Positionspapier der JUSO Schweiz zur Berufsbildung

29.09.2007

Verabschiedet von der Delegiertenversammlung vom 29. September 2007 in Bern

Einleitung

Durch kollektive Aktion und die beherzten politischen Kämpfe vieler Männer und Frauen konnten den besitzenden Schichten mehr und mehr Konzessionen abgerungen werden. Diese Kämpfe verliefen nicht immer friedlich, denken wir doch an den Generalstreik von 1918. Heute, knapp 90 Jahre nach dem sozialpolitisch wohl wichtigsten Ereignis in der Schweizer Geschichte ist der Kampf noch nicht zu Ende. Viele Errungenschaften der Arbeitnehmenden - wie die AHV, die Aufwertung der Berufsbildung oder die Arbeitslosenversicherung – sind nicht mehr wegzudenken. Der politische Wind weht allerdings mit der neoliberalen Welle wieder anders: Die Rechte der Arbeitnehmenden sollen durch stagnierende Löhne, längere Arbeitszeiten und geschwächte Sozialwerke wieder abgebaut werden. Wie immer trifft die Speerspitze der neoliberalen Konterrevolution zuerst diejenigen, welche sich nur schwierig wehren können, in diesem Fall die Jungen.

Die JUSO Schweiz ist bestrebt, die Rechte der jungen Arbeitnehmenden auf eine qualitativ gute Ausbildung, auf angemessene Entlöhnung und Ferien und auf eine gesicherte Zukunft zu verteidigen und weiter auszubauen.

Das System der dualen Berufsbildung ist nicht nur der Garant für eine breite Allgemein- und eine fundierte Fachausbildung, sondern auch ein zentraler Pfeiler des sozialen Ausgleichs. Junge Menschen aus gut betuchten, gebildeten Familien haben gute Chancen, ihren Lebensstandart auch im Berufsleben zumindest zu halten, Jugendliche aus sozial Schwachen Milieus allerdings laufen Gefahr, in diesen zu verharren. Die duale Berufsbildung ist die ideale Möglichkeit für den sozialen Aufstieg. Damit dieses Modell aber funktioniert, braucht es nicht nur das Engagement der Auszubildenden, sondern auch einen breit abgestützten politischen Willen.

Jugendarbeitslosigkeit ist eine soziale Zeitbombe. Wer früh oder gar noch ohne Berufsabschluss arbeitslos wird, hat auch später Mühe den Anschluss an die Berufswelt zu finden. Der Schritt in die Sozialhilfe ist nicht mehr weit und der Teufelkreis – wenn erst einmal betreten – nur sehr schwer zu durchbrechen.

Die im Vergleich zu früheren Jahrzehnten immer noch hohe Jugendarbeitslosigkeit ist nicht etwa eine Folge unverrückbarer Naturgesetze, sondern die direkte Auswirkung des neoliberalen laissez-faire: Die Betriebe scheinen das Interesse an der Ausbildung von Lehrlingen verloren zu haben und die bürgerliche Politik sieht keinen Grund, diesem Missstand entgegen zu wirken. Die JUSO Schweiz ist überzeugt, dass eine qualitativ hoch stehende Ausbildung das effektivste Mittel auf dem Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit ist. Sie fordert, dass sich die Profiteure des dualen Berufsbildungssystems gemeinsam mit einem Berufsbildungsfonds an der Sicherstellung eines ausreichenden Angebotes an Lehrstellen beteiligen: Die Arbeitgeber, die Shareholder und der Bund.

Das System der dualen Berufsbildung in der Schweiz ist nicht etwa krank, aber es leidet – und mit ihm die Auszubildenden – am neoliberalen Geschwür der Profitgier. Die Ausweitung der Nacht- und Sonntagsarbeit oder der Angriff auf die Arbeitslosenversicherung sind Teil einer Salamitaktik zum Abbau der Rechte der Arbeitnehmenden. Die JUSO Schweiz tritt dieser Entwicklung als einzige Jungpartei entschieden entgegen und setzt sich stattdessen für einen konstanten Ausbau des Erfolgsmodells duale Berufsbildung ein. Auf den folgenden Seiten legt sie ihre Vision der Zukunft der beruflichen Ausbildung in der Schweiz dar.

