Gefängnissystem: Solidarität und Unterstützung statt Vergeltung

21.10.2020 - Simon Constantin

Welche Partei in diesem Land kann behaupten, eine ausführliche und detaillierte Position zum Thema Gefängnisse zu haben? Abgesehen von einigen Rechten, die die Vision einer ultra-repressiven Polizei verfolgen. Dabei die 99% spalten und die Täter*innen von Kleinkriminalität brandmarken und aus der Gesellschaft ausschliessen wollen. Kurz: Keine Partei sich damit rühmen das Thema konsequent durchdacht zu haben.

Die JUSO hat mit dem Positionspapier „Gefängnissystem: Schutz statt Repressalien“ seine Arbeit getan und eine Position entwickelt, von der wir hoffen, dass sie die Vorschläge der Schweizer Linken zu diesem Thema prägen wird. Besonderen Fokus legen wir dabei auf die Themen Freiheitsentzug im Allgemeinen und die Haftbedingungen in Gefängnissen.

Das Ziel des Freiheitsentzugs ist es, eine faire Strafe für alle zu verhängen, im Gegensatz zu einer Geldstrafe, die die Reichen und die am stärksten benachteiligten Menschen auf unterschiedliche Weise betrifft. Das derzeitige Rechtssystem ist jedoch bei weitem nicht fair, geschweige denn egalitär. Um dies zu realisieren, reicht es, sich die demografische Statistik der Menschen im Gefängnis zu betrachten. Menschen aus benachteiligten Klassen oder mit Migrationshintergrund sind viel häufiger als andere im Gefängnis. Dies ist das Ergebnis des neoliberalen Systems, in dem es sich die Reichen leisten können, ihre Freiheit zu kaufen, während die Ärmsten gezwungen sind, die maximale Zeit im Gefängnis oder in Untersuchungshaft zu verbringen. Diese Klassengewalt wurde von Philippe Poutou, dem radikalen linken Kandidaten bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2016, bestmöglich zum Ausdruck gebracht. Während einer Fernsehdebatte griff er Marine Le Pen und François Fillon an. Beide waren im Fokus gerichtlicher Ermittlungen und hatten ihre gerichtliche Vorladung einfach ignoriert: „Im Gegensatz zu Ihnen haben die Arbeiter*innen keine Immunität. Wenn wir von der Polizei vorgeladen werden, gehen wir; wir können nicht anderst. ". Ebenso können sich die Reichen die Dienste der besten Anwält*innen leisten, während andere sich die Dienste von Anwält*innen oft überhaupt nicht leisten können. Schliesslich sind die Inhaftierten gezwungen, für spöttische Löhne zu arbeiten und dies sogar über das Rentenalter hinaus.

Ist es überraschend, dass die soziale Herkunft einen so großen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Inhaftierung hat? Nicht wirklich, denn wenn wir an Kriminalität denken, denken wir eher an den kleinen Dieb, den ausländischen Verbrecher oder den Sozialversicherungsbetrüger als an einen Banker oder an jemanden, der Steuern hinterzieht. Dazu gibt es Steueramnestien, aber es gibt keine Amnestie für die, die geringfügige Verbrechen begangen haben: Die Verbrechen der Besitzenden werden viel weniger hart beurteilt als die Verbrechen der Arbeiter*innenklasse. Der Grund, warum die Gefängnisbevölkerung so ist, wie wir sie kennen, beruht auf dieser Tatsache: Die Armut begünstigt Kriminalität, und die Gewinner*innen des gegenwärtigen Systems prägen unser Rechtssystem.

Gefängnisse werden vom aktuellen System aus drei Gründen gerechtfertigt: als Vergeltung, zur Abschreckung und zum Schutz der Gesellschaft. Während das Gefängnis effektiv als Repression dient, erreicht es die anderen beiden Ziele nicht. Erstens hat die Inhaftierung dramatische Auswirkungen auf die Psyche der Inhaftierten. Inhaftierte Menschen werden darauf sozialisiert, im Gefängnis zu überleben und nicht wieder ein friedliches Leben in der Gesellschaft anzustreben. Die hohe Rückfallrate, ist ein guter Indikator für dieses Versagen: Je repressiver und weniger integrativ das Gefängnissystem ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Insassen nach ihrer Freilassung in die Kriminalität zurückfallen. Die abschreckende Wirkung ist dadurch widerlegt.

Ebenso sind Gefängnisse nicht wirksam um die Gesellschaft zu schützen. Erstens, weil es nicht möglich ist, ein Individuum während seines gesamten Lebens zu 100% von der Gesellschaft auszuschliessen, und zweitens, weil der Schutz der Gesellschaft nicht die Inhaftierung eines Menschens für einige Jahre und seine Wiedereingliederung bedeutet. Der Schutz der Gesellschaft erfolgt durch die soziale Wiedereingliederung von Menschen und durch den Zugang zu einer lohnenden Berufsausbildung, die es ermöglicht, in Würde zu leben.

Was schlägt JUSO in diesem Positionspapier vor? Eine humane Gefängnispolitik mit Schwerpunkt auf der sozialen Wiedereingliederung von Inhaftierten, psychologischer Betreuung und ein egalitäreres Justizsystem. Die Privatisierung von Gefängnissen muss vehement bekämpft werden: kein Gewinn mit unserem Justizsystem! Die JUSO fordert auch eine Lockerung der oft dramatischen Bedingungen der Untersuchungshaft, wie zum Beispiel der völlige Entzug des Kontakts mit der Aussenwelt, der Arbeitsunfähigkeit und der Erlaubnis, seine Zelle nur für eine Stunde pro Tag zu verlassen. Darüber hinaus kann die Untersuchungshaft derzeit auf unbestimmte Zeit verlängert werden, was zur Inhaftierung von Personen führt, die noch nicht verurteilt wurden und daher als unschuldig gelten. Schliesslich müssen die Arbeitsbedingungen im Gefängnis radikal verbessert werden. Die Arbeit von Gefangenen ist heute obligatorisch und oft weder interessant noch qualifiziert. Darüber hinaus lässt die Arbeit im Gefängnis nicht einmal genug Ersparnisse zu, um nach der Entlassung aus dem Gefängnis zu überleben, da eine Ersparnisgrenze von rund 600 Franken festgelegt ist.

Kurz gesagt, das Leben im Gefängnis sollte sich nicht zu stark vom Leben in der Gesellschaft unterscheiden, um eine optimale Wiedereingliederung der Inhaftierten zu ermöglichen und so eine sicherere, gerechtere und egalitärere Gesellschaft aufzubauen.