Als Kampfhomo habe ich bisher - kaum aus Geschicklichkeit, hauptsächlich aber wegen blindlings rechtstreuem Handeln - kaum mit JuristInnen zu tun gehabt. Nach folgendem Drama bleibt mir nur noch das Zitieren: "Nie hat ein Dichter die Natur so frei ausgelegt, wie ein Jurist die Wirklichkeit."
Gerne bemühe ich Herrn Freytag und seine Dramaturgie des Dramas, um die folgenden Geschehnisse wahrheitsgetreu zu schildern. Er wusste anno 1863, was MarxistInnen - den Seitenhieb mögen mir die LeserInnen dieses Blattes verzeihen - noch heute behaupten: Das Geschehen ist determiniert. Nur, ob es im Drama oder Freiheit endet, scheint noch offen.
Exposition: „Achtung Männer, Tunten-Falle!"
Am 24. Juni 2010 konsultierte ein Genosse eher zufällig ein Exemplar des Blick Am Abend, um sich in der Rubrik Mode & Beauty die neusten Tipps für das perfekte Tuckenstyling zu holen. Auf einer Doppelseite dann wurde er prompt bedient: Auf der einen Seite die Kategorie „cool": Hier die Kleidungsstücke, die ein „Mann bedenkenlos tragen kann". Auf der anderen Seite, in Pink, die Kategorie „schwul": Schnell als „Tunten-Falle" demaskiert, warnt uns die ehrbare „Journalistin" vor „Leuchtfarben, die an die Rainbow-Flagge erinnern", „glattrasierten Beinen" und „aufgesetztem und „manieriertem" Erscheinen - so, wie man die Schwulios in Zürich halt kennt, nicht wahr.
Steigende Handlung: „Medienethik, bittebätti!"
Erwähnter Genosse fühlte sich trotz den gutgemeinten Ratschlägen etwas diskriminiert. Nicht nur, weil seine Beine nicht rasiert sind (höchstens ein bisschen gestutzt, im Sommer halt) - er findet auch, die konträre Darstellung von „cool" und „schwul" sei dann doch tendenziös, sowohl implizit (mit Farben oder Layout) oder auch explizit (Titel, Texte, Vergleiche) von fiesen Vorurteilen durchtränkt und selbst für den Blick ausgesprochen dumm.
Wir - die GaynossInnnen, eine lustige Gruppe von Queers und Tunten aus der JUSO Schweiz - nahmen Kontakt mit der „Journalistin" auf, ebenso Pink Cross, die Schwulenorganisation. Die Reaktion war nicht sehr freundlich. Also entschieden wir uns, beim Presserat Beschwerde einzureichen (Punkt 8: Respektieren der Menschenwürde). Dieser antwortete dann prompt sechs Monate später und informierte uns darüber, dass eigentlich niemand auf die Beschwerde eintreten will. Da dies laut Statuen zwei Mitglieder des Rates trotz Präsidiumsentscheid verlangen können, bringt uns zum Höhepunkt des Dramas.
Höhepunkt: „Homophober Verfolgungswahn, Herr Vock!"
Der Presserat verlangte also vom Blick Am Abend eine Stellungnahme. Was für ein Meisterwerk juristischer Recherchearbeit. Was für ein kreatives Unding, eine Krampfader auf dem Schenkel der Germanistin und in den Ohren des vernunftdenkenden Wesens. Ganz offensichtlich gehört Herr Dr. M. Schwaibold (Name den LeserInnen jetzt bekannt) nicht dazu. Auf unsere einseitige Beschwerde folgen neun Seiten Text aus Zürich. Zwischenfrage: Werden JuristInnen nach Wörtern bezahlt?
Mit vierzehn Argumenten will er unsere Behauptungen in den Boden stampfen und ganz ehrlich, er hatte wohl einen Juristen-Orgasmus beim Verfassen dieses Textes. Ich habe mir erlaubt, die Argumente für die LeserInnen etwas aufzuschlüsseln. Die Argumente 1, 2, 3, 7, 8 und 13 dienen einzig dazu, hauptsächlich mich als Person, aber auch den Presserat mit seinen Mitgliedern persönlich zu diffamieren. Schliesslich handelt es sich bei den GaynossInnen auch um nicht mehr als eine „Alibi-Bezeichnung Herrn Vock". In Nummer 3 schafft er beides gleichzeitig. In den Argumenten 4, 5 und 14 wird behauptet, dass wir mit unsere Beschwerde völlig, aber wirklich so etwas von völlig falsch liegen. Dies aber ohne Begründung. Zuletzt bleiben noch die Argumente 6, 9, 10, 11 und 12, wo der Herr Jurist wohl sein abgebrochenes Germanistik-Studium und sein Wissen über Mode und Erziehung zu Rate zieht, um unser „gestörtes Verhältnis zu dem Begriff der Diskriminierung" und unsere „radikalsexuellen Extrempositionen" zu begründen. Wenigstens gibt er zu, es handle sich um einen „pseudogermanistischen Diskursprobelauf".
Ich muss trotzdem eingestehen: Er hat in vielem Recht. „Angesichts der ohnehin von Homosexuellen dominierten Modeszene ist es ja besonders absurd, diese Thematik auch noch beschwerdeweise aufzugreifen." Stimmt. Ich verstehe ihn auch, wenn und seine Ehefrau darauf achten, „bei den eigenen Söhnen nicht durch Farbenvielfalt allenfalls falsche Signale aussenden zu lassen, die in einem bestimmten Empfängerhorizont missverständlich aufgefasst werden könnten." Das verstehen wir doch, wer will schon schwule Söhne, das ist ja wie Pest oder so. Die ficken sich ja in den Arsch, voll eklig!
Aber: Das bekräftigt unsere Argumentation der Diskriminierung aufgrund zahlreicher Vorurteile wohl eher, oder? Gerade nach seinen seitenlangen Ausführung über die deutsche Sprache, die Vielseitigkeit von Begriffen und der Konnotation der Wörter möchte ich gerne auf seine lackierten Schuhe kotzen (wohl eher masturbieren, schliesslich bin ich radikalsexuell), wenn ich lese: „Im Übrigen ist es ganz einfach: Cool und schwul reimen sich. Nur darum ging es. Es ist in Wirklichkeit ein simpler Reim." Er schafft es aber, mich ruhiges Gemüt noch weiter zu erzürnen. Spätestens auf Seite 7 möchte ich ihn dann endgültig in einem Darkroom an den Pfosten fesseln: „Mit Diskriminierung hat das nichts zu tun, auch wenn das abgebildete Mannsbild [ein Model im Artikel] allen gängigen Kriterien eines Schwulen entsprechen dürfte." Ja genau, die gängigen Kriterien. Fresse Alter!
Fallende Handlung und Katastrophe: „Erlauchtes Gremium?"
Was jetzt noch folgt, kann nur ein Trauerspiel sein. Die Kritik an der Medienlandschaft überlasse ich den ExpertInnen. Egal, wie der Presserat entscheidet. Auf den Presserat hört sowieso niemand. Trotzdem wäre es ganz schön, wenn er unserer Beschwerde zustimmt. Dann würde wenigstens dieser Rat beweisen, dass er ein Rückgrat hat. Ändern wird sich aber so oder so nichts. Blick Am Abend findet es geil, so dumm zu sein. Schade nur, dass sie sich ihre Dummheit nicht eingestehen können.