Endlich mehr Platz für Schutz!

30.11.2022

Offener Brief an die Kantonsregierungen:

Endlich mehr Platz für Schutz!

Sehr geehrte Mitglieder der Kantonsregierungen
«Kein Platz für Schutz», das ist die aktuelle Situation in den allermeisten Kantonen. Obwohl die Schweiz 2013 die Istanbul-Konvention unterschrieben hat, mit welchem sich die Vertragsstaaten unter anderem dazu verpflichten, Gewalt gegen Frauen zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen, gewährleistet die Schweiz heute nicht den Schutz, zu welchem sie sich verpflichtet hat.

Im Juni dieses Jahres zeigte eine Umfrage der Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein (DAO), dass praktisch alle Plätze in den Schweizer Frauenhäusern belegt sind – ohne Aussicht auf eine Trendwende. Die Kantone wurden daraufhin von der Konferenz der kantonalen Sozialdirektor*innen (SODK) per Brief zum Handeln aufgefordert. Die SODK erliess bereits im Mai 2021 Empfehlungen an die Kantone zur Finanzierung und zum Betrieb der Frauenhäuser, dennoch liess das unzureichende Handeln der Kantone eine weitere Zuspitzung der Lage zu: Gewaltbetroffene Frauen und Kinder können nicht ausreichend geschützt und betreut werden. Auch für TINA-Personen (trans, inter, nonbinäre und agender Personen), die überproportional häufig von geschlechtsspezifischer Gewalt im öffentlichen und privaten Bereich betroffen sind, gibt es kaum Schutzunterkünfte. Hier besteht ebenfalls dringender Handlungsbedarf.

In den Frauenhäusern müssen immer wieder Schutzsuchende abgewiesen werden. Der Platzmangel und die Wartefristen gefährden Gewaltbetroffene zusätzlich: Jeder Tag ohne Schutz kann lebensbedrohlich sein. Es mangelt auch an personellen Ressourcen: Das Personal der Frauenhäuser ist oft überbelastet und hat zu wenig Zeit für eine umfassende Betreuung und Unterstützung der Bewohner*innen. Trotz rechtlich verankerter Handlungspflicht der Kantone zur Sicherstellung von genügend Not- und Schutzunterkünften ist die Mehrheit der Frauenhäuser in der Schweiz von Privatspenden abhängig. Die unterschiedlich geregelte Finanzierung der Frauenhäuser erschwert eine effiziente interkantonale Koordination.
Wir fordern die Kantone – und damit Sie – dazu auf, umgehend die nötigen Massnahmen zu ergreifen, um die Missstände zu beheben und Gewaltbetroffenen den ihnen zustehenden Schutz zu gewährleisten. Wir fordern Sie auf, die Verpflichtungen der Istanbul-Konvention wahrzunehmen und entsprechend dafür zu sorgen, dass die Frauenhäuser mindestens einen Platz pro 10`000 Einwohner*innen garantieren können. Weiter fordern wir Sie auf, auch vulnerablen Personen ohne festen Wohnsitz in der Schweiz und trans Frauen den benötigten Zugang zu Frauenhäusern zu gewähren. Um Planungssicherheit zu ermöglichen, sollen diese Schutzunterkünfte durch regelmässige und gesicherte öffentliche Beiträge finanziert werden, welche die Kosten für ein umfassendes Schutzangebot decken. Wir bitten Sie, diese nötige Unterstützung zeitnah und unkompliziert zu sprechen. Die Kantone müssen ihre Aufgabe endlich wahrnehmen und Frauen sowie TINA-Personen vor patriarchaler Gewalt schützen!

Freundliche Grüsse
Nicola Siegrist, Präsident JUSO Schweiz
Mirjam Hostetmann, Vizepräsidentin JUSO Schweiz
Anna-Béatrice Schmaltz, Koordinatorin 16 Tage gegen Gewalt an Frauen

Offener Brief