Mit einer „neuen“ Studie (eigentlich eine aufgewärmte Version einer Studie aus 2009) will uns der Wirtschaftsdachverband economiesuisse einreden, dass das reichste Prozent in unserem
Land immer mehr unter die Räder komme. Die Schlussfolgerung: 1:12-, Mindestlohn- oder Erbschaftssteuerinitiative braucht es nicht, denn nicht die Armen sind es, die zu leiden haben, sondern die Reichen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB hat die Studie kurzerhand auseinandergenommen und entkräftet die wichtigsten Behauptungen:
Economiesuisse behauptet: Tiefe und mittlere Einkommen wurden in den letzten Jahren durch Steuerreformen entlastet, das sei „brisant“.
Tatsächlich ist in der Schweiz die Einkommenssteuer für alle zurückgegangen. Die Prozentuale Entlastung sagt aber wenig aus: Wenn jemand mit einem tiefen Einkommen 1000 Franken Steuern bezahlte, macht eine 50%ige Entlastung 500 Franken im Jahr aus. Für einen Topmanager bedeuten 10% Entlastung schnell einige 10‘000 Franken Ersparnis.
Wenn man die realen Lebenshaltungskosten (z.B. auch Krankenkassenprämien, Gebühren, Wohnkosten etc.) und nicht nur die Einkommenssteuern einbezieht, sieht die Rechnung ganz anders aus: Die Reichsten haben massiv stärker profitiert als der Rest.
Economiesuisse behauptet: Die Einkommensschere öffne sich in der Schweiz nur „moderat“.
Auch moderat wäre zu viel, die Einkommensschere ist bereits so extrem das sie dringend geschlossen werden muss. Tatsächlich werden die Unterschiede immer grösser, dies sieht man zum Beispiel an der Lohnentwicklung: Anfangs der 90er steigen die tiefen, mittleren und hohen Löhne noch im Gleichschritt. Seit 1998 öffnet sich die Lohnschere aber immer extremer: Die sehr hohen Löhne steigen um über 21% (Teuerungsbereinigt), die hohen Löhne steigen um über 10%, während die tiefen um 2% und mittleren um rund 3% ansteigen. Das Produktivitätswachstum (wie viel eine Person im Durchschnitt mehr produziert hat) lag in derselben Zeitspanne bei 10.1%. Von der gesteigerten Effizienz können also nur die Bezüger der hohen und höchsten Löhne profitieren, während der Zuwachs bei den tiefen und mittleren Löhne äusserst deutlich unter der Schwelle von 10.1% liegt. Bezüger von tiefen und mittleren Löhnen gehören damit zu den Verlierern des Wirtschaftswachstums der letzten zehn Jahre.
Economiesuisse behauptet: Das reichste Prozent müsse einen immer grösseren Anteil an den Bundessteuern bezahlen.
Das stimmt, ist aber nur die Auswirkung der immer extremeren Lohn- und Vermögensungleichheit. Der Anteil an der Gesamtlohnsumme des höchsten Einkommensprozents ist beispielsweise zwischen 1998 und 2008 um 62% Prozent angestiegen. Da ist der Anstieg des Anteils des reichsten Prozents an den Bundessteuern von 37% auf 40% im Vergleich lächerlich klein. Auch die Tatsache, dass das reichste Prozent immer grössere Vermögen anhäufen kann (das reichste Prozent besitzt über 40% aller Vermögen in unserem Land), zeigt überdeutlich, das Mitleid mit den „armen“ Reichen völlig fehl am Platz ist.
Economiesuisse behauptet: Die Unternehmen würden immer mehr Steuern zahlen. Der Verband suggeriert, dass die Steuerbelastung der Unternehmen gestiegen sei.
Tatsache ist, dass die Unternehmenssteuereinnahmen deshalb gestiegen sind, weil die in der Schweiz versteuerten Gewinne sehr stark zugenommen haben. Die Steuerbelastung hat hingegen abgenommen. Die Steuereinnahmen von Bund und Kantonen sind deutlich weniger stark gestiegen als die Unternehmensgewinne.
Quelle: SGB, Daniel Lampart und Marco Kistler
Hier ist die gesamte Erwiderung des SGB samt Grafiken zu finden.
02.04.2012