Flavia, 21, Wettingen
„Mein bevorzugtes Pronomen ist weiblich. Worte, Adjektive, Pronomen: Sie zeigen, wie die Menschen die Welt sehen. Und ich möchte weiblich angesprochen werden.“
Flavia lässt sich in unsicheren Momenten vom falschen Pronomen aus der Ruhe bringen. Sie werden aber immer weniger. Das richtige Pronomen, der richtige Namen: Das fühlt sich für Flavia gut an. Es geht um Anerkennung einer ihrer Identitäten, die Identität als Transfrau. Flavia ist ein politischer Mensch. Sie hinterfragt Regeln und Traditionen und sie wehrt sich dagegen mit kritischen Voten. In der JUSO Aargau hat sie die Frage nach Geschlechtlichkeit neu eingebracht. Unter emotionalem Applaus hat sie sich an einer Mitgliederversammlung den alten Kolleg_innen neu vorgestellt: Flavia. Für Flavia fühlte sich das Outing in der JUSO selbstverständlich an. Flavia strebt ein vollständiges Passing an, sie will als Frau anerkannt werden. Das bedeutet für sie keine klischierte Übernahme aller weiblichen Attribute. Das schafft sowieso keine Frau, höchstens die Models im Katalog, und auch sienur mit Photoshop. Ihr Vorbild ist eine Rebellin: Pippi Langstrumpf. Flavia bewegt sich darum gerne unter lesbischen Frauen. Die Rollenmöglichkeiten sind vielfältiger. Unter Lesben gibt es buntere Arten, Frau zu sein. Flavia ist auch eine Lesbe. Lesbe beinhaltet zwei Teile: Als Frau Frauen zu lieben. Frau zu sein ist neuer, Frauen begehrt hat Flavia schon länger.
Mit ihrem Beitritt in die JUSO hat Flavia auch ein neues, offenes Umfeld kennengelernt. Das war entscheidend. Plötzlich wurde es vorstellbar, anders zu sein. Ein offeneres Klima lässt auch freiere Gedanken zu. Das Internet gab ihr die nötige Anonymität, sich zu informieren. Beschreibungen, Berichte, Artikel über andere Transmenschen helfen.
Heute wissen viele, dass Flavia trans ist. Sie braucht trotzdem immer noch jeden Tag viel Mut. „Ich erinnere mich noch, in welcher Bar ich zum ersten Mal das Frauen-WC benutzt habe. Ich musste mich bewusst entscheiden.“ Schwimmbäder wird Flavia noch eine Weile meiden.
Sie liebt die Provokation trotzdem. Sie geniesst an mutigen Tagen die Unsicherheit, die sie auslöst. Frau, Mann? Die Menschen sind überfordert, wenn sie nicht auf den ersten Blick eine eindeutige Entscheidung treffen können. Sie reagieren mit Unsicherheit, Ablehnung, Beleidigungen. Fragen wäre erlaubt. Doch gerade jene, die nichts Falsches Fragen und Sagen wollen, lassen das Fragen viel zu oft aus Vorsicht bleiben. Die Unsicherheit bekämpft sich aber nicht von selbst.
Flavia hingegen nimmt jeden Tag eine neue Hürde. Dabei muss sie immer wieder Ungeheuerliches erleben. Zum Beispiel: Für einen Personenstandsänderung muss sich Flavia sterilisieren lassen. Das ist ein massiver Eingriff in ihren Körper. Die staatlichen Behörden wollen es so. Nur weil die Administration damit überfordert wäre, wenn Flavia die Möglichkeit hätte, mit einer Frau ein Kind zu zeugen.
Wenigstens ein bisschen staatliches Glück für Flavia: Sie muss nicht ins Militär. Die Schweizer Armee hat Flavia eine Bestätigung geschickt: „Sehr geehrter Herr ...“. Es wird ihr leider noch oft passieren. Um das zu ändern, auch darum engagiert sie sich in der Politik.
Wir leben wie wir wollen!
Dieser Text ist der erste einer Serie von Portraits über junge Menschen, welche leben, wie sie wollen und damit immer wieder aus der Norm tanzen. Aus der Norm einer heterosexuellen, weissen, monogamen und männlich geprägten Gesellschaft. Mit diesen Portraits wollen wir zeigen, dass die Realität sehr viel vielfältiger, farbiger und spannender ist.
Du findest alle Texte hier.
Dies ist ein Projekt der AG Gleichstellung der JUSO Schweiz.
24.08.2015