Resolution verabschiedet an der Delegiertenversammlung der JUSO Schweiz vom 24. Juni 2023 in Neuchâtel (NE)
Eine umfängliche Analyse zur Systematik der Unterdrückung von Migrant*innen und das Aufrechterhalten von Grenzregimen als Instrument der Herrschenden Klasse findet sich im Positionspapier «No borders no nations» von 2017 der JUSO Schweiz
Auch in diesem Jahr werden Asyl und Migration, im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen 2023, wieder im politischen Diskurs präsent sein. Dass die SVP «Zuwanderung» als Wahlkampfthema wählt, ist kein Zufall, sondern eine bewusste Strategie, um Angst zu schüren, welche sie politisch bewirtschaften kann. Im Jahr 2022 gab es bei den Asylgesuchen im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme um 64%1. Für das Jahr 2023 prognostiziert das Staatssekretariat für Migration (SEM) mit 24'000 bis 40’000 Asylgesuchen nochmals einen massiven Anstieg.1 Das ist leider nicht überraschend, laut der UNO-Flüchtlingshilfe sind mehr als 100 Mio. Menschen auf der Flucht, so viele wie noch nie.2 Die enorme Not dieser Millionen von Menschen wird von rechts instrumentalisiert, um benachteiligte Gruppen gegeneinander auszuspielen und Sozialabbau zu betreiben. Auch die neusten Ereignisse vor der Küste Griechenlands sind katastrophal: Sie sind die Folge von illegalen Pushbacks und rechter, menschenfeindlicher Migrationspolitik.
Die häufigsten Fluchtursachen sind Gewalt und Konflikte, dicht gefolgt von Extremwetterereignissen, wie Überschwemmungen, Dürren und Stürmen. Diese immer häufiger auftretenden Wetterereignisse stehen in Zusammenhang mit der Klimakrise3. Die kommenden 5 Jahre können die heissesten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen werden und es muss damit gerechnet werden, dass 2030 das 1.5 Grad-Ziel überschritten wird, wie die Prognose der World Meteorological Organization zeigt4. Die daraus resultierenden Ernteausfälle, die verstärkte Nahrungsknappheit, fehlende Einnahmen, gravierende Umweltkatastrophen und weitere Folgen werden abermals Millionen Menschen in die Flucht treiben.
Rund 80% der Menschen auf der Flucht fliehen aus armen, von Krisen überschatteten Ländern.5 Dies zeigt sich an den Beispielen von Syrien, Venezuela, Afghanistan, Südsudan und Myanmar, welche stark von den Folgen der Klimakrise betroffen sind und in denen meistens seit Jahren Kriege geführt werden6. Die Schweiz ist an diesen sich häufenden Krisen nicht unbeteiligt: Noch immer werden in Ländern des sogenannten Globalen Südens natürliche Ressourcen, wie Öl, Gold, Diamanten oder Kohle von der westlichen Welt ausgebeutet und es wird Land-Grabbing7 betrieben, um daraus kurzfristigen Profit zu schlagen. Wenn überhaupt, profitieren meist korrupte Regimes vom marginalen Teil der Gewinne, die ihnen die multinationalen Konzerne geben.
