Rede von Tamara Funiciello zum 1. Mai

02.05.2017

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen
Als die Titanic losfuhr 1912, galt sie als unglaublich fortschrittlich und setzte neue Massstäbe des Reisekomforts – zumindest wenn man in der 1. Klasse reiste. Zudem galt sie als unzerstörbar.
Tja, wir kennen alle die Geschichte, nicht zuletzt wegen der wahrscheinlich dramatischsten Verfilmung der Filmgeschichte, mit Rose und Jack und diesem dämlichen Stück Holz, das gross genug gewesen wäre für 2, aber anyway – die Titanic ging schon auf ihrer Jungfernfahrt unter. Sie gilt als eine der grössten Katastrophen der Seefahrt.
Nun fragt ihr euch wahrscheinlich, was zur Hölle das mit einer 1. Mai Rede zu tun hat, wo doch sonst alle von Klassenkampf reden und ich von Leonardo di Caprio. Verständlich.
Aber das politische Umfeld, in dem wir leben, hat viel mit der Titanic zu tun. Das System in dem wir uns befinden, ist nämlich auch dem Untergang geweiht – und nicht nur das, es ist bereits am Untergehen. Und die Organisationen in diesem Land, benehmen sich, als wäre es nicht so.
Der Freisinn sitzt nach wie vor am Steuer, unterhält sich mit dem reichsten Prozent der Bevölkerung und erzählt munter, dass alles gut sei, dass dieses System gar nicht untergehen kann. Die Digitalisierung wird sich für alle lohnen, dass Fabriken wegziehen, das ist eben Strukturwandel, und dass dabei Menschen ihre Existenz verlieren – ja, das ist dann halt so.
Auf dem Deck der Titanic sitzt die SVP. Obwohl das Schiff sinkt, spielen sie nach wie vor unglaublich laute, mühsame Musik. Es löst zwar kein einziges der Probleme, die wir haben, es hat auch mit keinem der Probleme zu tun, die wir haben, aber irgendwie hören ihnen trotzdem alle zu.
Und die Linken? Ja, viele der Linken haben nach wie vor das Gefühl, dass wir um diesen Ice Berg rumkommen. Aber das geht nicht. Pflaster reichen nicht, um das Loch zu flicken in unserem Bug. Das Wasser läuft rein.
Wir leben in einem System, der wachsenden Ungleichheit. Wir leben in einem System, das auf Konkurrenz zwischen den Menschen, Unternehmen und Nationen basiert – und uns wird noch gesagt es sei gut so. Wir leben in einem System, in dem 1% mehr besitzt als die 99% zusammen. Und dieser Reichtum gibt ihnen die Macht über andere Menschen zu entscheiden. Sie entscheiden, was mit unseren Arbeitsplätzen passiert, sie entscheiden, wie viel wir verdienen, sie entscheiden, wie lange wir arbeiten und ob wir frei haben. Sie schmeissen uns aus unseren Wohnungen um sie zu «sanieren» und noch teurer zu vermieten– und ich frage mich ist das die Gesellschaft, die wir wollen?
Nun liebe Menschen, ich finde nein. Ich bin der Meinung, es ist an der Zeit, ein neues Schiff zu bauen. Ein Schiff, in dem es keine Klassen gibt und die Tickets keinen Profit abwerfen müssen, in dem wir gemeinsam entscheiden, wo wir hinsteuern, statt es dem reichsten Prozent zu überlassen. Ein Schiff ohne Leck, in einem Gewässer ohne Eis Bergen. Ein Schiff, das wir besteigen, weil wir Hoffnung und nicht Angst haben.
Und ich, ich glaube.
Ich glaube an die Menschen.
Ich glaube an das Gute.
Ich glaube an eine bessere Welt.
Ich glaube, dass wir nicht am Ende der Geschichte angekommen sind.
Ich glaube, dass es Alternativen gibt zu dem, was wir heute haben. Und ich glaube, dass sie besser sind.
Ich glaube, dass die Menschenwürde das höchste Gut ist, dass es gibt.
Ich glaube an die Demokratie, statt an die Herrschaft weniger.
Ich glaube nach wie vor an diese Bewegung hier.
Ich glaube an die Macht der Massen.
Ich glaube an die Solidarität zwischen den Menschen statt an die Konkurrenz.
Ich weiss, dass es auf dieser Welt genug für alle hat.
Ich weiss, dass wir in einem System leben können, das sich an den Bedürfnissen der Menschen, statt an den Profiten weniger orientiert.
Deswegen schimpft man mich eine Utopistin. Weil ich an eine bessere Welt glaube. Doch wenn ich hier stehe und die Menschen sehe, die heute, bei diesem scheiss Wetter raus auf die Strasse gehen, nicht nur in der Schweiz aber auf der ganzen Welt, dann weiss ich, ich bin nicht alleine. Wir sind alle nicht alleine.
Wir gehören zusammen, weil wir sind die 99% sind.
Wir gehören zusammen, weil wir jeden Morgen aufstehen und arbeiten gehen müssen – bezahlt und unbezahlt.
Wir gehören zusammen, weil unsere Interessen die gleichen sind: nämlich ein gutes Leben zu haben.
Wir gehören zusammen: Hausarbeiterin, Bauarbeiter, Pflegefachfrau, Professorin, Student, Detailhandelsassistent, Polier.
Wir gehen in Polen auf die Strasse gegen das neue Abtreibungsgesetz.
Wir singen i can’t keep quiet in den Strassen von Washington und Zürich.
Wir kämpfen gegen die Uberisierung der Wirtschaft und für mehr Demokratie.
Wir versenken die USRIII und stehen ein für eine gerechtere Besteuerung des reichsten Prozent.
Wir sind die Töchter der Hexen, die die Patriarchen nicht verbrennen konnten und die Grosskinder der Arbeiterinnen und Arbeiter die 1918 den Generalstreik geführt haben.
Wir sind die 99%!
Die 99% der Bevölkerung, die arbeiten müssen um zu leben – und das unabhängig der Passfarbe. Die 99% der Bevölkerung, die unter diesem System leiden und Tag für Tag ausgebeutet werden.
Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sitzen alle im gleichen Boot.
Und darum müssen wir zusammenstehen.
Darum müssen wir weiter kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen, für die Anerkennung unbezahlter Care Arbeit, für die Rückverteilung von Reichtum und Produktivität.
Wir müssen einstehen für Menschenrechte und Menschenwürde, für Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten.
Lassen wir nicht zu, dass das 1% entscheidet, was mit unserem Schiff passiert.
Lassen wir nicht zu, dass unsere Demokratie, unsere Werte, unsere Identität von denen bestimmt werden, die davon profitieren, wenn wir uns teilen lassen.
Stehen wir zusammen für eine bessere, solidarische und gerechtere Zukunft!
Venceremos!