Gleich und Gemeinsam? –Radikale Gleichstellungals Kapitalismuskritik

18.12.2010

Verabschiedet vonder Delegiertenversammlung vom 18. Dezember 2010

Gleichstellung ist doch längst erreicht –oder?

Vielerorts wird heute gesagt, Gleichstellung zwischen Mann und Frau sei schon lange erreicht. Schließlich sind heute die meisten Frauen erwerbstätig, besetzen sogar Kaderstellen, haben den gleichen Zugang zu Bil-dung wie Männer, es gibt mehr Männer in typischen Frauenberufen als noch vor zwanzig Jahren etc. Tat-sächlich, in den letzten Jahrzehnten hat sich die starre Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in der Gesellschaft stark verändert. Die gesetzliche Gleichstellung wurde voran getrieben, das Stimm-und Wahl-recht für Frauen erkämpft und nach jahrelangem Ringen eine Mutterschaftsversicherung eingeführt. Diese Gleichstellung ging aber oft zu Lasten von Migrantinnen, da die Hausarbeit an Schwächere delegiert wurde. Echte Gleichstellung muss aber alle besser stellen und darf nicht zu Lasten von anderen passieren. Fakt ist: Frauen verdienen noch heute durchschnittlich 20% weniger als Männer. Obwohl mehr als die Hälfte der Studierenden Frauen sind, beträgt der Anteil an den Professuren lediglich 15%. Sexismus ist alltäglich, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer. Frauen leisten in der Schweiz doppelt so viel Haus-und Famili-enarbeit wie Männer, auch weil Männer kaum die Möglichkeit haben Teilzeit zu arbeiten. Die Fakten spre-chen eine klare Sprache: Von einer echten Gleichstellung der Geschlechter sind wir noch weit entfernt.

Antifeminismus, Frauen im Islam, Pop-Feminismus –Eine Debatte und unsere Position

In den vergangenen Monaten ist die Debatte über den Feminismus neu entflammt. Aufgrund der frustrierten Äußerungen von Frauenhassern und antifeministischen Kongressen, der Instrumentalisierung der bekannten Feministin Julia Onken für die Minarett-Initiative der SVP oder der expliziten Sex-Songs der Pop-Feministin Lady Bitch Ray. Was ist Feminismus eigentlich? Schließt der Feminismus Männer nicht aus? Eine Debatte, die vieles ver-mischt, falsche Vorstellungen bestätigt und es nötig macht, Position zu beziehen.Es mehren sich die Stimmen, die sagen, Feminismus sei doch von vorgestern, alle Forderungen schon erfüllt. Oder gar, Feminismus sei gefährlich und schädlich.Als SozialistInnen und FeministInnen sind wir nicht dieser Meinung. Wir müssen aber auch oft feststellen, dass wir mit den Forderungen unserer VorkämpferInnen und gewissen Formen, die sich als feministisch ver-stehen, nicht einverstanden sind. So hat unserer Ansicht nach ein Minarett-Verbot nichts mit den Rechten von islamischen Frauen zu tun. Hier wird der Feminismus missbraucht für rechtsnationalistische Propaganda. Genau so wenig können wir gewis-se Produkte des so genannten Pop-Feminismus unterstützen, die den Begriff Feminismus individualisieren, entpolitisieren und kommerzialisieren. Was bedeutet also für uns JungsozialistInnen Feminismus?

