10-Punkte-Plan

12.03.2011

Verabschiedet an der Jahresversammlung 12./13. März 2011

Auf dem Weg zu Freiheit und Demokratie

Der Parteitag der SP Schweiz vom 30. und 31. Oktober 2010 hat beschlossen, dem neuen Parteiprogramm neben einer Zusammenfassung einen 10-Punkte-Plan zur Umsetzung folgen zu lassen. Dieser Plan soll festhalten, wie wir uns die nächsten konkreten Schritte hin zum demokratischen Sozialismus vorstellen. Die JUSO Schweiz will sich an dieser Debatte beteiligen, handelt es sich doch vor allen anderen Generationen auch um die Gestaltung unserer Welt und unserer Partei.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte

Seit die SP Schweiz 1888 gegründet wurde, hat sich einiges bewegt. Die ArbeiterInnenbewegung und die demokratische Linke konnten während 70-80 Jahren des vergangenen Jahrhunderts grosse politische, soziale, gesellschaftliche und ökonomische Forderungen durchsetzen. Seitdem in den 1970er die Siegeswelle des Neoliberalismus ihren Anfang genommen hat, stehen diese linken Erfolge aber unter massivem Druck. Dabei wird deutlich, wie neoliberale und rechtskonservative Ideen Hand in Hand gehen: die neoliberalen Forderungen nach Eigenverantwortung, Wettbewerb und Leistung führen dazu, dass die Menschen in ständiger wirtschaftli-cher Angst leben. Die konservativen Werte geben in diesem Moment vermeintlich Halt. Das Rad der Zeit soll also in allen Lebenswelten um Jahrzehnte zurückgedreht werden: in der Familie, in der Bildung, in der Sicherheitspolitik, bei den sozial-staatlichen Solidaritäten und nicht zuletzt bei den politischen und ökonomischen Rechten.

Seit den 90er Jahren wird der Kapitalismus als das Ende der Geschichte postuliert. Was den Kapitalismus dabei auszeichnet ist, dass einige wenige alleine über die Ressourcen verfügen und bestimmen, was damit geschieht. Zehn Prozent der Weltbevölkerung kontrollieren beispielsweise 86 Prozent des gesamten Vermögens. Die Schweiz ist eines der Länder mit der ungerechtesten Vermögensverteilung: 1 Prozent besitzen gleich viel wie die restlichen 99 Prozent zusammen.

Diese Organisationsform ist nicht nur fundamental undemokratisch, sie hat auch einen grossen Haken: Da alles nur einigen wenigen gehört, arbeitet das System auch im Interesse von einigen wenigen und nicht für die Mehrheit. Daran hat auch die grösste Weltwirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg nichts geändert. Anstatt die für die Krise verantwortliche krasse Ungleichverteilung des Reichtums zu korrigieren, wird diese durch Staatsabbau, Sparübungen bei den Sozialwerken und Steuerreformen weiter verschärft. In der Folge öffnet sich die Schere zwischen arm und reich immer mehr.

Warum hat es das kapitalistisch-neoliberale System geschafft, von der Krise zu profitieren?

Weil die VertreterInnen dieses Systems ihr Prinzip von Eigenverantwortung und Konkurrenz mit Hilfe ihrer Millionen durchsetzen können. Durch dieses Vorgehen schüren sie permanent soziale und ökonomische Unsicherheiten. Das neoliberal-kapitalistische System hat in allen Lebenswelten ihre Vormacht gewonnen. Der Kapitalismus dominiert nicht nur unsere äussere Welt – die Wirtschaft -, sondern zunehmend auch die innere Welt– das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen. Der Mensch an sich steht nicht mehr im Mittelpunkt, sondern die Leistung, die er vollbringt. Wir aber wissen: Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte. Es liegt an uns, dem kapitalistischen System und der Macht des neoliberalen Gedankenguts mit einer Alternative entgegenzutreten. Unsere Vision heisst demokratischer Sozialismus: wir wollen die konse-quente Weiterentwicklung unserer Demokratie im Interesse der grossen Mehrheit und in allen Lebensbereichen. Wir fordern Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