Jugendarmut

Die Situation spitzt sich zu Die Jugendarmut hat inzwischen Ausmasse erreicht, die von der Politik nicht mehr geleugnet werden können. Verschiedene statistische Erhebungen auf Ebene des Bundes und der Kantone belegen die starke Zunahme der Zahl der Sozialhilfeempfänger und der damit verbundenen Kosten in den letzten Jahren. So beziehen heute 3% der Bevölkerung Sozialhilfe; was nicht etwa heisst, dass 97% keine finanziellen Probleme haben! Die Sozialhilfequote bei Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren beträgt sogar 4.5%, sie machen damit 13.2% aller SozialhilfeempfängerInnen aus[1] . Das Risiko, Sozialhilfe beziehen zu müssen, ist in den Städten deutlich höher. Auch lässt sich feststellen, dass ein Drittel der Jugendlichen aus Familien kommt, die Sozialhilfe beziehen. Finanzielle Probleme sind für viele nicht ein vorübergehendes Phänomen, sondern eher der Normalzustand – manchmal seit Generationen.

Die Ursache der Jugendarmut

Eine ungenügende Berufsbildung ist einer der Hauptursachen für eine spätere Sozialhilfeabhängigkeit. 63% der Jugendlichen, die Sozialhilfe beziehen, haben keine Berufsbildung abgeschlossen[2] .

Dieses Problem ist nicht allein auf der individuellen Ebene anzusiedeln. Wir erleben heute vielmehr eine Verschärfung des Kampfes um Lehrstellen und um den Zugang zum Arbeitsmarkt. Wer es nicht gleich nach Abschluss der Volksschule schafft, einen Ausbildungsplatz zu finden, erhält oft keine zweite Chance. Es fehlt heute deutlich an Arbeitsplätzen, an Lehrstellen und Brückenangeboten für die Zeit zwischen Schule und Eintritt in den Arbeitsmarkt. Die Jugendarmut nimmt somit Jahr für Jahr zu und nur 50% der 15 bis 24 jährigen Arbeitslosen sind bei den Regionalen Arbeitsvermittlungen gemeldet[3] . Das Problem verlagert sich damit zu den regionalen Sozialhilfezentren, die nicht über die nötigen finanziellen und personellen Ressourcen verfügen, um die steigende Anzahl Fälle zu bearbeiten.

Ein weiterer Grund für die zunehmende Verarmung der Jugendlichen ist die steigende Verschuldung der Bevölkerung, im speziellen der Jungen. 1⁄4 der Jugendlichen zwischen 16 und 25 Jahren gibt mehr Geld aus, als sie eigentlich dürften: 80% der verschuldeten Personen gerieten das erste Mal bereits unter 25 Jahren in die Schuldenkrise und 85% der Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren sehen Shopping als einen wichtigen Teil ihrer Freizeit[4] . Die Verarmung bildet eine gefährliche Grundlage für die soziale Abkoppelung und kostet die Allgemeinheit eine Stange Geld. Für die Betroffenen kann die Verschuldung zu einem Teufelskreis werden, aus dem eine Flucht praktisch unmöglich wird. Die Allgemeinheit bezahlt die Verschuldungen teuer.

In unserer Konsumgesellschaft scheint der soziale Status stark an bestimmten materiellen Besitztümern zu hängen. Das Gewicht von Marken ist ein gutes Beispiel. Die Jugendlichen sind besonders gefährdet, diesem Druck alles besitzen zu müssen, zu erliegen. Sie befinden sich in einer Phase ihres Lebens, in der die Wahrnehmung der anderen eine grosse Rolle spielt. Ausserdem verändert sich die finanzielle Situation der Jugendlichen andauernd. Weitere Gründe für die steigende Jugendarmut sind die Vereinfachung des Zahlungsvorgangs mittels Kreditkarte, die zunehmenden Verleihdienste, und die omnipräsente Werbung, die uns zu ständigem Konsum animiert.

