oder wie oft Sex hat.
Auch die Mainstream-Pornos zeigen ein eindimensionales Bild, das Sex als Jagd nach männlichen Orgasmen portiert. Die Frau* ist darin einzig das Objekt der Begierde. Der Mann* hingegen wird als lustversessenes Tier dargestellt, dessen Sexualität zumeist gefährlich ist. Was ist das für eine sexistische Kackscheisse? Würde ich diesem Bild glauben, wären sexuelle Handlungen nur dazu da «die Männer*» zu befriedigen. Ist er nicht! Alle beteiligten sollten Spass an einem sexuellen Akt haben, das Geschlecht spielt dabei überhaupt keine Rolle. Wenn eine weibliche Person halt dabei mal dominant ist, so what? Es killt kein Ego, wenn der Mann* halt mal unten liegt, kommt klar damit. Es killt kein Ego, wenn der Mann* mal nicht den Takt angibt. Ah ja: Auch Frauen* befriedigen sich selbst. Warum sollten wir das auch nicht tun?
Es gibt kein en «Standartsex»
Bis jetzt bin ich nur auf die Heterosexualität eingegangen und habe damit genau das gemacht, was unsere gesamte Gesellschaft macht: Ich habe die Heterosexualität als Norm genommen, weil ich selbst hetero bin und dabei jegliche andere Form der Sexualität vernachlässigt. Menschliche Sexualität ist viel mehr, als eine Frau* und ein Mann* die in der Missionarsstellung den Akt vollziehen. Doch genau dieses Bild wird uns gelehrt. Ich erinnere mich an unseren Sexualunterricht in der Oberstufe: Wir durften zwar ein Kondom mit Wasser füllen bis es platzt, was damals natürlich mega lustig war, aber einen ausgewogenen Unterricht hatten wir damals nicht. Die Lehrerin war erstens viel zu verklemmt, um mit uns wirklich offen zu sprechen und, was viel schlimmer ist: Heterosexualität wird als einzig gültige Norm angesehen und führt zur Zurückweisung jeder anderen Form der Sexualität. Ich habe damals nie etwas von schwulen, lesbischen, bisexuellen, trans*, queeren, inter- oder non-binary Menschen gehört. Ich habe nie etwas davon gehört, dass es auch möglich ist, mehrere Menschen zu lieben, überhaupt keine sexuelle Anziehung zu verspüren, mit mehreren Menschen in einer Beziehung zu sein oder sogar mit mehreren Menschen gleichzeitig Sex zu haben.
Es gab nur das eine: Mann* und Frau* haben Blümchensex im Bett. Und sonst nirgendwo. Und auch ja nicht harter Sex. Denn das ist sowieso krank; auch wenn es auf Konsens basiert. Heute weiss ich es zum Glück etwas besser ;).
Wir lieben wie wir wollen
Sexualität darf den Menschen weder vorgeschrieben noch aufgezwungen werden. Jeder Mensch sollte seine eigene individuelle Sexualität ausleben dürfen, mit der einzigen Bedingung, dass darunter kein anderes Lebewesen zu Schaden kommen darf. Lehren wir unseren Kindern, dass Sexualität und Liebe etwas unglaublich Schönes und Vielfältiges ist. Lehren wir unseren Kindern, dass Sexualität kein Tabuthema ist, dass es etwas ist, wo sich Menschen ausleben können und gemeinsam schöne Momente erleben können. Ich weiss nicht wie es euch geht, aber ich habe jetzt Bock auf Sex.
21.11.2019
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Barbara Keller