In der Geiselhaft der Hungermacher

18.02.2015

Manchmal beschert einem der Zufall symbolträchtige Momente. Gestern Mittwoch war so ein Datum. Da meldet sich der Chef der grössten Schweizer Bank, Sergio Ermotti, just an dem Tag effektvoll zu Wort, um eine Überregulierung seiner Branche zu beklagen, wie der Bundesrat beschliesst, die Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Der SVP-Präsident jubiliert und verspricht, dem UBS-Diktat Folge zu leisten. Man fühlt sich einmal mehr bestätigt: Pfeift der Finanzplatz, dann rennt die Politik.
Seit Jahren zockt die Finanzindustrie inzwischen schon ungestört. Und während nach der Krise von 2008 die Zeichen noch auf Regulierung standen, ist davon heute nicht mehr viel zu spüren. Auch sechs Jahre nach der UBS-Rettung wehrt sich die Banken-Lobby im Parlament aktuell sehr effektiv gegen eine wirksame Aufsicht im Rahmen des Finanzdienstleistungsgesetzes. Dabei wären klare Spielregeln bezüglich der spekulativen Tätigkeit der Finanzindustrie dringend notwendig. So weisen zahlreiche Studien, von der ETH über die Weltbank bis zur Uno, eindrücklich darauf hin, welchen Schaden die Spekulation auf den Weltmärkten angerichtet hat. Die Zusammenfassung: Spekulation führt zu Volatilität. Und Volatilität zu Blasenbildung und damit zu einem unkontrollierten Auf-und-ab der Preise. Dies ist volkswirtschaftlich immer schädlich. Im Bereich der Agrarrohstoffe ist es aber tödlich.
Konkret: Heute hungern nach wie vor rund 805 Millionen Menschen auf unserem Planeten, davon 300 Millionen Kinder. Nach wie vor verhungert alle 3.6 Sekunden ein Mensch. 2008/09 kam es in Folge der Preisblase für Grundnahrungsmittel zu unzähligen Hungerrevolten weltweit. Die Journalistin Charlotte Wiedemann beschrieb deren Wirkung wie folgt: «Es ist der Hunger selbst, der revoltiert. Er bemächtigt sich der Menschen, lässt ihnen keine andere Wahl, als um sich zu schlagen. Ein dramatisches, bebendes Wort; es nimmt denen, auf die es gemünzt wird, leicht ihre Würde, macht sie zu blossen Opfern, zu Getriebenen auf dem primitivsten Niveau menschlichen Aufbegehrens».
Wie passt da Sergio Ermotti ins Bild? Gemäss Schätzungen von AllianceSud verfügte die UBS 2013 über Fonds im Bereich Aggrarrohstoffe in der Grössenordnung von mehr als 350 Millionen Franken. Auf dem ganzen Schweizer Finanzplatz waren es 2013 fast 6.5 Milliarden. Arbeitsplätze schafft diese Spekulation mit Nahrungsmitteln weder in der Schweiz noch sonst wo. Aber sie beschert der Finanzindustrie astronomische Gewinne – auf Kosten der Ärmsten dieser Welt.
Die Spekulationsstopp-Initiative bietet die Möglichkeit, die verbrecherischen Aktivitäten von UBS und co. zu stoppen. Während in den USA und in der EU bereits erste Regulierungsgesetze beschlossen wurden, hinkt das Banken-Land Schweiz weiter hinterher. Der Bundesrat hat gestern bewiesen, dass er nicht willens ist zu reagieren. Auch das Parlament befindet sich nach wie vor fest im Würgegriff der Hungermacher. Es wird wohl am Volk sein zu handeln. Wenn wir dem Welthunger endlich wirksam entgegentreten wollen, stoppen wir die Spekulation auf Nahrungsmittel als widerlichste Form der Profitmacherei und befreien uns aus der Geiselhaft der Spekulanten – in der Schweiz und weltweit.
Zur Erinnerung: Während der Lektüre dieses Textes, sind bereits wieder rund 30 Menschen verhungert.