Die Linke und der Staat

09.06.2017

Was hat die Linke für ein Verhältnis zum Staat? Ist das Konstrukt Staat per se bürgerlich? Muss der “bürgerliche“ Staat zerschlagen werden? Wie vertragen sich Demokratie und Staat? An der kommenden Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 1. Juli beschäftigen wir uns mit diesen und weiteren Fragen. An dieser Stelle wird auf das Positionspapier der Geschäftsleitung „10 Thesen zum Staat“ eingegangen. Von Lewin Lempert
Der Staat hinterlässt – wie wir ihn als Linke auf den ersten Blick wahrnehmen – oft einen eher bitteren Nachgeschmack. Die Polizei hat mal wieder einen ihrer unverhältnismässigen Einsätze an der Reitschule in Bern durchgeführt, die bürgerliche Mehrheit im Parlament lässt die Bevölkerung überwachen und will Kampfjets für 14 Milliarden Franken kaufen. Man denkt dabei zu Recht: Dieses System will ich nicht.
Vergessen geht dabei manchmal, dass der Staat zwar eine rechte, also repressive, aber eben auch eine linke, also emanzipatorische Hand hat. So konnten auf der emanzipatorischen Seite essentielle Forderungen der Linken durch den Staat institutionalisiert werden (z.B. die AHV). Im Zuge der Neoliberalisierung wurden diese emanzipatorischen Seiten eher geschwächt, da die Logik der Austeritäts- und Privatisierungspolitik an vielen Orten überhandnahm. Diese Entwicklung fand aber nicht losgelöst von einer politischen Entwicklung in der Gesellschaft statt, wie beispielsweise die neoliberale Politik des “Dritten Weges“ von den Sozialdemokraten Tony Blair und Gerhard Schröder zeigt. Im Grundsatz ist ein Staat folglich Abbild der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Vereinfacht gesagt: Wenn die Rechtskonservativen und Liberalen in der Mehrheit sind, dann ist es mehr als logisch, dass sie den Staat für ihre Zwecke nutzen bzw. auch missbrauchen. Im Umkehrschluss aber gilt: Wenn die (konsequente) Linke in der Mehrheit ist, dann kann auch sie vom Potential des Staates profitieren.
Die neoliberale Globalisierung hat neben der Stärkung der repressiven Seiten eines Staates auch den Nationalstaat an sich zum Spielball der Grosskonzerne und der Wirtschaft gemacht. Die Gesetze des Nationalstaates werden durch globale Freihandelsabkommen ausser Kraft gesetzt, multinationale Unternehmen wechseln den Standort, wenn ihnen die nationalstaatliche Politik nicht passt. Der Nationalstaat ist für den globalisierten Raubtierkapitalismus kein Referenzpunkt mehr. Aber trotzdem muss die Eroberung der Staatsmacht ein linkes Ziel bleiben, da es nur durch die Organisation im Staat nachhaltig möglich ist, Raum für Alternativen zu schaffen. Und dies ist wiederum die Voraussetzung dafür, um Menschen, die eine postkapitalistische Gesellschaft anstreben, international miteinander zu vernetzen.
Bei diesen Überlegungen wird klar, dass der Staat per se nicht mit dem kapitalistischen System gleichzusetzen ist. Und genau hier liegt aber auch der Knackpunkt: Wie kann die Linke die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen? Rein auf parlamentarischem Weg funktioniert dies garantiert nicht. Es braucht ausserparlamentarische Kämpfe und eine vorangehende Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche, insbesondere der Wirtschaft. Erst so kann Emanzipation stattfinden. Denn emanzipierte Menschen sind die Voraussetzung für eine solidarische, antinationale und schlussendlich sozialistische Welt. Und erst dann ist es möglich, auch die Eigentumsfrage zu stellen. Genau darum ist das Konzept von Reform versus Revolution verkürzt. Weder ein reformistischer Weg noch eine Eintagsfliegen-Revolution kann längerfristig erfolgreich sein, gerade weil bei beiden Wegen oft die grenzüberschreitende und teilweise auch die emanzipatorische Perspektive fehlt. In einer globalisierten Welt braucht die Linke die grenzüberschreitende Vernetzung, um dem Kapital und den Interessen der Herrschenden Einhalt zu gebieten. Voraussetzung für die sozialistische Transformation ist also eine grenzüberschreitende Perspektive, eine Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche, insb. eine Demokratisierung des Eigentums.
Was aber ist eine sozialistische Transformation? Vereinfacht gesagt ist eine sozialistische Transformation ein Prozess, welcher am Ende zu einer sozialistischen Gesellschaft führt. Dies geschieht durch eine Befreiung und Emanzipation von staatlicher und wirtschaftlicher Unterdrückung mittels einer Demokratisierung aller Lebensbereiche. Dieser Prozess funktioniert auf einer ausserparlamentarischen und parlamentarischen Ebene und beschränkt sich nicht nur auf den Nationalstaat, sondern findet überall statt: Am Arbeitsplatz, in der Schule, im Sitzungszimmer, und und und! Schlussendlich bedeutet das für uns: It’s as simple as that – ran an die Arbeit!