10-Punkte 1. Mehr Freiheit: Ausbau der Sozialwerke zu einer AEV

Das aktuelle System der Sozialversicherungen ist in unzählige Kassen aufgesplittet (AHV, IV, ALV, EO, SUVA, Sozialhilfe usw.). Verschiedene Kassen stehen in Konkurrenz zueinander, Kosten explodieren, Kranke werden von Versicherung zu Versicherung geschoben. So findet eine Entsolidarisierung der einzelnen Gruppen statt, weil sie gegeneinander ausgespielt werden (Behinderte gegen Nichtbehinderte, Arbeitslose gegen Arbeitende usw.). Diese Entsolidarisierung ist politisch gewollt und entspricht der neoliberalen Logik. Das bestehende Sozialversicherungssystem muss daher grundlegend reformiert werden. Die Sozialwerke sollen in eine allgemeine Erwerbsversicherung (AEV) zusammengefasst werden. Diese nationale Kasse sichert die Menschen gegen die Folgen von Erwerbsausfall ab. Sie soll über progressive Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuern sowie über Unternehmens- und Kapitalgewinnsteuern finanziert werden.

2. Mehr Freiheit: Unabhängige erneuerbare Energieversorgung

Mit Schreckensszenarien über eine Energielücke, die in einigen Jahren in der Schweiz herrschen wird, versuchen die Atomlobby und die mit ihnen verbändelten bürgerlichen Parteien neue Atomkraftwerke als einzigen Ausweg darzustellen. Mit Energieeffizienz und Förderung von erneuerbaren Energien sind AKWs jedoch überflüssig. Die bürgerliche Mehrheit wehrt sich aber gegen einen Atomaustieg, weil ihnen sonst Millionen der Atomlobby entgehen.

Doch den erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Deshalb muss sofort in diese Technologien investiert werden (z.B. durch eine Mobilisierung der Pensionskassengelder) und nicht noch mehr subventionierte AKWs gebaut werden. Dabei entstehen 100'000 neue Arbeitsplätze in einer neuen, nachhaltigen Wirtschaftsbranche. Die Schweiz muss unbedingt auf die europaweite Vernetzung dieser erneuerbaren Energiequellen hinarbeiten und sein eigenes Stromnetz sofort auf den notwendigen Stand bringen (Gleichstromnetze etc.). Neben dieser Förderung der erneuerbaren Energie und Investitionen in die Energieeffizienz muss auch ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden und der Energieverbrauch reduziert werden. Auch hier gilt es den permanenten Wachstumszwang zu überwinden und eine suffiziente Gesellschaft vor Augen zu haben.

3. Mehr Demokratie: Überführung der Leistungen von Banken und Versicherungen in den Service Public

Getreu dem Motto „die Schulden dem Staat, die Gewinne den Privaten“ rettete der Staat die UBS 2008 vor dem Bankrott, ohne jegliche tiefgreifenden Konzessionen für die Zukunft zu machen. Die Gewinne steckten sich die Bankkader wieder in die Tasche.

Das Rettungspaket für die UBS hat drei Dinge gezeigt: erstens ist das Banken- und Versicherungssystem zu unsicher, weil nur der kurzfristige Gewinn und eine möglichst hohe Rendite zählt. Zweitens haben Banken eine Grösse und Macht erreicht, sodass ihr Bankrott eine volkswirtschaftliche Gefahr darstellt. Sie haben daher die Gewissheit, dass der Staat im Falle eines drohenden Ruins einspringen wird. Das Volk versichert also das gierige Treiben der Banken, ohne sich am Gewinn beteiligen zu können. Und drittens haben die bürgerlichen Kräfte alle Hebel in Bewegung und die Demokratie ausser Kraft gesetzt, um ihren BankenfreundInnen und SpenderInnen aus dem von ihnen verursachten Schlamassel zu helfen. Die einzige Antwort auf diese Probleme ist die Überführung von Banken und Versicherungen in den Service Public. Banken und Versicherungen stehen im Interesse der Mehrheit. Sie dürfen keine nicht-staatliche Macht sein, die die Politik bestimmt. Genau das ist 2008 passiert und darf nicht wieder passieren.

4. Mehr Demokratie: Transparenz in der Parteienfinanzierung

Die Parteienfinanzierung ist zum heutigen Zeitpunkt ungeregelt und intransparent. Unsummen fliessen jährlich von der Wirtschaft und dem Finanzplatz zu den bürgerlichen Parteien, die deren Befehle einer kleinen reichen Minderheit empfangen und erfolgreich durchzusetzen versuchen. Es erstaunt daher wenig, dass sich die bürgerlichen Parteien vehement gegen eine Offenlegung der Parteifinanzen und Spenden wehren, würden sie so doch ihre Geldquellen angeben müssen. Die Intransparenz ist aus mehreren Gründen demokratiepolitisch illegitim. Einerseits können sich die Stimmberechtigten kein Bild über die finanzgebundenen Abhängigkeiten und Interessenskonflikte machen. Andererseits ermöglicht die intransparente Parteienfinanzierung Korruption und schafft ungleich verteilte Mittel bei Abstimmungs- und Wahlkampagnen.

