Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen.
Mehr! Mehr ist das Motto des diesjährigen 1. Mai. Mehr Lohn, Mehr Rente, Mehr Schutz.
Das greift mitten in die Realität der Arbeitnehmenden: Es ist die Forderung nach dem verdienten Teil des gemeinsam erwirtschafteten Wohlstandes, nach dem angemessenen Stück des Kuchens. Der Gewerkschaftsbund hat im Verteilungsbericht zum zweiten Mal klar aufgezeigt, wie dieser Kuchen zur Zeit verteilt ist: Das dickste Stück des Kuchens schneiden sich die Reichen ab und die sind nimmersatt.
Dass wir unseren verdienten Teil einfordern ist richtig. Aber reicht das?
Meine beiden Brüder und ich spielten häufig Monopoly. Während Stunden fesselte uns ein Spiel, welches nur einen Gewinner kannte. Am Schluss blieb einer übrig, der alles hatte und zwei die bankrott waren. Ein brutaler Schluss, der jeweils nach etwa zwei Stunden eintreten sollte. Unser Monopolyspiel ging aber meistens deutlich länger.
Denn sind wir ehrlich. Wer Zürich Rennweg, Zürich Paradeplatz, Luzern Weggisgasse, Bern Spitalgasse, Basel Freie Strasse und allenfalls als Manöveriermasse auch noch Aarau Rathausplatz besass, der hatte eine grosse Freude am Spiel. Für diesen hätte das Spiel noch ewig weitergehen können. Das tat es nicht. Denn zum Spielen braucht es mindestens Zwei.
Es war zwar verkraftbar, wenn einer der Brüder ausschied, aber spätestens, wenn auch noch der andere zum zweiten Mal auf Zürich Paradeplatz mit Hotel landet, drohte das Spiel zu Ende zu gehen. Das Immobilienimperium verschwand mangels potenzieller Kunden, wieder in der Kartonschachtel.
Wie gesagt, bei uns dauerte das Spiel jeweils deutlich länger. Denn dann, wenn sich eigentlich ein Ende abzeichnete, tat einem der noch verbleibende Bruder plötzlich etwas leid. Man erliess ihm einen Teil der Schulden, begnügte sich allenfalls mit einer Seilbahn als Entschädigung oder unterstützte ihn gar mit ein paar tausender vom eigenen Spielgeld. Damit blieb einem zumindest ein Mitspieler erhalten, die eigene Macht existierte weiterhin, Monopoly konnte in eine weitere Runde gehen.
Wir fordern mehr Rente, Lohn und Schutz. Wir kreiden die ungerechte Verteilung an und das ist richtig, aber es keine Forderung um zu verharren.
Die ungerechte Verteilung ist nicht die Konfliktlinie auf der wir kämpfen sollten. Denn damit kämpfen wir um einzelne Spielkarten, aber nicht um die Spielregeln, nicht um das Spiel überhaupt.
Die Millionäre, die sich in den USA, aber auch in Deutschland, plötzlich dafür einsetzen, dass sie mehr Steuern bezahlen können, die Regierungen die entgegen ihren Grundsätzen in den Markt und in den Wettbewerb eingreifen, die teilweise sogar noch höhere Steuern für Superreiche einführen, die tun das alles nicht, weil die Verteilung ungerecht ist, die tun das weil ihnen sonst über kurz oder lang die Mitspieler ausgehen.
Denn spätestens dann, wenn selbst in den westlichen Länder die Armut so gross ist, dass eine grosse Mehrheit sich nicht mehr um irgendwelche Extras kümmert, sondern sich Sorge machen muss um ein Dach über dem Kopf, wenn sich eine Mehrheit nur noch mit Lebensmittelhilfen das tägliche Überleben sichern kann, wie das bereits bei jedem siebten Amerikaner der Fall ist, spätestens dann ist Ende Sendung.
Und deshalb stelle ich die Frage: Ist all diesen Leuten geholfen, wenn der Mitspieler einfach mal wieder einen tausender rüber schiebt? Oder der Staat dann und wann mit Privatisierungen über Wasser gehalten werden kann? Ja, es ist ihnen geholfen, aber nur kurzfristig. Ja, wir müssen für eine gerechte Verteilung kämpfen, aber das darf nicht unsere politische Perspektive sein.
Der Kampf, den wir führen müssen, ist nicht, mehr von den dreckigen Geschäften der Banken zu kriegen. Der Kampf muss sein, die dreckigen Geschäfte der Banken zu stoppen.
Denn wir müssen uns bewusst sein: Auch dort, wo unsere aktuellen oder künftigen Renten und Löhne herkommen, findet die Ausbeutung statt. Es ist die Ausbeutung der Schweizer Bevölkerung, aber insbesondere auch die Ausbeutung von Menschen in anderen Ländern.