Radikale Gleichstellungals Kapitalismuskritik

Als SozialistInnen setzen wir uns für eine Gesellschaft ein, in der die Menschen frei von Zwängen leben kön-nen. Frei von ökonomischen Zwängen, aber auch frei von gesellschaftlichen Zwängen. Dazu gehört der Kampf für die Gleichstellung von Mann und FrauDer kapitalistische Produktionsprozess zweiteilt die Gesellschaft nach Geschlecht. Seit der Industrialisierung verrichtet der Mann die „produktive“ Arbeit, die Frau die Reproduktionsarbeit, die nicht entlohnt wird, weil sie keinendirektenMehrwert schafft. Frauen wurden nur dann in die Erwerbstätigkeit gelassen, wenn die Wirtschaft auf mehr Arbeitskräfte angewiesen war und genauso schnell auch wieder heraus gedrängt. Seit den 70er Jahren steigt die Erwerbstätigkeit der Frauen –nicht nur aus emanzipatorischen Gründen, sondern auch weil ein Einkommen nicht mehr für die ganze Familie reichte. Damit wurden auch neue Beschäfti-gungsverhältnisse eingeführt. Prekäre Arbeitsverhältnisse, das heißt, flexibel, günstig und jederzeit verfüg-bar, prägen heute große Teile der Arbeitswelt. Weiterhin werden aber Männer besser bezahlt als Frauen und sind weniger in Teilzeitarbeitsverhältnissen angestellt, weshalb mehr Männer erwerbstätig sind und Frauen die nicht-produktiven Arbeiten übernehmen: Familienarbeit, Hausarbeit, Pflegearbeit etc. Müsste all diese Gratis-Arbeit bezahlt werden, würde das kapitalistische System zusammen stürzen. Ohne die geschlechtsbe-stimmte Arbeitsteilung, die die Frau an den Herd und den Mann ins Burnout treibt, könnte das kapitalisti-sche System nicht überleben. Es profitiert im Gegenteil von dieser unbezahlten Arbeit. Doch die Ungleichheit der Geschlechter und die Diskriminierung der Frau hat noch einen weiteren Nutzen für das kapitalistische Wirtschaftssystem: einen Stabilisierenden und Erhaltenden. Ähnlich dem Rassismus werden durch die Schaf-fung künstlicher Unterschiede und Bevorzugung der Einen auf Kosten der Anderen scheinbar unüberwindba-re Barrieren geschaffen, welche die Bevölkerung von den wahren Unterschieden und Gegensätzen ablenkt:nämlich den zwischen der Klasse der Lohnabhängigen und der der Besitzenden. Somit wird uns , nach dem Motto „Teile und Herrsche“, der solidarische Zusammenschluss gegen die Besitzenden erschwert.So sorgt dieses Produktionssystem dafür, dass sich die Geschlechter nicht von ihren Rollen in diesem Prozess emanzi-pieren können. Darum muss der Kampf für die Gleichstellung von Mann und Frau immer verbunden sein mit dem Kampf für eine neue Wirtschaftsordnung jenseits des Kapitalismus. Der individuelle Kampf für sozialen Aufstieg und Selbstbestimmung ist richtig, eine Änderung der Verhältnisse erreichen wir aber nur gemein-sam.

Radikale Gleichstellungals gemeinsamer Kampf beider Geschlechter

Der Kampf für Gleichstellung ist ein gemeinsamer Kampf beider Geschlechter, weil die Diskriminierung alle betrifft. Darum ist es auch politisch wichtig, dass Gleichstellung nicht an die Frauen delegiert wird. So erach-ten wir es als fundamentalen Fehler, dass sich die SP Frauen zum Feigenblatt der Gleichstellungspolitik der SP Schweiz haben degradieren lassen. Die SP Schweiz kann so die Gleichstellungspolitik an die Frauengruppe abschieben und stiehlt sich damit aus der Verantwortung. Diese Struktur mag vor vierzig Jahren, in Zeiten wo Gleichstellungsanliegen auch bei den Genossinnen und vor allem Genossen niemanden interessierten, noch ihre Berechtigung gehabt haben, ist aber heute falsch.

Selbstbestimmung in allen Bereichen

Die Ungleichbehandlung der Geschlechter geht über die Wirtschaft hinaus: Sowohl Mann als auch Frau ha-ben klare Rollen. Es gibt wenige Pfleger und genau so wenige Automechanikerinnen. Sexistische Werbungen stellen Frauen als Sex-Objekte und Männer als Opfer ihrer Lust dar. Frauen sind Mütter und Väter Ernährer. Männer sind gut in Mathe, Mädchen in Sprachen. Mädchen sind sensibel, Buben rauflustig. Das gilt auch für die sexuelle Identität: Wer sich nicht ganz klar als Mann oder Frau definieren kann, oder die heterosexuelle Paarbeziehung ablehnt, wird ausgegrenzt, stigmatisiert und in vielen Fällen körperlich be-droht. Warum ziehen wir hier so strikte Grenzen? Warum ist es nicht selbstverständlich wenn ein Junge mit Puppen spielt und ein Mädchen sich für Autos interessiert? Unsere Gesellschaft stellt klare Erwartungen an beide Geschlechter, jedeR hat seine Rolle zu erfüllen, wer aus dieser Rolle fällt, wird ausgegrenzt. Diese Erwartungen, diese Rollenbilder schränken uns ein, weil wir uns nicht frei für das entscheiden können, was wir am liebsten tun würden. Um frei und selbstbestimmt leben zu können braucht es deshalb mehr als materielle Gleichstellung. Wir wollen uns in unserem Feminismus nicht eingrenzen lassen. Neugier auf Pornografie, Lust beim Sex oder Freude an einer festen Bindung stehen nicht im Widerspruch zu einer feministischen Einstellung. FeministIn ist, wer sich für die Gleichstellung von Mann und Frau im Alltag und im Großen einsetzt. Wir wollen eine lustvolle und selbstbestimmte Sexualität leben können, Geschlechtergrenzen aufheben und Rollenbilder hin-terfragen. Diese Themen gehen alle etwas an und sind Teil einer Kapitalismuskritik: Denn Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geht oft einher mit Rasse und Klasse und ist somit Teil des neoliberalen, kapitalis-tischen Systems. Für Gleichstellung kämpfen können wir auch im Minirock! Unser Kampf für Gleichstellung darf nicht bei der Wirtschaft aufhören. Wir wollen mehr als das!