Politik muss im Interesse der Mehrheit handeln und nicht einer kleinen privilegierten Minderheit dienen. Eine Politik, die von Geld regiert wird, hat versagt. Die SP Schweiz wird in Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen die Transparenz bei der Parteienfinanzierung und die öffentliche Parteienfinanzierung auf die politische Agenda setzen.

5. Mehr Gleichheit: Vermögens- und Reichtumssteuer, Harmonisierung der kantonalen Steuern

Nachdem sich in der ersten Hälfte des 20. Jh. die Vermögensschere immer mehr geschlossen hat, öffnet sie sich seit der neoliberalen Wende in den 1970er wieder rasant. Steuergeschenke für Superreiche sind an der Tagesordnung und heizen den interkantonalen Steuerwettbewerb zusätzlich an. Zudem wurden in den letzten Jahren zahlreiche Steuern abgeschafft, die vor allem Reiche belastet hatten (Erbschaftssteuer, Schenkungssteuer, Handänderungssteuer etc.) Das reichste Prozent besitzt heute gleich viel wie die restlichen 99Prozent der Bevölkerung zusammen – die Schweiz eines der Länder mit den grössten Vermögensunterschieden.

Die SP Schweiz lanciert einerseits eine Initiative zur Wiedereinführung der nationalen Erbschaftssteuer ein und fördert andererseits kantonale Initiativen und Vorstösse, Vermögens- und Reichtumssteuern zu erhöhen. Die Idee der Steuergerechtigkeits-Initiative muss weiterverfolgt werden: Die Kantone sollen die Höhe ihrer Einkommens- und Vermögenssteuern angleichen, um den ruinösen Steuerwettbewerb zu verhindern.

6. Mehr Gleichheit: Mindestlöhne, 1:12-Initiative und bedingungsloses Grundeinkommen

Die Vermögens- und Lohnschere hat sich in den vergangenen Jahren massiv geöffnet. Ein Top-Verdiener / eine Topverdienerin verdient durchschnittlich 73-mal mehr als der/die Angestellte mit dem tiefsten Lohn. Während ein paar wenige Millionen verdienen, gibt es viel geleistete Arbeit, die nicht entlöhnt wird. Die Zahl derer, die trotz Arbeit von Armut betroffen sind, steigt. Denn obwohl es zwar in einigen Branchen Gesamtarbeitsverträge mit festgelegten Mindestlöhnen gibt, verdienen zahlreiche Menschen zu wenig, um von ihrem Lohn die Lebenskosten zu bezahlen. Die SP Schweiz fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen, sie unterstützt zudem zwei Initiativprojekte zur Lohngerechtigkeit. Die 1:12-Initiative fordert, dass niemand in einem Jahr weniger verdient als der/die Bestverdienende im gleichen Unternehmen in einem Monat verdient. Die Mindestlohninitiative verlangt einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn von CHF 4000 (42h/Woche), der sich am Konsumierendenindex orientiert.

7. Mehr Gleichheit: Kollektivierung von Boden- und Wohneigentum

Die Knappheit an Boden und Wohnfläche nimmt aus verschiedenen Gründen zu. Bereits heute ist der Anteil der Haushaltsangaben für die Wohnkosten in der Schweiz innerhalb der OECD angrössten. Verschärfend kommt dazu, dass die Schweiz ein nur sehr schwach ausgebautes Mieterrecht kennt. Dies öffnet Mussbrauch Tür und Tor. Eine Studie des Bundes kommt zum Schluss, dass zwischen 1985 und 2005 jedes Jahr mindestens drei Milliarden mehr Mietzinses bezahlt wurden, als rechtlich zulässig gewesen wären. Insbesondre in den den Innenstädten und den Agglomerationen wird der Druck auf die Wohnungspreise nochmals zunehmen. Das neoliberale Modell der „aufgewerteten Stadt“ trägt das ihre dazu bei.

