Natascha Wey ist neue Co-Präsidentin der SP Frauen*. Im Interview erklärt sie, warum die SP Frauen* nicht Schnee von gestern sind, ihre Vorgängerinnen mehr Respekt verdient haben und Cis-Männer bei den SP Frauen* nicht Mitglied werden können.
Interview: Christine Brunner. Dieses Interview erschien ursprünglich im Infrarot Nr. 216.
Warum braucht es die SP Frauen* heute noch?
Natascha Wey: Sieh dir die Gesellschaft an! Feministische Bewegungen und ihre Anliegen sind wichtiger denn je. Solange wir nicht an einem Punkt sind, an dem die Gesellschaft geschlechtergerecht ist, stellt sich für mich die Frage gar nicht, ob es die SP Frauen* braucht. Darüber hinaus geht es auch um eine feministische Politik. Denn eine feministische Haltung ist immer systemkritisch, zumindest so wie ich sie vertrete.
Kümmert sich die SP zu wenig um feministische Anliegen?
Eigentlich möchte ich das Verhältnis zur SP gar nicht diskutieren. Die SP Frauen* sind ja Teil der SP! Als Historikerin ist es mir wichtig, den Blick auch auf die Vergangenheit zu richten. Die SP Frauen* sind immer am stärksten gewesen, wenn sie nahe bei den Bewegungen waren und wenn sie sich auch ausserhalb der Partei mit anderen feministischen Akteurinnen vernetzt haben. Das ist auch mein Ziel. Der Fokus soll nicht nur auf parlamentarischer Politik liegen, sondern sich auch wieder auf andere Realitäten richten.
Als ich in der JUSO respektive in der SP aktiv wurde, beschrieben meine Altersgenoss_innen die SP Frauen* als eine antiquierte und unorganisierte Gruppe...
Solche Aussagen machen mich wütend! Natürlich als Jungsozialist_innen habt ihr das Privileg Dinge anzuprangern, ohne genau darüber nachzudenken. Aber in Bezug auf die SP Frauen und die Frauengeschichte muss ich sagen: Habt etwas Respekt vor dem Kampf dieser Frauen! Auch wenn sie das vertreten, was junge Frauen heute nicht mehr zeitgemäss finden. Es gibt keine Emanzipationsbewegung in der Linken, die derart wichtig war. Ich bewundere diese Frauen, die jahrelang gekämpft haben und mit einer unglaublichen Geduld immer wieder die gleichen Argumente vorgebracht haben.
Gibt es trotz dieser Anerkennung auch Veränderungen, die du bei den SP Frauen* anstrebst?
Ja, zum Beispiel haben wir bereits die Geschäftsleitung erweitert. Die JUSO hat neu auch eine Vertretung. Mein Ziel wäre es, dass wir sehr viele verschiedene Frauen aus der ganzen Schweiz in der Geschäftsleitung haben. In der nächsten Zeit werden wir auch über die Organisation diskutieren müssen. Es gibt teilweise Sektionen, wo wieder Frauensektionen gegründet werden. Es sind für mich aber durchaus auch andere Arten von Netzwerken vorstellbar.
Verfolgt ihr auch schon inhaltliche Projekte?
Nächstes Jahr findet das hundertjährige Jubiläum der SP Frauen* statt. Das ist mir sehr wichtig, denn es gibt nach wie vor die Tendenz, die Frauengeschichte totzuschweigen. Das Jubiläum ist auch ein guter Anlass, um Bilanz zu ziehen, Forderungen wieder aufzunehmen und coole Aktionen umzusetzen.
Ein Ziel der JUSO ist es, die Binarität der Geschlechter zu überwinden, um die Vielfältigkeit der Geschlechter zu ermöglichen. Verfestigen die SP Frauen* letztlich nicht auch das binäre System, indem sie nicht allen Geschlechtern offenentstehen?
Mit dem Stern haben wir auch eine Öffnung für Transidentitäten gemacht. Ich mag aber die Diskussionen darüber, ob wir die SP Frauen* für Männer öffnen müssen, nicht. Das heisst ja nicht, dass Frauen nicht Politik mit Männern machen können. Es heisst einfach, dass die SP Frauen* eine feministische Gruppe sind, bei der die Entscheidungsmacht über die demokratischen Prozesse bei den Frauen liegt. Eigentlich erwarte ich von linken Männern, dass sie analytisch so weit sind und begreifen, dass es hierbei nicht um sie geht.
Aber genau dieser Ausschluss der Männer stützt ja das binäre System von Geschlecht!
Wir haben eine Gesellschaft, in der Geschlechter so stark wie noch nie normiert werden. Ich finde es sehr naiv, zu glauben, dass wir auf das Geschlecht als politische Kategorie verzichten können. Oder frei nach Hannah Arendt gesprochen: «Du kannst dich nur für das verteidigen, wofür du angegriffen wirst». Diejenigen, die denken, dass das Jahr 2016 postgender sei, sollten noch ein paar Bücher lesen. Wenn wir von Männer und Frauen reden, meine ich natürlich nicht die biologischen Kategorien – das habe ich längst begriffen! Aber es geht um Machtverhältnisse, Rollenbilder und wie wir alle davon beeinflusst sind, wie wir das Geschlecht leben.
Welche feministischen Bücher empfiehlst du uns Jungsozialist_innen?
Lest nicht nur europäische Autorinnen! Lest die Bücher von bell hooks, Chimamanda Adichie oder Roxanne Gays «Bad feminist».
15.11.2016