Ein weiteres Problem ist, dass die Genfer Flüchtlingskonvention8 viele Fluchtursachen nicht anerkennt, so beispielsweise die Klimakrise und weitere daraus entstehende Nöte. Auch Krieg per se wird in der Konvention nicht gelistet: Flüchtende müssen aufzeigen, dass sie als Individuum verfolgt werden oder direkt gefährdet sind. Völkerrechtlich besteht kein Rechtsanspruch auf Asylgewährung, sondern lediglich das Recht, Asyl zu beantragen.9
Nach einer gefährlichen und traumatischen Flucht müssen sich Geflüchtete langwierigen Verfahren stellen. In der Schweiz wird das europäische Dublin-Verfahren angewandt, basierend auf der Dublin-Konvention. Laut der Dublin-Konvention ist das Land, in dem Flüchtende als erstes registriert wurden, für das Asylverfahren zuständig. Die Schweiz gehört zu den Ländern, die am meisten Asylsuchenden in andere Vertragsstaaten zurückweisen, die Quote für das Jahr 2022 betrug 54%.10
Trotz den weitaus genügenden Ressourcen, um Menschen aufzunehmen, schiebt die Schweiz die Verantwortung zur Aufnahme von Flüchtenden lieber an Länder ab, in denen Flüchtende gefährlichen Aufnahmebedingungen und systematischer Gewalt ausgesetzt sind. Es sind bereits Fälle bekannt, in denen Personen oder Familien trotz ausstehenden Verfahren aus der Schweiz ausgeschafft wurden.11 So wurden im Jahr 2022 hunderte Personen nach Sri Lanka abgeschoben, obwohl ihnen dort Verfolgung, Gewalt und Haft drohten.12 Dies verstösst gegen das Non-Refoulement Prinzip.13
Im Asylgesetz wird explizit gesagt, dass Hilfeleistungen für vorläufig aufgenommene Personen und Asylsuchende (Status F und N) tiefer als die der “einheimischen Bevölkerung”, sprich Personen mit Aufenthaltsstatus B, C oder Schweizer Pass, sein müssen. So sind Asylsuchende in Asylzentren zusätzlich Menschenrechts-verletzungen ausgesetzt. Laut einem Bericht von Amnesty International14 erleben Asylsuchende, die in Bundesasylzentren untergebracht sind, willkürliche und brutale Sanktionen. Im Bericht werden Isolationshaft in Containern, Gewalt durch Sicherheitspersonal, Einsatz von Pfefferspray und strenge Regeln, die willkürlich angewandt werden, beschrieben. Trotz dieser alarmierenden Feststellungen gab es bisher von staatlicher Seite keine Bestrebungen oder Massnahmen, um diese systematischen Menschenrechtsverletzungen zu verhindern.
Auch andere europäische Länder und die EU verfolgen einen immer härteren Kurs gegenüber Menschen auf der Flucht. So hat die britische Regierung einen perfiden Plan kommuniziert: Grossbritannien will Asylbewerber*innen nach Ruanda deportieren und das Land für die Aufnahme der deportierten Geflüchteten aus aller Welt bezahlen. Der High Court hat dieses Vorhaben Ende 2022 nun als rechtmässig erklärt. Auch Dänemark will diesbezüglich nachziehen, damit diese das Asylverfahren dort durchlaufen.15 Die EU hat in diesem Jahr eine grundlegende Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen. Die Reform enthält äusserst fragwürdige Elemente: Asylverfahren sollen neu auch direkt an den EU-Aussengrenzen durchgeführt werden. Oberstes Ziel ist dabei, möglichst viele Menschen von EU-Boden fernzuhalten. An den Aussengrenzen sollen dafür Zentren geschaffen werden, wo diese Asylverfahren mit dem klaren Ziel der Ablehnung des Antrags durchgeführt werden sollen. Weiter will die EU mehr Länder als “sichere Drittstaaten” definieren, indem der Kriterienkatalog ausgeweitet wird, was so gut wie nie positive Asylentscheide zur Folge hat.16 Die EU scheint mit dieser Reform illegale Push-Backs legalisieren und institutionalisieren zu wollen.
Trotz der prekären Lage von Geflüchteten dreht sich der Migrationsdiskurs in der Schweiz und dem restlichen Europa bloss um Zahlen, die von den Bürgerlichen verdreht werden, um ihre rassistische Politik zu begründen und zu befeuern. Wie viele Menschen beantragen in der Schweiz Asyl, werden aufgenommen oder werden ausgeschafft? Die Rechten sprechen von “Flüchtlingswellen”, von einer “bedrohlichen” Masse. Mit dieser Rhetorik werden flüchtende Personen, Menschen mit persönlichen Schicksalen, bewusst entmenschlicht. Die SVP spielt Armutsbetroffene bewusst gegeneinander aus, um zu vertuschen, wer wirklich für die Armut dieser Menschen verantwortlich ist: nämlich die rechts-bürgerliche Politik mit ihrem unsozialen Abbau des Sozialstaats.
