«Ich will eine handlungsfähige YES, welche die internationale Politik beeinflusst.»

07.03.2017

Andrea Scheck ist seit Sommer 2015 internationale Sekretärin der JUSO Schweiz. An der Jahresversammlung im März 2017 tritt sie von ihrem Amt zurück – und kandidiert als Vize­Präsidentin der Young European Socialists.
Interview: Ramina Wakil & Dario Schai
Andrea, warum kandidierst du als Vize-Präsidentin der Young European Socialists (YES)?
Andrea: Als internationale Sekretärin war die YES das Kernstück meiner Arbeit, mein Herzblut. Es gibt heute niemanden in der JUSO, der sie besser kennt – und niemanden, der sie stärker kritisiert. Geheimabsprachen, Machtkämpfe, Sitzungsboykotte, Tränen und Rumgeschreie – während der letzten zwei Jahre in der YES habe ich vieles gesehen. Aber ich habe auch eine YES kennengelernt, die geniale Debatten führt, in der brillante junge Menschen ihr Wissen weitergeben, sich gegenseitig empowern und eine echte Vision für Europa aufbauen. Die YES ist meine Internationale und ich will Verantwortung dafür übernehmen, dass sie ihr Potential ausschöpft.
Falls Du gewählt wirst, wofür möchtest du dich besonders einsetzen?
Inhaltlich würde ich gerne zum Feminismus arbeiten, weil uns die YES in diesem Bereich extrem beeinflusst hat. Sie hat die JUSO zur Selbstkritik gezwungen, als Feminismus bei uns noch nicht wirklich präsent war, uns neue Ideen gebracht und unsere Entwicklung zu einer feministischen Partei angetrieben.
Strukturell will ich eine handlungsfähige, selbstständige YES, welche die internationale Politik regelmässig mit Projekten beeinflusst. Dazu muss sie die Basismitglieder in ihren Mitgliedsorganisationen direkt erreichen, zum Beispiel mit langfristigen Kampagnen und Aktionen, mit Arbeitsgruppen und hochwertigen Bildungsseminaren.
Wo gibt es Unstimmigkeiten zwischen der JUSO Schweiz und der YES?
Manche Mitgliedsorganisationen sehen die YES als eine lockere Verbindung, in der man Leute kennenlernen, networken und die eigene Karriere starten kann. Sie zetteln Machtkämpfe an oder politisieren aus persönlichen Vendetten und es wirkt, als würden sie Politik « spielen ». Mit diesem kindischen Verhalten kommen sie heute aber nur durch, weil es so wenige basisdemokratische Strukturen und Transparenz gibt. Wenn die Basis mehr Einblick in die Gremien hätte, würden sie sich kontrolliert fühlen und konstruktiver arbeiten.
Wird die Kritik der JUSO Schweiz in der YES wahrgenommen?
Zwar ist die JUSO nicht allein mit ihrer Kritik, doch einige Mitglieder der YES halten ihre Funktionsweise, ihre Strukturen und ihre Präsenz in der internationalen Politik heute für ausreichend. Sie reagieren entsprechend unwillig auf Änderungen und es ist oft schwierig, sich das nötige Gehör zu verschaffen.
Der letzte Kongress der YES fand 2015 in Winterthur statt. In deinem Nominierungsschreiben sprichst du von Enttäuschung und Frustration nach dem Kongress. Warum?
Die YES war extrem zweigeteilt in ihre Fraktionen; die « Linken » und die « Moderaten ». Es gab Blockabstimmungen, Wahlabsprachen und oft basierten die Entscheidungen auf persönlichen Sympathien. Das war für uns ein Schock, denn wir politisieren ganz anders. Wir haben daraus gelernt und verstehen das System der YES heute besser als vor zwei Jahren – auch wenn es noch viel Arbeit brauchen wird, um die Fraktionssituation zu lösen.
Welche Themen soll die YES in den nächsten zwei Jahren ansprechen?
Migration, Steuerflucht und die Vorbereitung der EU-Parlamentswahlen 2019.
Warum ist eine internationale sozialistische Jugendbewegung wie die YES wichtig?
Der Kapitalismus kümmert sich nicht um Grenzen, er wirkt global. Egal, ob es um die Migration von Menschen, von Unternehmen oder von Steuergeldern geht – man kann für gewisse Fragen im nationalen Rahmen keine wirklichen Antworten finden. Dazu braucht es internationale Strukturen, damit wir nicht nur schöne Theorien und Scheinlösungen schaffen.
Diese Arbeit für eine bessere Welt mit anderen Jugendlichen anzugehen, ist naheliegend: In der JUSO sehen wir, dass junge Leute weniger an gewohnte Strukturen gebunden sind, radikalere Pläne formulieren und einander ernster nehmen. Genauso ist es wichtig, als junge Menschen Verantwortung zu übernehmen und die Welt mitzugestalten.
Die Wahlen in der YES waren bisher geprägt von geheimen Absprachen. Hast du überhaupt Wahlchancen?
Ich hoffe schon! Die JUSO hat sich in den letzten zwei Jahren in der YES bewiesen und ich konnte Leute von meinen Fähigkeiten überzeugen. Auch ohne Wahlchancen würde ich kandidieren. Eine Kandidatur soll politisch sein, primär geht es um die Botschaft und nicht die Wahl selber.
Von der Jugendbewegung zur Sozialistischen Internationalen (SI): Die SI ist heute geprägt von Korruption, Postenschacher und politischer Bedeutungslosigkeit. Die SP Schweiz und 30 weitere Organisationen werden am nächsten Kongress voraussichtlich rausgeworfen, weil sie unbequeme Fragen stellen. Hat der Internationalismus versagt?
Die Probleme der SI sind nicht unbedingt neu, auch wenn sie erst jetzt plötzlich in der SP thematisiert werden. Dem liegt nicht das Versagen des Internationalismus zugrunde; man hat ganz einfach zugelassen, dass die falschen Leute zu viel unkontrollierte Macht an sich reissen. Daran ist niemand anderes Schuld als die Mitgliedsorganisationen, die nicht früher aktiv wurden, Defizite ansprachen und Initiative zeigten. Ich glaube es ist wichtig, am nächsten SI-Kongress einen Aufstand zu machen – ein Reformprogramm schreiben und diesem mit Kampfkandidaturen und Anträgen Gehör verschaffen. Damit wird man keinen Erfolg haben, aber man zeigt eine Gegenvision. Der nächste Schritt wäre der Rückzug in eine funktionierende Internationale, wie die « Progressive Allianz » – und die nötige Mitarbeit, damit diese nicht denselben Weg einschlägt wie die SI.
Und zum Schluss: Wie kann man sich als JUSO-Mitglied in der internationalen Arbeit engagieren?
Man kommt in die Arbeitsgruppe Internationales! Wir sind eine sehr lockere und gut befreundete Truppe – wir treffen uns zu Sitzungen, diskutieren und reisen an internationale Veranstaltungen im Ausland. Jedes JUSO-Mitglied kann bei uns mitmachen, es reicht eine Nachricht an mich bzw. meine Nachfolge als internationale_r Sekretär_in.