Die Ursachen des Problems bekämpfen

Die Jugendlichen mit Problemen, welche an die entsprechenden Fachstellen gelangen, tun dies oft zu spät. Wenn sie mit der Sozialhilfe Kontakt aufnehmen, ist es für Präventionsarbeit meist zu spät. Die jungen SozialhilfeempfängerInnen gelten heute vor allem als Kostenfaktor, als Last für die Gesellschaft. Wir dürfen aber die Situation der jugendlichen SozialhilfeempfängerInnen nicht als selbstverschuldete Niederlage betrachten. Jugendarmut ist ein gesellschaftliches Problem, dass nicht allein auf der individuellen Ebene gelöst werden kann. Es müssen jetzt strukturelle Lösungen gefunden werden! Die Bundesverfassung verlangt, dass Kinder und Jugendliche sowohl eine Grundausbildung als auch eine weitere Ausbildung, die ihren Fähigkeiten entspricht geniessen dürfen, dass sie zu unabhängigen und verantwortungsbewussten Mitmenschen erzogen werden und dass sie bei ihrer sozialen, kulturellen und politischen Integration Hilfe erhalten. Diese Prinzipien werden heute nicht umgesetzt. Auch wenn die Politik heute das Problem langsam anerkennt und sich über die Jugendarmuts-Statistiken besorgt zeigt, fehlt es doch deutlich an konkreten Taten! Passiv die Fakten zur Kenntnis nehmen reicht nicht mehr, wir müssen jetzt handeln und das Problem bei der Wurzel packen. Dieser Entwicklung entgegenzutreten, die nicht nur die Vorurteile gegenüber den Jugendlichen nährt sondern auch zunehmen zur finanziellen Belastung für die Allgemeinheit wird, muss zu einer der Hauptaufgaben des Bundes werden!

Forderungen

1. Die Zusammenarbeit zwischen den Städten, den Gemeinden, den Kantonen und dem Bund funktioniert zurzeit nur ungenügend. Die Sozialhilfemassnahmen sind fast ausschliesslich Aufgabe der Gemeinden. Der Bund muss diese Aufgabe in die Hand nehmen und sie nicht mehr den Kantonen und Gemeinden überlassen!

2. Da eine ungenügende Ausbildung das Nummer 1 Risiko für Jugendarmut darstellt, muss endlich die echte Chancengleichheit in der obligatorischen Schule erreicht werden. Dafür müssen das Schulsystem auf nationaler Ebene harmonisiert, die kantonalen Leistungsstufen auf Sekundarschulebene abgeschafft und die Unterstützungsleistungen systematisiert werden.

3. Wenn die Jugendlichen die Schule verlassen, sind sie auf sich alleine gestellt. Der Übergang zwischen öffentlicher Schule und der ersten Arbeitsstelle muss verbessert, die Berufsberatung und die Schulsozialarbeit und die Möglichkeiten zu Motivationssemstern, Praktika etc. ausgebaut werden.

4. Auch ist es von zentraler Bedeutung, das Berufsbildungs- und vorberufliche Ausbildungsangebot in den Berufsschulen und den Bildungszentren auszubauen. Das Fehlen von Ausbildungsplätzen macht sich inzwischen in der ganzen Schweiz bemerkbar. Die Privatwirtschaft muss sich an diesen Bemühungen beteiligen. Hier müssen auch Politik und Verwaltung ihre zentrale Rolle einnehmen.

5. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verwaltungen muss verschiedene Partner zusammenbringen: Die Berufsinformationszentren, die Berufsschulen, die Lehrstellen- und die Arbeitsvermittlungen, die sozialen Dienste und die kantonalen Behörden, die Privatwirtschaft, als auch das Bundesamt für Berufsbildung BBT und das Seco auf nationaler Ebene.

6. Die JUSO Schweiz fordert die Harmonisierung der Stipendien auf eidgenössischer Ebene auch für die nach-obligatorische Weiterbildung. Die Stipendien sollen die gesamte Differenz zwischen den Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten des/der Studierenden und der zumutbaren Leistung des Studierenden und der Eltern. Ein einklagbares Recht auf Stipendium muss geschafft werden. Die JUSO lehnt jede Ersetzung der Stipendien durch Darlehen – auch zinslose Darlehen - ab, weil sie die Chancengleichheit beeinträchtigen.

7. Der Bund soll die bisherige Regelung des obligatorischen Schulunterrichts um ein Obligatorium zum Abschluss einer Erstausbildung erweitern und für die dazu notwendigen Mittel und Massnahmen besorgt sein.

[1] Sozialhilfestatistik 2005, Bundesamt für Statistik

[2] Medienmitteilung des BSV zur Sozialhilfe vom 15. Mai 2006

[3] Offizielle Statistiken des BVS zur Arbeitslosigkeit

[4] Eidgenössische Kommission für Konsumentenfragen 2005, WEMF Datensatz, Verband der Schweizerischen Inkassotreuhanddienste