Dabei geht der zentrale Aspekt jeder Asylpolitik unter: Geflüchtete Menschen suchen in der Schweiz nach Schutz. Statt die Lebensumstände von Migrant*innen in der Schweiz zu verbessern, liegt der Fokus auf der Beschränkung von Kosten und Ressourcen. Die Perspektiven jener Menschen, die von dieser unsozialen und oft grundrechtsverletzenden Politik betroffen sind, kommen kaum zu Wort oder werden aktiv ignoriert.
Die JUSO fordert:
- eine grundlegende Überarbeitung der Genfer Flüchtlingskonvention, die unter anderem eine Ausweitung der anerkannten Fluchtgründe beinhaltet. So müssen beispielsweise Armut, Klimakrise und Krieg als Fluchtgründe ergänzt werden.
- den sofortigen Stopp von Ausschaffungen nach Kroatien und allen Ländern, in welchen den Geflüchteten Verfolgung, Gewalt und Haft drohen.
- Elisabeth Baume-Schneider muss sich öffentlich gegen die unmenschliche Reform der EU-Asylpolitik aussprechen
- deutlich mehr finanzielle Ressourcen zur Unterbringung von Geflüchteten in der Schweiz, sodass Menschenrechte eingehalten werden können und ihre Betreuung gewährleistet ist.
- griffige Regeln für Schweizer Konzerne auch im Ausland im Sinne der Konzernverantwortungsinitiative oder dem europäischen Lieferkettengesetz, sodass diese auch im sogenannten Globalen Süden grundlegende Standards einhalten müssen.
1 https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluechtlingszahlen
2 https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluechtlingszahlen
3 https://www.ardalpha.de/wissen/umwelt/klima/wetter-meteorologie-hitze-starkregen-extremwetter-klimawandel-100.html
4 https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/el-nino-wmo-prognostiziert-heisszeit-bis-2027-klimakrise-verschaerft-sich-a-3dc530be-5577-489a-9081-66fcc24c4dc0
5 Menschen auf der Flucht = Menschen, die keine andere Wahl haben, als ihr Land zu verlassen, da ihre Sicherheit und ihr Wohl gefährdet sind.
7 Erklärung “Landgrabbing”: https://www.heks.ch/themen/land-und-nahrung/landgrabbing
8 GFK: Abkommen (seit 1951 in Kraft) regelt, wer als Flüchtende*r gilt, welche Hilfe und Leistungen die Person beanspruchen kann und welche Pflichten zu erfüllen sind. Kann Status der Personen festlegen
9 https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67246.pdf
10 https://www.nzz.ch/schweiz/deutschland-versagt-bei-der-abschiebung-von-asylbewerbern-was-macht-die-schweiz-anders-ld.1717227?reduced=true
11 https://migrant-solidarity-network.ch/fr/2023/03/09/trotz-ausstehender-beschwerde-vor-dem-un-kinderrechtsausschuss-familie-nach-kroatien-ausgeschafft/
12 https://migrant-solidarity-network.ch/fr/2022/12/08/sri-lanka-ausschaffungen-kks-foutiert-sich-um-das-non-refoulement-gebot/
13 Non-Refoulement Prinzip= verbietet die Auslieferung, Ausweisung oder Rückschiebung einer Person in ein anderes Land, falls ernsthafte Gründe für die Annahme vorliegen, dass für die betreffende Person im Zielland ein ernsthaftes Risiko von Folter bzw. unmenschlicher Behandlung oder einer anderen sehr schweren Menschenrechtsverletzung besteht.
14 Menschenrechtsverletzungen in Schweizer Bundesasylzentren, Amnesty International, 2021
15 https://www.deutschlandfunkkultur.de/letzte-station-100.html
16 https://www.deutschlandfunk.de/eu-asylrechtsreform-flucht-migration-europa-100.html