Diese Spirale kann nur gestoppt werden, wenn an den Eigentumsverhältnissen etwas verändert wird. Die SP Schweiz will den Anteil des öffentlichen oder genossenschaftlichen Eigentums an Wohnungen sukzessive auf mindestens 50 Prozent erhöhen. Der Verkauf aus Besitz der öffentlichen Hand oder die Abgabe im Baurecht ist nur noch an Genossenschaften zu erlauben, wo möglich sind Rückkäufe anzustreben. Parallel dazu lanciert der Bund ein Förderprogramm für genossenschaftlichen und öffentlichen Wohnbau.

8. Mehr Gleichheit: Gerechtes Bildungswesen

In den letzten Jahren wurden die Bildungsausgaben ständig gekürzt. Die Folge sind grössere Schulklassen, Erhöhung der Studiengebühren und Streichung von „unnötigen“ Fächern. Zudem sind die Bildungschancen eines Kindes abhängig von den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern. Die heutige Schule kann dies nicht ausgleichen.

Die SP will daher, dass die öffentliche Schule zur kindsgerechten Tagesschule mit Betreuung und Aufgabenhilfe ausgebaut wird. Tagesschulen unterstützen alle Kinder gleichermassen in ihrer schulischen Laufbahn und führen zu besseren Startchancen für alle. Zudem leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als weitere Massnahme fordern wir die Abschaffung aller Studiengebühren und eine nationale Stipendienregelung.

9. Mehr Solidarität: Einheitskasse und einkommensabhängige Prämien

Jährlich werden die Krankenkassenprämien massiv erhöht. Die Kantone unterstützen zudem einkommensschwache Menschen mit Prämienverbilligungen und subventionieren den ruinösen Wettbewerb der Krankenkassen. Solidarität sucht man im aktuellen Gesundheits-system mit Kopfprämien, Wahlfranchise, hohen Medikamentenpreisen oder Fallpauschalen vergebens. Kostensenkungsmassnahmen zugunsten der Versicherten werden von bürgerlichen ParlamentarierInnen, die BefehlsempfängerInnen der Krankenkassen sind, verhindert.

Die Schweiz braucht dringend ein sozialverträgliches Gesundheitssystem, das auf Solidarität aufbaut und für alle bezahlbar ist.

Deshalb hat die SP die Volksinitiative „für eine öffentliche Gesundheitskasse“ lanciert. Sie fordert, dass eine nationale öffentlich-rechtliche Einrichtung künftig für die obligatorische Krankenversicherung zuständig sein wird. So kann der negative Wettbewerb zwischen den 90 privaten Krankenversicherungen endlich gestoppt werden, der nur den Versicherungen nützt und auf Kosten der Versicherten geht. Als weitere Massnahme fordert die SP einkommensabhängige Krankenkassenprämien, um einkommensschwachen Familien und Personen zu entlasten. Wer mehr verdient, soll auch mehr bezahlen.

10. Mehr Solidarität: Totale Entschuldung der finanziell schwächsten Länder, Aufstockung der Entwicklungsgelder auf bis zu 5 Prozent, Ende des Bankgeheimnisses

Die Schweiz als eines der reichsten Länder der Welt geizt bei den Entwicklungsgeldern an die finanziell schwächsten Länder. Das Verhältnis der Schweiz zu ihnen ist geradezu absurd: Während die Schweiz nicht einmal die von der UNO geforderten 0.7 Prozent des BIP als Entwicklungsgelder an die Schwächsten auf dieser Welt zahlt, deckt sie mit dem Bankgeheimnis die gierigen Eliten und Diktatoren der ärmsten Länder. Gleichzeitig verschärft sie im Schnelltempo ihre Asylpolitik und verunmöglicht den Asylsuchenden eine menschenwürdige Behandlung. Solidarität ist in der aktuellen Schweizer Politik gegenüber den ärmsten Ländern ein Fremdwort.

Dabei sollte die Schweiz als reiches Land in der solidarischen Verantwortung gegenüber diesen Länder stehen. Die SP Schweiz fordert deshalb einerseits die sofortige Entschuldung der finanziell schwächsten Länder und eine Aufstockung der Entwicklungsgelder auf bis zu 5 Prozent. Andererseits muss das Bankgeheimnis abgeschafft werden, um nicht Diktatoren zu schützen und zu fördern, welche die eigene Bevölkerung ausnehmen und terrorisieren.