Die Finanzierung der Renten über die Pensionskassen und damit über die Kapitalmärkte macht uns nämlich alle zu unfreiwilligen Komplizen der Ausbeutung. Komplizen von einem System, das sich immer neue Felder erschliesst, weil sie andere bereits als verbrannte Erde zurückgelassen hat. Am besten zeigt sich diese Entwicklung bei den NahrungsmittelnSchweizer Hedgefonds, Schweizer Banken, aber auch Schweizer Pensionskassen haben seit dem Strudeln des Aktien- und Immobilienhandels begonnen, intensiv mit Nahrungsmittel zu spekulieren. Sie wetten auf steigende oder sinkende Kurse, sie wetten und wetten, ohne dass sie je eine Interesse daran haben, überhaupt ein Mais- oder Reiskorn zu besitzen. Die Kosten dieses Spiels sind beträchtlich: Seit dem Jahr 2000 sind die Preise für Grundnahrungsmittel um 150% gestiegen. Wir in Schweiz geben nur 15% unseres Haushaltsbudgets für Nahrungsmittel aus. Das ist nicht viel. Und das heisst deshalb, dass wenn wir allenfalls merken, dass deshalb der Bierpreis etwas steigt, der Kaffeepreis mal in exorbitante Höhen schnellt und wieder runterkracht oder sich der Bäcker beklagt, dass die Marge für sein Brot etwas kleiner wird, dann merken das Millionen andere Menschen in ihren Mägen.
Wäre die Welt zu Gast im Kanton Aargau, hätten wir hier durchschnittliche Verhältnisse, dann würden hier jedes Jahr 800 Menschen verhungern. 93'000 Aargauerinnen und Aargauer wären unterernährt. Und das nicht zuletzt um unsere Pensionskassen und den Reichtum unserer Milliardäre zu finanzieren.
Denn wenn die Preise für Grundnahrungsmittel um 1% steigen, dann hungern 15 Millionen Menschen mehr auf diesem Planeten. Jährlich sterben 8.8 Millionen Menschen an Hunger. Und wie Jean Ziegler richtig sagt: Sie sterben nicht einfach so, sie werden umgebracht. Nicht zuletzt von unseren Banken, unseren Hedgefonds, unseren Pensionskassen.
Und da frage ich euch liebe Kolleginnen und Kollegen.
Können wir hier bei unserem nationalen Kampf für einen grösseren Anteil vom Kuchen verharren?
Das kann nicht die Lösung sein. Wir müssen das perverse System zurückdrängen. Von der Spekulation auf Nahrungsmittel, über Rohstoffe, Firmen und damit Arbeitsplätzen, bis hin zu Immobilien. Wir müssen die Sümpfe und Kloaken dieses Systems trocken legen. Wir müssen die Spielregeln des Spiels ändern.
Es reicht deshalb nicht, höhere Steuern für Reiche zu fordern, die intelligenten Marktradikalen haben längst gemerkt, dass das auch in ihrem Interesse ist.
Es muss uns bewusst sein, dass so viel wir auch immer kriegen mögen im Brettspiel des Kapitalismus: Es bleiben die Almosen jener, die alles haben, jener die noch ein paar Dumme brauchen die mitspielen, weil sonst ihr Spiel zu Ende wäre. Wir wollen nicht nur mehr vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei. Der Fehler, den die Linken in Europa und in der Welt machten ist grundlegend. Es ist der Fehler mitzuspielen. Liebe Kolleginnen und Kollegen: Es ist Zeit für Game Over.
Mehr Lohn, mehr Rente, mehr Arbeit für alle auf diesem Planeten, geht nicht mit diesen Spielregeln. Mehr! muss für uns bedeuten: mehr vom Anderen, mehr von den Alternativen, Mehr von den Menschenrechten, mehr Solidarität und ganz wichtig: mehr Demokratie. Und zwar eine Demokratie in allen Lebensbereichen: sei es Wirtschaft, Gesellschaft oder Politik. Und dieses Mehr bedeutet eben auch weniger vom jetzt Existierenden: Es bedeutet: Schluss mit der Macht der Finanzmärkte, Schluss mit der Macht der Superreichen und ihren politischen Vasallen, Schluss mit Gewalt und Krieg als politisches Instrument. Es bedeutet letztendlich: Schluss mit diesem alles zerstörenden Spielbrett namens Kapitalismus. Legen wir das Monopoly zurück in die Schachtel und werfen wir es in den Schrank der Geschichte. Es lebe der 1. Mai!