Deshalb fordern wir:

Arbeitswelt

  • Keine Diskriminierung: Wir fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit und mehr Möglichkeiten zur Teilzeit-Arbeit für alle.
  • Abschaffung der Wehrpflicht
  • Der Mutterschaftsurlaub wird ersetzt durch einen Elternurlaub von zwei Jahren, von dem beide Elternteile mindestens sechs Monate beziehen müssen. Der Urlaub kann verteilt über die ersten fünf Lebensjahre des Kindes bezogen werden und wird mit mindestens 80% des Lohnes vergü-tet.

Familie

  • Das Gesetz zum Sorgerecht wird so ausgestaltet und angewandt, dass keine Rollenbilder wie Mutter-Mythos und Vater als Ernährer zementiert werden.
  • Bei Scheidungen soll das gemeinsame Sorgerecht zum Normalfallwerden. Das alleinige Sorge-recht eines Elternteiles soll nur im Ausnahmefall zur Anwendung kommen.
  • Jedes Kind hat das Recht auf einen externen Betreuungsplatz. Jeder Mann und jede Frau soll Familie und Beruf vereinen können.
  • Vergesellschaftung der Hausarbeit und Kindererziehung –denn diese Arbeiten sind gesellschaft-lich notwendig und sollen entsprechend entlohnt und organisiert werden. Es kann nicht sein, dass, vorwiegend Frauen, diese Arbeit isoliert, gratis und oftmals in Kombination mit sonstiger Lohnarbeit zu leisten haben
  • Selbstbestimmte

Sexualität

  • Der Sexualkundeunterricht muss grundlegend reformiert werden. Eine umfassende Sexualerzie-hung wird an den Schulen durch externe ExpertInnen durchgeführt. Dazu gehört auch die Ausei-nandersetzung mit der geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung, gesellschaftlichen Rollenbildern, der Beziehung zum eigenen Körper, sexueller Gewalt und Pornographie. Der Un-terricht soll sich an der Lebensrealität der SchülerInnen orientieren und in dem Sinne werden passende Pornofilme als Beispiele gezeigt und diskutiert.
  • Ein Verbot von Pornografie lehnen wir ab. Im Pornobusiness herrschen aber männerdominierte Vorstellungen von Sexualität, die oftmals frauen-aber auch männerverachtend sind. Pornos sol-len eine positive Botschaft der Sexualität vermitteln und zur selbstbestimmten Auslebung der ei-genen Sexualität beitragen.
  • Solidarität muss auch für Menschen mit geschlechtlichen Identitäten gelten, die das Zweige-schlechter-Modell sprengen. Wir müssen endlich einsehen und akzeptieren, dass die menschli-che Vielfalt mehr Geschlechter bereit hält als nur Frauen und Männer. Transsexuelle, Transgen-der und Hermaphroditen dürfen nicht weiter ausgeschlossen und diskriminiert werden.
  • Jegliche Verhütungsmethoden werden in den Grundversorgungskatalog der Krankenkassen auf-genommen.
  • Vorsorgeuntersuchungenzu sexuellen Krankheiten werden von der Krankenkasse bezahlt.

Prostitution

  • Prostitution darf nicht kriminalisiert werden. Die Arbeitsbedingungen für SexarbeiterInnen müs-sen markant verbessert werden, damit sie unabhängig, selbstbestimmt und ohne Diskriminie-rung ihrer Arbeit nachgehen können.
  • Von der freiwillig ausgeübten Prostitution ist die Zwangsprostitution und der Frauenhandel zu unterscheiden. Diese Menschenrechtsverletzungen müssen aktiv geahndet und bestraft werden. Für die Opfer von Frauenhandel braucht es ein umfassendes Opferschutzprogramm und ein be-dingungsloses Aufenthaltsrecht, das nicht an die Aussagebereitschaft geknüpft ist.
  • Der Bund finanziert eine Sensibilisierungskampagne für Freier. So kann die Situation für be-troffene Prostituierte früher erkannt und den Zwangsprostituierten besser geholfen werden.
  • Es braucht in allen Kantonen und auf gesamtschweizerischer Ebene eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Behörden und Fachstellen im Kampf gegen Menschenhandel.

Medien

  • An den Schulen und im Elternhaus muss Medienkompetenz gelehrt werden: Die politische und meinungsbildende Funktion soll hinterfragt und aufgedeckt werden. Nur so kann stereotype Berichterstattung und Werbung richtig eingeschätzt und eingeordnet werden.
  • Auch in den Darstellungen der Medien soll ein Vielgeschlechtermodell angestrebt werden.
  • Sprache zementiert Rollenbilder: Medien sollen daher genderneutrale Formulierungen anwende